Fund im Harz Entdeckung bei Quedlinburg: Frau liegt gefesselt im Grab
Bei Quedlinburg finden derzeit archäologische Grabungen statt. Was dabei bereits entdeckt wurde.

Quedlinburg/MZ - Die Beine des Skeletts liegen unter dem Baum, sein Kopf fehlt. Eher ihr Kopf: „Wir gehen von einem weiblichen Individuum aus“, sagt Archäologin Marita Genesis vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie und weist auf das ausladende Becken des Skeletts. Unter dem auch die Arme verlaufen – ein Indiz dafür, dass die Frau gefesselt war.
Und hier, auf einer ehemaligen Richtstätte bei Quedlinburg, hingerichtet worden ist. „Diesen Fund haben wir gleich am Anfang gemacht“, erklärt Marita Genesis. Sie ist Leiterin des Teams, das derzeit auf dem Areal der ehemaligen Richtstätte archäologische Grabungen durchführt.
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Bereits im vergangenen Jahr waren auf der laut Archivunterlagen von 1662 bis 1809 genutzten Richtstätte archäologische Untersuchungen erfolgt, berichtet die Grabungsleiterin. Hier stand eine Galgenanlage, die nicht dauerhaft betrieben wurde und auch immer mal wieder ersetzt werden musste, wenn eine Hinrichtung anstand, die Anlage aber verrottet war. Sie bestand aus drei Eichenpfosten, die in metertiefe Gruben gesetzt und mit darumgelegten Steinen befestigt wurden, beschreibt die Archäologin weiter. Lange Querbalken verbanden die Pfosten miteinander, so dass auch mehrere Menschen gleichzeitig hingerichtet werden konnten.
Ehemalige Richtstätte bei Quedlinburg: Leichen wurden um den Galgen herum in Gruben geworfen
Lange sei gedacht worden, dass mit Aufgabe der Richtstätte die Pfosten herausgezogen und in die drei Pfostenlöcher Linden gepflanzt worden seien − jetzt große stattliche Bäume. „Sie markieren zwar insgesamt, wo sich der Galgen befunden hat, aber nicht genau die Stelle.“ Denn die Hingerichteten – die, wie auch Selbstmörder, als unehrenhaft und mit Sünde beladene Menschen galten und deshalb nicht auf einem christlichen Friedhof bestattet wurden – seien um die Galgen herum in Gruben geworfen worden, aber nicht direkt an den Eichenpfosten. Doch mit dem Skelettfund unter den Baumwurzeln „wurde klar, dass der Galgen hier nicht gestanden hat. Damit war auch klar, dass weitere Bestattungen zu erwarten sind“, sagt Marita Genesis.
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So wurden durch das Grabungsteam, zu dem neben der Grabungsleiterin und einem Grabungstechniker vom Landesamt auch Studenten der Freien Universität sowie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und der Martin-Luther-Universität Halle gehören, bereits zwei weitere, durch Baumwurzeln beeinträchtigte Skelette freigelegt.
„Sie liegen mit ihren Wirbelsäulen über Kreuz: das untere Individuum in Nord-Süd-Richtung, das obere in Ost-West-Richtung“, beschreibt Marita Genesis, die das obere Skelett aufgrund von entdeckten Keramikscherben ins 18. Jahrhundert datiert. Weitere Untersuchungen müssten zeigen, ob beide gleichzeitig in die Grabgrube gekommen seien.

Einige Meter entfernt seien bislang drei Knochengruben entdeckt worden mit zahlreichen Skelettteilen von verschiedenen Individuen. Wie viele, könne noch nicht gesagt werden; zudem werde aktuell noch im oberen Bereich der Gruben gearbeitet, könnten weitere Funde hinzukommen. Und entdeckt worden seien ebenso bereits Reste von Fundamenten der Galgenanlage.
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Jetzt mit den Grabungen Befunde aufzunehmen, nennt die Archäologin auch eine „Schutzaktion“. Die Richtstätte sei ein Bodendenkmal; etwa wegen der Wurzeln der hier wachsenden Bäume seien Skelette bereits beschädigt, fehlten beispielsweise Schädel oder Arme.
Es sei auch ein Stück Rechtsgeschichte, sagen zu können, wie viele Menschen hier hingerichtet worden seien, wie viele Männer, wie viele Frauen. „Das kann man schlecht, wenn alle Skelette zerfallen sind“, sagt die Archäologin. Die Grabungen selbst sollen drei Wochen dauern. Alle Skelette und Skelettteile werden ins Landesamt gebracht. „Sie werden dort von einem Anthropologen untersucht.“