Wie das Schiff in die Flasche kommt
Naumburg. - Die Hände von Kurt Schmidt sind nicht die eines Klavierspielers oder Feinmechanikers. Man sieht ihnen an, dass sie schwere Arbeit geleistet haben. Kein Wunder, denn der 69-jährige Naumburger hat vier Jahre lang bei der Hochseefischerei seine Heuer verdient, und das war, so weiß er zu berichten, oft ein Knochenjob. Und trotzdem bringt Kurt Schmidt mit seinen Händen das Kunststück fertig, kleine Modellschiffe, die aus winzigen Teilen bestehen, in Flaschen zu zaubern. Buddelschiffe und Modellschiffe baut der gelernte Tischler bereits seit rund 50 Jahren. Wie viele bislang entstanden sind, hat er nicht gezählt. Es müssen um die 300 bis 400 gewesen seine, meint Kurt Schmidt. Viele davon hat er verschenkt oder gegen einen kleinen Obolus weggegeben. Aber die wichtigsten seiner "Kinder" sind in der Wohnung, die sich in der Taborer Straße befindet, ausgestellt. Es ist die Liebe zur Seefahrt und zu den Schiffen, die ihn veranlasst, immer wieder zu Holz, Leim und Faden zu greifen, um ein Boot zu bauen - sei es nun ein Motor- oder Segelschiff.
Wer einmal Seeluft geatmet hat, den lässt die See nicht wieder los", meint Schmidt. Seeluft ließ er sich von 1955 bis 1959 in Peenemünde bei der Volksmarine um die Nase wehen. Schon vorher verschlang er jede Art von maritimer Literatur, deren er habhaft werden konnte. Der gebürtige Balgstädter war zu den Rückwärtigen Diensten einberufen worden und tat seinen Dienst auf einem Feuerlöschboot. Nach der "Fahne" kam er nach Naumburg zu Ehefrau Edith zurück, mit der er seit 1957 verheiratet ist. Neun lange Jahre hielt er es ohne eine Handbreit Wasser unter dem Kiel aus, bis er wieder raus musste - auf die See. Gefischt hat Kurt Schmidt auf verschiedenen Schiffen der DDR-Hochseefischerei in der Ostsee und Nordsee, westlich von England und Schottland, an der Ostküste von Amerika. Seine längste Reise auf der Jagd nach Hering, Heilbutt und Makrele dauerte 103 Tage. In einer Vitrine ist ausgestellt, was neben dem Fisch noch so alles in die Netze ging. Ein Seepferdchen ist darunter, Seeigel, Hummer und anderes, nun präpariertes Getier.
Während Kurt Schmidt zur See fuhr, warteten zu Hause vier Söhne und die Ehefrau auf den Mann. Der Familie zuliebe hatte er ein Einsehen und ging 1973 für immer an Land. So ganz stimmt das auch nicht, denn seit etlichen Jahren mietet sich Kurt Schmidt einmal im Jahr auf einem Container-Schiff ein und reist als Gast durch Ost- oder Nordsee. "Da stehe ich die meiste Zeit auf der Brücke und lasse mir den Wind um die Nase wehen", meint er.
Wie kommt das Schiff in die Buddel, das ist die am meisten gestellte Frage. Der Naumburger hat sie kürzlich im MDR-Fernsehen im Rahmen einer langen Sonnabendnacht mit einem praktischen Beispiel beantwortet. Während die Sendung "Glock Acht Achternstrom" live über den Sender ging, arbeitete Schmidt teils vor laufender Kamera, teils dahinter, an seinem Schiffsmodell, das er zu Hause in Naumburg bereits entsprechend vorbereitet hatte.
Es sieht so einfach aus und ist doch so schwer zu realisieren. Das Modell wird praktisch zusammengefaltet - die Teile sind an hauchdünne Fädchen gebunden - und durch den Flaschenhals geschoben. Zurück bleiben nur die Fäden. An denen zieht der Schiffsbauer dann vorsichtig und wie von Zauberhand richtetet sich die Betakelung oder wahlweise der Aufbau eines Motorbootes einschließlich Schornstein auf, und fertig ist das Buddelschiff.
Zuvor hatte der geduldige Bastler mittels Kitt für einen entsprechenden Unter- und Hintegrund in der Flasche gesorgt. Schließlich fahre ein Boot ja auf dem Wasser und nicht auf einem Glasboden. Den farbigen Anstrich der wogenden See und des Himmels aus Kitt besorgt der Buddelbastler mit einem eigens gebogenen Pinsel. Bei solch einer kniffeligen Arbeit müssten doch so einige Modelle schon zu Bruch gegangen sein, meint der unbedarfte Laie, aber Kurt Schmidt beteuert: "Meine Fehlerquote liegt bei beinahe null Prozent." Nicht nur Übung macht den Meister, sondern auch Geduld, Fingerfertigkeit und eine große Portion Leidenschaft. Alles begann 1955 in der Grundausbildung bei der Volksmarine. Ein alter Heizer baute Buddelschiffe. Schmidt war so begeistert und hat ihm eins abgekauft. Dieses Exemplar besitzt er übrigens heute noch. Besonders stolz ist der Naumburger Buddelschiffbauer darauf, dass er bei seiner Arbeit keine vorgefertigten Schiffsmodellteile benutzt, sondern jedes Teil, und sei es noch so klein und noch so kompliziert, selbst anfertigt. Handarbeit bis zuletzt - bis zum winzigen Rettungsring an der Reling - findet man in der Wohnung der Familie Schmidt. Um die 14 Tage dauert es, bis ein Schiff in die Flasche kommt. Der Moment wo es darin aufgerichtet wird und der Erbauer feststellen kann, dass alles reibungslos geklappt hat, ist wohl ähnlich dem eines Stapellaufs.
Diese Art der Freizeitbeschäftigung gibt es schon rund 300 Jahre, weiß der ehemalige Seemann. Bereits im 18. Jahrhundert wird davon berichtet, dass Seeleute, um die Zeit bei den nächtlichen Wachen zu vertreiben, Schiffe in Buddeln gepackt haben. Tatsächlich hat die Buddelbastelei aber wohl ihren Ursprung in den Klöstern. Dort wurde sie als eine Art Geduldsprobe praktiziert, weiß Kurt Schmidt.
Derzeit sitzt er an der Vollendung eines großen Schiffsmodells. Es handelt sich um den kleinen Nachbau des großen Segelschulschiffs Gorch Fock. Außerdem gibt es in der Wohnung viel zu tun. Der Ausstellungsraum soll umgebaut werden, damit mehr Platz für noch mehr Buddelschiffe ist.