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Harz Harz: Süderstädter sind auf Arztsuche

Von FRANK RUPRECHT 20.06.2011, 17:32

QUEDLINBURG/MZ. - Kurz nach 9 Uhr: Vor und in der Gemeinschaftspraxis im August-Bebel-Ring in der Süderstadt herrscht reges Treiben. Patienten kommen und gehen - über zehn in der Stunde, vorwiegend Rentner. Geredet wird über alles, über Krankheiten, Befindlichkeiten, Familie oder Bekannte. Doch vor allem stellen viele die Frage: Wie geht es ab dem 1. Juli weiter? Herrscht dann Ärztemangel in der Süderstadt?

Denn ab jenem Freitag im kommenden Monat bleibt die Praxis geschlossen. Die bisherigen Ärzte Jürgen Egner und Olaf Winter, beide promovierte Mediziner, beenden nach langer Ankündigung ihren Berufsalltag altersbedingt. Ob aber den einstigen Patienten in der Süderstadt jemals wieder Praxistüren offen stehen werden, ist noch unklar. "Fakt ist, wir hören auf. Ein Medizinisches Versorgungszentrum aus Magdeburg hat Interesse gezeigt, die Räumlichkeiten zu übernehmen und eventuell auch einen Arzt mitzubringen. Die Verhandlungen laufen noch. Es wird aber nicht ohne eine Anschlusslücke von zwei bis drei Monaten gehen", mutmaßt Winter.

Inzwischen waren und sind hunderte Patienten auf der Suche nach neuen Hausärzten. Schwer, gerade für ältere Leute, die sich nach zig Jahren an ihren Hausarzt gewöhnt haben. Zu diesem hatten sie Vertrauen; er wusste auch viel über die Psyche und das Leben seiner Patienten. Das weiß auch Martin Wenger, Hauptgeschäftsführer der der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Magdeburg. Viele Menschen seien der Gewohnheit verpflichtet. Ändere sich da etwas, bedeute dies einen großen Einschnitt im Leben für den Einzelnen. Und so sei es eben auch, wenn plötzlich der Arzt gewechselt werden muss.

Kein Ärztenotstand

Doch schrillen nicht die Alarmglocken bei der KV? Ärztenotstand in Quedlinburg ist laut Planung für niedergelassene Mediziner überhaupt kein Thema. Auch wenn zwei Ärzte in den Ruhestand gehen, sei die medizinische Versorgung keineswegs in Gefahr. "Es gibt in Quedlinburg inklusive aller Ortsteile 20 Hausärzte. Im Verhältnis zur Zahl der Einwohner eine hundertprozentige Abdeckung", sagt Wenger.

Mit dann "nur" 18 Ärzten ab dem neuen Monat liege der Versorgungsgrad bei 95 Prozent. "Also rechnerisch für uns keine Katastrophe, für einzelne Patienten vielleicht schon", meint Wenger. Und bisher haben sich lediglich zwei Quedlinburger bei der KV gemeldet, die Rat bei der Hausarztsuche haben wollten.

Seit 34 Jahren war Marianne Friedrich aus der Süderstadt Patientin bei Winter und versteht, dass er aufhört. "Er hat seine Ruhe verdient. Doch ich wünsche mir wieder eine Praxis hier", sagt die 80-jährige Rentnerin. Sie sei nicht mehr die Jüngste, um den langen Weg in die Stadt zu ihrem neuen Arzt machen.

"Wir sind alle am Ende. Keiner nimmt uns noch", moniert eine andere Rentnerin. Am Dienstag war sie auf Arztsuche und "überall ist es schon voll, oder man soll sich Mitte Juli noch mal melden." Und sie wisse nicht, ob so lange überhaupt ihre Medikamente reichen.

Dagegen haben Rose und Emil Baumgart schon einen neuen Hausarzt gefunden. Doch Winter war Arzt ihres Vertrauens, zu dem sie "schon immer gehen". Und sie hatten keine Wahl, sie mussten sich einen neuen Hausarzt suchen. Aber beide hegen den Wunsch, das die Praxis in der Süderstadt nicht gänzlich leer bleibt. "Wir brauchen jemanden hier oben", wünschen sich die beiden 78-Jährigen.

Für Horst Reckziegel aus dem August-Bebel-Ring ist es "schon schlimm, das niemand weiß, wie es mit der Praxis weitergeht". Seit einem Vierteljahr wussten der 70-Jährige und seine Frau Heidelies (69), was auf sie zu kommt. "Wir haben uns einen neuen Arzt gesucht und sind problemlos drangekommen. Wir brauchten nicht auf die Knie zu fallen und betteln." Dennoch: Sie würden auch lieber wieder einen Arzt vor Ort haben, ohne weite Wege machen zu müssen.

Einige Allgemeinmediziner konnten Winters und Egners Patienten aufnehmen, doch das Limit ist erreicht, wie die MZ erfuhr. Andere Ärzte hingegen haben noch "freie Plätze", weiß Christoph Gloser aus einer in der Nähe befindlichen Gemeinschaftspraxis in der Rathenaustraße von seinen Kollegen. "Es gibt Ärzte, die haben noch Kapazitäten und können noch Patienten verkraften. Wir aber nicht. Unsere Neuanmeldeliste, die wir seit April geführt hatten, ist voll", sagt der Diplommediziner.

Knapp 1 070 Patienten im Quartal, so der Durchschnitt in Sachsen-Anhalt, könne ein Arzt verkraften. "Mehr geht eigentlich nicht", so Gloser. Aber von Ärztemangel oder gar einem Engpass zu sprechen, wäre nicht korrekt. Zwar würde dann kein Arzt mehr direkt in der Süderstadt praktizieren, aber viele andere Ärzte seien in der Nähe oder auch per Bus mit der Stadtlinie erreichbar. "Argumente, dass die Leute nicht so weit laufen oder nicht mal mit dem Taxi fahren können, kann ich nicht akzeptieren", meint der Mediziner. In dörflichen Gegenden gebe es oft gar keinen Arzt und der nächste sei manchmal fast 20 Kilometer weit entfernt.

Zumutbare Wege

Renate Brecht, Ärztin im Weyhegarten, spricht von "zumutbaren Wegen" für die Süderstädter, die nun auf Hausarztsuche sind. Und die meisten, die regelmäßig Medikamente brauchen, seien bestimmt von Winter und Egner vorerst ausreichend versorgt worden.

Bisher fanden fünf Patienten aus der Süderstadt-Praxis den Weg zu ihr. "Aber Hausbesuchspatienten kann ich nicht mehr aufnehmen", sagt die Doktorin und spricht von "genügend Ärzten in der Stadt". Sie finde die Situation zum Beispiel für die Ditfurter viel schlimmer, die "überhaupt keinen Arzt im Ort" haben. Ob und wann für das Ärzteduo in der Süderstadt Ersatz komme, wisse auch Wenger nicht. Egner und Winter können sich Nachfolger suchen, müssen es aber nicht. "Das ist ihre freie Wahl", so Wenger. Ansonsten sollten es die übrigen 18 Mediziner in Quedlinburg schaffen, die Patienten aus der Süderstadt zu übernehmen und zu betreuen. Denn nicht der gesamte Kundenstamm von Egner und Winter "sind aktive Patienten", die alle ab dem 1. Juli behandelt oder versorgt werden müssten. So bleibe den "passiven Patienten" genug Zeit für die Suche nach einem neuen Hausarzt.