Der Ästhet entdeckt die Urform der Kunst
Schielo/MZ. - "Dem mit dem Auge der Kamera an die Natur herantretenden Künstler entfaltet sich eine Welt, die alle Stilformen der Vergangenheit umfasst", sagte der Berliner Galerist Karl Nierendorf, als er 1926 eine Ausstellung mit Fotografien von Karl Bloßfeldt präsentierte. Bloßfeldt gilt als Pionier der "neuen Sachlichkeit" in der Fotografie: Im Knoten eines Grashalms sah er ein wichtiges statisches Element, das der grazilen hohlen Struktur im Winde die notwendige Stabilität verleiht. Analogien zum Bau von Türmen sieht er als notwendig; beredtes Beispiel ist seine stark vergrößerte Abbildung eines Winterschachtelhalmes in bis dahin nicht gekannter Form.
Erzieherin zur Schönheit
Nach Karl Bloßfeldt zwingt die Pflanze mit Urgewalt zu höchster künstlerischer Form und die Natur als strenger Lehrmeister zur ästhetischen Einkehr. Sie ist eine Erzieherin zur Schönheit und Innerlichkeit und eine Quelle edelsten Genusses. Der Fotograf, der seine Aufnahmen verbal wenig ausstattete und dem Betrachter die Deutung überließ, schrieb 1932: "Jede gesunde Kunstentfaltung bedarf einer befruchtenden Anregung; nur aus dem ewig unversiegbaren Jungbrunnen der Natur, aus dem die Völker aller Zeiten schöpften, kann die Kunst wieder neue Kraft und Anregung zu einer gesunden Entwicklung zugeführt werden."
Bereits 1928 erschien die erste Auflage seines Buches "Urformen der Kunst", denen Ausgaben in London, Paris, Schweden und New York folgten. Erstausgaben werden heute auf dem amerikanischen Auktionsmarkt für mehrere tausend Dollar gehandelt. Für Bloßfeldts internationale Anerkennung spricht, dass der indische Nobelpreisträger Jagadish Chunder Bose 1929 bei der Ausstellung seiner Forschung über Prozesse im pflanzlichen Leben auf fünf Bloßfeldt-Fotos von Blüten, Samen und Ähren zurückgriff.
Karl Bloßfeldt war wohl der bedeutendste Pflanzenfotograf überhaupt. Dabei galt sein Interesse weniger der Fotografie selbst, sondern vielmehr den Pflanzen. Der Fotoapparat war nur Mittel zum Zweck, um die Schönheit der Pflanzen zu dokumentieren.
Eine Interessengruppe in Schielo bereitet gegenwärtig eine Fotoausstellung über Pflanzen zu Ehren von Karl Bloßfeldt vor, der 1932 in Berlin verstarb. Dort war er seit 1898 als Dozent an der Charlottenburger Kunstgewerbeschule tätig, wo er das neue Fach "Modellieren nach lebenden Pflanzen" lehrte.
Seit 1895 systematisch, vereinzelt aber wahrscheinlich bereits in Schielo, fertigte er mit einer selbstgebauten Plattenkamera seine Schwarzweißaufnahmen an und verwendete dabei Vergrößerungen, die von zweifach bis 45fach reichten. Dabei konnten bisher nicht bekannte Strukturen der Pflanzen dargestellt werden - er hat damit unseren Wahrnehmungen neue Perspektiven eröffnet.
1921 wurde Karl Bloßfeldt zum ordentlichen Professor ernannt und lehrte nach dem Zusammenschluss verschiedener Institutionen an der "Vereinigten Staatsschule für angewandte Kunst", aus der die heutige Hochschule der Künste hervorgegangen ist. Erst in den 20er Jahren war die Zeit reif für die Objektivität in der Abbildung des Stils von Karl Bloßfeldt.
6 000 Negative
Karl Bloßfeldt blieb kinderlos. Nach dem Tod der Ehefrau 1946 erhielt ein Neffe das Filmmaterial, der für weitere Veröffentlichungen sorgte. 1974 erwarb das Ehepaar Ann und Jürgen Wilde aus Köln die etwa 6 000 Negative und weitere Dokumente. Die Eheleute gründeten das Karl-Bloßfeldt-Archiv, das 1991 vom Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen als schützenswertes Kulturgut in die Liste national wertvoller Archive eingetragen wurde. Seit 2001 ist das Archiv Teil einer vom Ehepaar Wilde gegründeten Stiftung, die das Material der Öffentlichkeit zugänglich macht.