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Die positive Bratwurst

Von RITA KUNZE 10.10.2011, 17:30

QUEDLINBURG/MZ. - Ottonische Fachwerkstadt: "Das trifft es", sagt Harry Jost. Wie sonst könnte man Quedlinburg kurz und einprägsam beschreiben? Der Name ist für Jost nur ein Arbeitstitel, aber Fakt ist, die Stadt braucht eine Marke und - mehr noch - einen so genannten Welterbe-Managementplan, will sie ihren Status, einst von der Unesco verliehen, weiter stärken. Jost ist Projektsteuerer dieses Plans und hat mehr als drei Dutzend Bürger ins Palais Salfeldt eingeladen, um mit ihnen und Experten in einem Workshop zu diskutieren - über Stärken, Schwächen und Potentiale ihrer Heimatstadt.

Jost, ein ruhiger Mann mit Designerbrille, Jackett und Schal, lehnt sich im Stuhl zurück und schaut auf drei große Tafeln, die übersät sind mit kleinen Zetteln: grün, gelb und rot. Er hatte sich auf eine "lebhafte Veranstaltung" gefreut - und wurde nicht enttäuscht. "Es braucht eine Gruppe von Leuten, die konstruktiv diskutieren. Hier sind sehr griffige Ergebnisse zustande gekommen, die die Sorge der Bürger um ihre Stadt zeigen."

Festgestellt wird dabei eines: Es gibt sehr viele Zettel, auf denen die Schwächen notiert sind, aber noch mehr, die die Potentiale aufzeigen. Das hat Jost überrascht, positiv. Dennoch fehlt eine klare Zielvorgabe, was die "Marke" Quedlinburg denn nun eigentlich ausmacht, sagt Mathias Feige. Er ist Geschäftsführer der dwif Consulting GmbH und begleitet die Erarbeitung des Management Plans. Um zu erklären, was er mit "Marke" meint, blickt der Professor nach Thüringen: "Die Thüringer waren enttäuscht, als es hieß, man kenne von ihrem Land zuallererst nur die Bratwurst. Doch man muss sie nur von einem Verlierer- zu einem Gewinnerprodukt machen. So wie auf Sylt, wo man eben eines der berühmten Fischbrötchen gegessen haben muss." In Quedlinburg sei das ähnlich - die Stadt müsse von ihrem Welterbestatus viel mehr profitieren.

Doch wie? Indem sie ihre Potentiale weitaus besser nutzt, sind sich Feige und Jost einig. "Der außerordentliche Wert dieser Stadt wird durch ihre ottonische Geschichte bestimmt, auch als ehemalige Reichshauptstadt", sagt Jost. "Aber deutliche Hinweise darauf existieren hier überhaupt nicht." Er vermisse ebenso auf Hinweisschildern den Vermerk "Welterbestadt Quedlinburg": "Das ist die Minimalmarke, die man verwenden kann."

Aber immerhin dürfen sich Touristen wie Einheimische in einem "authentischen Straßenbild" bewegen. Das ebenso historische wie holprige Pflaster wird im Workshop gleichermaßen als Stärke wie auch als Schwäche angesehen. Barrierefreiheit sei damit nicht überall gegeben. Von Vorteil seien jedoch die kurzen Wege, die ein Teilnehmer als "das menschliche Maß" bezeichnet: "Vieles lässt sich gut zu Fuß erreichen. Das hat man nicht überall." Darin liegt ein Potential, könnte doch perspektivisch die Innenstadt zur verkehrsberuhigten oder gar autofreien Zone gemacht werden.

Als Stärke betrachtet der Workshop die Qualität des Einzelhandels und das "Kaufhaus Altstadt", in dem sich Sightseeing und Einkaufen verbinden lassen. Doch dieses "Kaufhaus" - die historische Altstadt mit ihren vielen kleinen Läden - funktioniere freilich nur, wenn es einheitliche Öffnungszeiten gebe, und das ist derzeit nicht der Fall. Das "große Kommunikationsproblem", wie es im Workshop heißt, wird auf einem roten Zettel notiert und kommt an die Pinnwand. So wie die Notiz vom "zu geringen Engagement des Einzelhandels für die Stadtentwicklung". Und - andersherum - die "zu geringe Bindung der Quedlinburger an ihren Handel". Feige nennt ein Beispiel: "Die Leute gehen eher zu Fielmann als zum eigenständigen Optiker."

Der Professor hat sich wie ein Schneider ein Nadelkissen um den Arm gebunden; die Stacheln dieses kleinen Igels sind am Ende der ersten Runde reichlich ausgedünnt. Mit Tourismus und Freizeit, Verkehr und Einzelhandel ist die Hälfte der Themen des Tages diskutiert. Nach der Mittagssuppe geht es um den Stand von Wirtschaft, Welterbe und Kultur.

"In kurzer Zeit sind hier viele Aspekte zusammengetragen worden. Die Stadt braucht dringend eine Identität, die nach innen wie außen so transportiert wird, dass sich auch die Einheimischen mit ihr identifizieren können."

In Quedlinburg werde an vielen Baustellen gearbeitet, sagt Feige, doch es fehle die Fokussierung und Vernetzung der Vorhaben. Dafür habe man nun mit dem Bürger-Workshop eine Basis geschaffen: "Was wir hier an einem Tag machen, wird sehr detailliert als Leitlinie ausgearbeitet und dem Stadtrat vorgestellt." In einigen Wochen will er ein Gutachten erarbeitet haben, das unter anderem die wirtschaftliche Relevanz des Tourismus in Quedlinburg darstellt.