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Firma Schneemelcher aus Quedlinburg Firma Schneemelcher aus Quedlinburg: Neue Fenster für Schlosskirche in Wittenberg

Von Gerd Alpermann 07.06.2016, 16:49
Die zuvor nur noch mit farblosem Ersatz versehenen Flächen der Glasfenster in der Schlosskirche in Wittenberg wurden nach historischem Vorbild ersetzt.
Die zuvor nur noch mit farblosem Ersatz versehenen Flächen der Glasfenster in der Schlosskirche in Wittenberg wurden nach historischem Vorbild ersetzt. Firma Schneemelcher

Quedlinburg - Wenn die Welt 2017 nach Wittenberg schaut, dann werden dort, beim Reformationsjubiläum, auch die neuen Fenster der Schlosskirche leuchten. Geschaffen wurden sie in den vergangenen fünf Jahren von den Glaswerkstätten Schneemelcher aus Quedlinburg. Nach einem Jahr Vorplanung standen vier Jahre Umsetzung an. Ende Mai wurden die Arbeiten abgeschlossen.

Neben den Fenstern gehörte dazu auch eine Glasfläche von etwa 4 mal 2,20 Metern, welche über der Eingangstür eine Bleiverglasung sichert, und bei der der Architekt nur eine Glasfläche haben wollte. Zudem waren zwei große Türflügel für den Windfang darunter zu gestalten. Für die Festigkeit des Glases sorgt die Industrie, die künstlerische Gestaltung - unter anderem mit Schriftzügen - haben die Werkstätten in Quedlinburg übernommen. Die große Glasfläche über der Tür wiegt rund 400 Kilogramm und wurde in einem Arbeitsgang in Position gebracht und verankert.

Schneemelcher: "Wir sind für die Kunst da"

„Die Industrie bietet immer mehr Möglichkeiten der Glasgestaltung“, sagt Firmenchef Frank Schneemelcher, setzt aber zugleich hinzu: „Wir sind für die Kunst da.“ Die Glasflächen können heute deutlich größer werden. ESG - Einscheibensicherheitsglas - ist ein Standard, den sich die Quedlinburger Glaswerkstätten zunutze machen können. Das Glas bei moderner Gestaltung kann industriell durch ein spezielles Verfahren gehärtet werden, so dass es wie bei einer Autoscheibe bei Beschädigung zerspringt. Eine Glasschicht wird aufgebracht und dann durch Schockabkühlung stabilisiert. „Bei der künstlerischen Gestaltung bringen wir zuvor die Farbe auf. Heute lassen sich fast unbegrenzt Schichten auftragen“, erklärt der Firmenchef. Für die Quedlinburger ist die Glaskunst die Nische, in der sie ihre Kompetenz beweisen können.

Um aber nicht vollkommen von der Industrie abhängig zu ein, investiert Frank Schneemelcher in einen modernen und großen Brennofen. Bis zu drei mal drei Meter große Gläser können dort gebrannt werden. Bereits in Betrieb ist ein Airbrushgerät, eine Spritzpistole in der Größe eines Kugelschreibers, mit der Gläser gestaltet werden können.

Glücklicher Zufall erhält Originale

Die meiste Zeit haben die Quedlinburger in Wittenberg aber die Bleiglasfenster restauriert. Die Schlosskirche ist nicht mehr der Bau, an dessen Tür Martin Luther seine 95 Thesen gehämmert haben soll, was heute bezweifelt wird. Vielmehr wurde die Kirche zum Ende des 19. Jahrhundert im Auftrag des deutschen Kaisers als Gesamtkunstwerk des 19. Jahrhunderts in Erinnerung an die Reformation umgebaut. Dabei erhielten die Bleiglasfenster die Wappen der deutschen Städte, die zuerst zur Reformation übertraten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren den neuen Machthabern viele Wappen aber suspekt, da sie Städte in den ehemaligen Ostgebieten und in Westdeutschland symbolisierten. Die Bleiverglasung wurde deshalb durch einfaches Glas ersetzt. „Nur an den Rändern blieben die originalen farbigen Schmuckelemente zum Teil erhalten“, erklärt Frank Schneemelcher.

Als 1983 zum 500. Geburtstag Martin Luthers die Kirche restauriert wurde, war er auch dort, damals bei der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein Halle, Glaswerkstätten Quedlinburg, tätig. „Die Reste der alten farblichen Gestaltung der Fenster sollten damals vernichtet werden“, weiß er noch. „Im Prinzip aus Handwerkerehre habe ich die Gläser aufgehoben“, sagt er und setzt hinzu: „Das war ein Glück, denn nur so konnten heute nach historischem Vorbild die Wappen und Schmuckelemente wieder gestaltet werden. Vorhandene Schwarz-Weiß-Fotos hätten nicht gereicht, aber die Reste der farbigen Gläser zeigten uns, welche Farben notwendig waren, um den historischen Zustand wieder herstellen zu können.“

Durch die Neugestaltung der Bleiverglasung mit den Städtewappen hat die Schlosskirche in Wittenberg wieder ihre einstige Erhabenheit zurückerhalten. Durch das Einfachglas überstrahlte das Außenlicht den Raum. „Jetzt sind die Lichtverhältnisse so, wie sie einst geplant waren“, sagt Frank Schneemelcher. Mit dem Abschluss der Arbeiten für die Schlosskirche in Wittenberg kann sich seine Firma neuen Aufgabe widmen. „Das sind erstaunlicherweise die Instandsetzung und Neugestaltung von Kirchenfenstern im Westen Deutschlands, die im Zweiten Weltkrieg beschädigt und damals mit einer Notverglasung versehen wurden“, so Schneemelcher. Diese Notverglasung sei jetzt reparaturbedürftig, weshalb das Unternehmen nun vermehrt Aufträge einer künstlerischen Neuverglasung erhält - modern, aber dem historischen Gotteshaus angemessen. (mz)