Harzkreis Harzkreis: Häuser vom Keller bis zum Dach unter der Lupe
QUEDLINBURG/MZ. - Marode Fachwerkbalken sind erneuert, das prächtige Treppenhaus ist aufgearbeitet, der Keller in Ordnung gebracht, Heizung, Fenster, Elektrik sind erneuert, Wohnräume und das Turmzimmer saniert. Stück für Stück erhält das Haus Heiligegeiststraße 1, auch als Paul-Deter-Haus bekannt, seinen alten Glanz zurück.
Nach und nach werden nun auch die originalen Holztüren wieder eingebaut. "Da sind wir wirklich froh, dass wir sie noch haben", sagt Gudrun Siebert. Ihr, die gemeinsam mit ihrer Nichte Cora Mecke Eigentümerin des Hauses ist, und ihrem Mann Peter ist die Freude darüber anzusehen, dass schon vieles geschafft ist. "Wir stecken hier seit 20 Jahren viel Herzblut hinein", unterstreicht Peter Siebert.
Das Haus Heiligegeiststraße 1 ist eines von insgesamt 3 000 Objekten im Quedlinburger Stadtzentrum, die derzeit unter die Lupe genommen werden. Ein Baustein auf dem Weg zu einem Welterbemanagementplan, einem von der Unesco geforderten Planungs- und Handlungskonzept, mit dessen Erarbeitung Quedlinburg Vorreiter in Sachsen-Anhalt sein und zu dem auch ein Denkmalpflegeplan gehören wird.
In diesem Denkmalpflegeplan soll nicht nur der aktuelle Bestand erfasst und analysiert werden, sondern er soll auch Schlussfolgerungen zu der Bedeutung, der Wichtigkeit der Gebäude enthalten. "Ziel ist, der Stadt ein Instrument in die Hand zu geben, mit dem sie Dinge in kürzester Zeit beurteilen und entscheiden kann", sagt Beate Meusel, Mitarbeiterin im Erfurter Büro Rittmannsperger und Partner.
Dieses hat den Auftrag bekommen, den Denkmalpflegeplan für Quedlinburg bis zum Jahr 2012 zu bearbeiten. "Das Büro hat sich auf städtebaulichen Denkmalschutz spezialisiert. Wir haben auch bereits den Denkmalpflegeplan für Dessau-Wörlitz erarbeitet. Diese Erfahrung, die wir da gesammelt haben, hilft uns sehr", erläutert Beate Meusel, die nun in Quedlinburg gemeinsam mit Antje Rimbach unterwegs ist.
Nach einem Testquartier im vergangenen Jahr, steht nun bis zum Oktober die Bearbeitung der Hälfte der insgesamt 45 Quartiere, in welche die Innenstadt eingeteilt wurde, auf dem Arbeitsprogramm. Die andere Hälfte soll ab März kommenden Jahres folgen. In der kalten Jahreszeit sollen dann die Daten, welche in eine Datenbank eingearbeitet werden, aufgearbeitet werden.
Was sie erwartet, worum es geht, darüber sind die Grundstückseigentümer vorab in einer Anliegerversammlung informiert worden. "Manche waren am Anfang skeptisch", weiß Antje Rimbach. "Denn wir möchten auch die Nebengebäude sehen und gucken, wie viel historische Substanz sich da noch verbirgt." "Das ist auch das neue an diesem Denkmalpflegeplan: dass nicht nur die Hauptgebäude erfasst werden, sondern wirklich alle Gebäude und auch die Nebengebäude. Und wir erfassen dabei ebenso den Leerstand", erläutert Beate Meusel. "Und das", ergänzt Antje Rimbach, "im gesamten Welterbebereich."
Um die Erfassung vor Ort zu erleichtern, hat das Büro eine Tabelle erarbeitet. Anhand derer wird dann abgefragt: "Entstehungszeit, größere Umbaumaßnahmen, von welcher Bauzeit das Fassadenbild heute definiert wird", deutet Beate Meusel auf das Blatt auf dem großen Klemmbrett. Von Interesse ist auch, in welchem Bauzustand sich das Gebäude befindet, ob es Schäden und dringenden Handlungsbedarf gibt, wie sein städtebaulicher Wert und ob es bereits ein Baudenkmal oder wert ist, ein Einzeldenkmal zu werden. Ebenfalls erfasst wird, als was das Gebäude gebaut wurde und wie es heute genutzt wird.
"Das war immer Buchhandlung", weiß Gudrun Siebert über das Gebäude Heiligegeiststraße 1. Ihr Großvater, Paul Friedrich Deter und seine Frau Dorothea Luise Auguste haben das Wohn- und Geschäftshaus 1903 und 1904 im Jugendstil errichten lassen, schildert sie. "Mein Großvater war Buchhändler, und mein Vater war auch Buchhändler." Dazu befinden sich insgesamt acht Wohnungen in dem Haus, welches zu DDR-Zeiten volkseigen wurde und das die Familie nach der Wende von der Treuhand zurückerhielt. Es gab Zeiten, da wohnten hier zwischen 50 und 100 Personen, wissen Gudrun und Peter Siebert zu berichten und dazu noch so über manches Geschehen, das sich hier ereignete.
"Jedes Haus hat seine Geschichte. Ich finde das spannend", sagt Beate Meusel. "Viele Eigentümer sind sehr interessiert. Es gibt aber auch einige, die gar nichts über die Geschichte ihres Hauses wissen." Ehe sie in die Quartiere gehen, greifen die Büromitarbeiter auf vorhandene Unterlagen zurück. "Wir machen im Vorfeld ein Literaturstudium, gucken ins Denkmalverzeichnis, werten vorhandene Quellen aus. Wir arbeiten mit allen Beteiligten zusammen", nennt Meusel zum Beispiel die Archäologen, die Untere Denkmalschutzbehörde, die Stadtverwaltung sowie das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, "und wir beziehen die Historiker ein."
Inzwischen vom Keller, der aus der Erbauungszeit stammt, über das schöne Treppenhaus, in welchem sich die Fenster in jeder Etage andersfarbig präsentieren, im Obergeschoss angelangt, gewähren die hier gerade laufenden Sanierungsarbeiten einen Einblick in die Baugeschichte des Hauses Heiligegeiststraße 1: "Hier kann man gut sehen, dass in der Gründerzeit die Fassaden schon in Backstein gebaut worden sind und die Innenseiten noch in Fachwerk", erläutert Beate Meusel. Auch solche baulichen Details sind von Interesse, ebenso, ob noch historische Elemente wie Fenster und Türen vorhanden sind.
Nach einer knappen Stunde und einem abschließenden Blick auf dem Dachboden sowie einem faszinierenden auf das hier vorhandene, wunderschöne Rundfenster ist die große Liste abgearbeitet. Aus Sicht von Beate Meusel sehr interessante 60 Minuten, weil es sich bei dem Gebäude nicht um eines der Fachwerkhäuser handelt, wie man sie mit Quedlinburg verbindet, sondern um eines der "sehr schönen historisierenden Häuser", die es in der Stadt ebenfalls gibt. "Ich finde es gut, dass das alles erfasst wird", meint Gudrun Siebert. Sie hofft, dass Quedlinburg und Interessenten für die Stadt davon profitieren werden, dass diese dann "wissen, wo besondere, wertvolle Häuser sind".