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Globetrotter Globetrotter: Der Weltenbummler ist müde geworden

Von Rainer Marschel 13.01.2013, 12:03

königshütte/MZ. - Noch gut ein Jahr zuvor konnte man ihn auf der B 81 mit seinem Wägelchen Marke Eigenbau und der orangefarbenen Warnweste wandernd am Straßenrand beobachten. Seitdem wurde sein Wanderstock kaum noch benutzt. Im letzten Herbst spannte er sich noch selbst vor die Deichsel, um die 34 Kilometer vom Oberharz zu seiner Freundin nach Halberstadt in jeweils fünf Stunden abzuspulen. Zwei Tage später dann der ungleich strapaziösere Rückweg in die Berge.

Doch inzwischen sind die Beine müde geworden. Aber die Erinnerungen sind hellwach. Wenn der Königshütter Weltenbummler Egon Ecklebe von seinen Wanderungen erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten, als wäre er erst gestern zurückgekehrt. Dabei liegt seine letzte große Tour, die ein ebenso unerwartetes, wie tragisches Ende nehmen sollte, bereits sechs Jahre zurück. Die Nachricht vom plötzlichen Tod seiner Frau war das Einzige, was Egon Ecklebe physisch und psychisch so richtig aus der Bahn werfen konnte. Und genau so war es dann auch. Der Königshütter Gießer war da gerade an der Küste Siziliens unterwegs - ganze 100 Kilometer von seinem eigentlichen Ziel Syrakus entfernt. Eine mit tagelanger Verspätung eintreffende Hiobsbotschaft hat den gewaltigen Fußmärschen quer durch Europa ein jähes Ende gesetzt. Und es hat bis heute ganz den Anschein, als hätte sich der passionierte Globetrotter nie wieder so richtig von diesem Schock erholt.

"Manchmal habe ich gearbeitet, wie ein Pferd", sagt er rückblickend über sich. Und er meint damit keineswegs nur jenen Tag, als er mit seinem Liegewagen samt Tarnnetz und Höhenmesser auf dem 2 412 Meter hohen Gipfel des Col du Galibier ankommt. Die Rede ist von der 1999 nachvollzogenen Tour-de-France-Route von 1997. An deren Ende hat sein Tacho die Distanz von exakt 3 877 Kilometern angezeigt. 30-mal musste er dabei einen Eintausender überwinden.

Egon Ecklebe lebt bis heute in jenem Haus, in dem er am 16. August vor gut 81 Jahren geboren wurde. Als wahrscheinlich darf gelten, dass sein späteres Faible fürs exzessive Wandern schon in seiner späten Jugend geprägt wurde. Dabei trägt der Weitenwanderer unverkennbare Züge von ausgesprochener Akkuratesse bis hin zum extrem peniblen Bürokraten. Seit 1964 vergeht kein einziger Tag, ohne einen Tagebucheintrag. Dass er das noch heute so genau weiß, hat einen sehr nachvollziehbaren Grund: war doch Anlass für die erste Notiz das Eintreffen seines nagelneuen Trabants. Ein, wie man weiß, ausgesprochen prägendes Ereignis für jeden DDR-Bürger.

Am 10. April 1989 brach Egon Ecklebe zu seiner ersten DDR-Umrundung auf. Erst am 19. Mai kam er nach 2 050 Kilometern wieder nach Hause zurück: nicht zufällig 40 Tage im 40. Jahr der DDR. Ecklebe hatte nie ein Problem mit dem System. Als das "verglasnoste" Land allmählich seinem Ende entgegensah, flatterte am Heck von Ecklebes Gefährt immer noch stolz ein DDR-Fähnchen.

Egal, wo sich der Harzer Wanderer gerade befand: alle acht Tage schrieb er seiner Frau und auch der Mutter einen detaillierten Reisebericht. Heimweh will er in der Ferne nie gehabt haben, aber sein ausgeprägtes Heimatgefühl hat ihn nie verlassen: "Schon meine Eltern waren ausgesprochen bodenständige Leute. Das hat sich bei mir so erhalten." Selbst in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs genoss Ecklebe sein plötzliches Freiheitsgefühl, selbst entscheiden zu können, wie weit er heute noch läuft - unter 50 Kilometer sind es praktisch nie. Egal, ob es in Strömen gießt oder schneit, wie auf dem 1 214 Meter hohen Fichtelberg. Wegen des übermäßigen Durstes verschlang er auf dem Gipfel Unmengen von Eis im Wert von damals 20 Mark. Wohl noch nicht ahnend, dass er in der darauffolgenden Nacht vom Sturm beinahe weggeblasen wird. Hätte er sein skurriles Gefährt damals nicht an ein Geländer angebunden, wäre es wohl passiert.

60 Kilo beträgt allein das Eigengewicht seines gebremsten Mini-Planwagens. Hinzu kommen Proviant und sonstiges Gepäck, wie ein kleiner Topf, Haferflocken, Milch oder Kocher, sprich im Extremfall weitere 30 bis 40 Kilogramm. Dabei denkt Ecklebe wirklich an alles. Sogar an die kleine Gardine am Heck, die ihm nachts vor den Mücken Schutz bieten soll: "Ich hatte nix mit, was vorher nicht gewogen oder vielfach getestet worden wäre. Es sollte alles ehrlich und korrekt zugehen. Ich konnte und wollte mich doch nicht selber bescheißen."

Er habe sich in seinem Wanderwagen stets zu Hause gefühlt, sagt er über das Vehikel, welches heute noch in seiner Garage steht, als würde er schon morgen zum nächsten Trip aufbrechen wollen.

Nicht zuletzt angestachelt von der öffentlichen Aufmerksamkeit, machte er sich im Vorfeld seines 60. Geburtstages am 30. April 1991 wieder auf den Weg. Start und Ziel war dieses Mal das Brandenburger Tor. 1996 und 2001 folgten die zweite und dritte Deutschland-Umrundung, auch wieder im Uhrzeigersinn. Die Rede ist von jeweils knapp über 5 000 Kilometern: Deutschland - immer an der Wand lang.

Nur noch selten kann man Egon Ecklebe derzeit in den Wäldern wandernd rund um Königshütte antreffen. Wenn er dann aber doch wieder mal losmarschiert, muss er vor seinem Haus stets an einem großen, aber seit Jahren unbeschrifteten Granitstein vorbei. Diesen hat sich Ecklebe mal dorthin stellen lassen und erweist sich auch damit als ungewöhnlich und einzigartig. Früher oder später soll der Stein sein Denkmal werden. Dabei hat er sich dieses ganz ohne den vier Tonnen schweren Granitsockel längst gesetzt. Auch wenn er nicht aufhört, immer wieder zu betonen: "Was habe ich denn schon Besonderes getan?"