Geschichte Geschichte: Heftige Kämpfe im Selketal
Quedlinburg/MZ - Im Jahr 1784 machen Arbeiter bei der Errichtung eines Jagdhauses im Selketal eine sonderbare Entdeckung: Sie holen große steinerne Kugeln aus dem Erdreich. Wie sich herausstellt, sind es Wurfgeschosse, die noch nach vier Jahrhunderten von der Belagerung der Heinrichsburg bei Mägdesprung künden. „Entscheidend für das Schicksal der Burg und ihrer Besatzung muss das Jahr 1344 gewesen sein“, sagt der Berliner Wissenschaftler Christian Müller. Er hält am Donnerstag, dem 21. März, in der Reihe „Melanchthons Erben“ der Kreisvolkshochschule Harz einen Vortrag zum Thema.
Eine Chronik aus dem Jahr 1581 erwähnt einen Kriegszug gegen die Burg, der 1344 stattgefunden haben soll: Die Hohnsteiner Grafen stellten Besitzansprüche. „Weiter wird berichtet, dass die Burg genommen wurde und man die vor Ort angetroffenen ,Straßenräuber’ augenblicklich hinrichtete“, so Müller. „Dieser Chronikeintrag ist der einzige schriftliche Beleg für Kampfhandlungen an der Heinrichsburg im Mittelalter.“
Pfeilhagel von der Burg
Das Hauptaugenmerk seines Vortrags richte sich aber nicht auf die Burg selbst, sondern auf eine Graben-Wall-Anlage, die der Burg gegenüber liegt und von der aus sie im 14. Jahrhundert belagert wurde, sagt Christian Müller. Es handele sich dabei um „eine seltene und bislang kaum bekannte Belagerungsschanze, ein Element spätmittelalterlicher Belagerungstechnik“. Davon kündeten nicht nur die besagten Steinkugeln, sondern „auch sehr große Armbrustspitzen, welche direkt im Hang unterhalb und auf dem Plateau gefunden wurden“.
Betrachte man die Anstellwinkel und die Ausrichtung ihrer Spitzen auf die Graben-Wall-Anlage, müssen sie von der gegenüberliegenden Heinrichsburg auf die Belagerer abgeschossen worden sein, sagt der Wissenschaftler. „Auch auf der Heinrichsburg wurden in den letzten Jahren etliche mittelalterliche Geschossspitzen entdeckt, welche mit der Belagerung von 1344, aufgrund ihrer Form und Fundlage, in Verbindung zu bringen sind.“
Es war eine Adelsfehde, die dort ausgetragen wurde: Ein Zweig der Grafen von Stolberg habe wohl zu dieser Zeit die Burg als Stützpunkt genutzt und einen Teil seiner Einnahmen aus Wegelagerei und Geiselnahmen bezogen. Das ließen sich die Hohnsteiner Grafen nicht bieten, die später gemeinsam mit weiteren Adligen und einem Städteaufgebot auch die nur wenige Kilometer entfernt gelegene Burg Erichsberg zerstörten, die ebenfalls im Stolbergischen Besitz war.
Von Raubrittern mag Christian Müller dabei allerdings nicht sprechen: „Eine nicht unbedeutende Zahl Adliger sah sich im Spätmittelalter aufgrund schwindender Einnahmen und Machtverluste, welche mit großen sozialen und strukturellen Veränderungen zusammen hingen, gezwungen, ihre Einnahmen und/oder Machtverhältnisse durch Fehden und Kriegszüge zu konsolidieren und zu erhalten. Diese Fehden unternahmen sie recht häufig gegen Städte und Städtebündnisse, welche sich von den Ansprüchen des Adels und dessen Einflussnahme lossagen wollten - siehe die Fehde der Stadt Quedlinburg mit den Grafen von Regenstein.“
Kriegsbeute oder Vorsorge?
Zeugnis dieser Auseinandersetzung könnte die Quedlinburger Balliste sein, von der Christian Müller am Donnerstag auch sprechen wird - immerhin war dieses Wurfgeschoss eines der Hauptthemen seiner Magisterarbeit. Die sehr große Stand- oder Winden-armbrust sei ein „Denkmal von europäischem Rang, was leider in Quedlinburg wenig bekannt ist und in Verbindung mit der Regensteiner Fehde zu bringen ist“.
Unklar ist bis jetzt, ob die Quedlinburger dieses schwere Geschütz sozusagen als Kriegsbeute nach der Erstürmung der Burg Gersdorf behalten oder aber im 14. Jahrhundert selbst angeschafft haben, um sich damit gegen Angriffe der Regensteiner Grafen zu verteidigen. „Die Datierung in den Zeitraum 1334/35 spricht für beide Möglichkeiten“, sagt der Wissenschaftler. Und: „Es wird wahrscheinlich nie hundertprozentig nachzuweisen sein, dass die große Windenarmbrust wirklich auf der Burg Gersdorf eingesetzt wurde.“
Der Vortrag findet am Donnerstag, 21. März, um 18.30 Uhr im Bildungshaus Carl Ritter statt.