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Von Dorf zu Dorf Von Dorf zu Dorf: Auf dem Bergsporn

Von Hans-Dieter Speck 14.10.2014, 07:36
Häuser an der nordwestlichen Marktseite in Naumburg, um 1920.
Häuser an der nordwestlichen Marktseite in Naumburg, um 1920.  Repros: sammlung steinbrück Lizenz

Im Jahr 1926 bezeichnete Weinbauinspektor Wanner das enge Tal der Unstrut als das Moseltal Mitteldeutschlands und Naumburg als den natürlichen Mittelpunkt des Saaleweinbaues. Schon sehr früh in der Geschichte Naumburgs benennt die Urkunde Bischof Ulrichs (1304-1316) Ackergrundstücke und Weingärten als ländlichen Besitz vor der Stadt. Grundlegende Veränderungen in den Besitzverhältnissen brachte die Reformation mit sich. Die Weinberge, bis dahin kirchliches Eigentum, wurden vom Landesherrn übernommen. Damit erhielt die Bürgerschaft die Möglichkeit, nicht nur umfangreichen Besitz an diesen Weinbergen zu erwerben, sondern auch mit Wein zu handeln. So lagerten 1578 nicht weniger als 150000 Liter Wein aus Naumburg in den Kellern Leipzigs.

Der Weinbau stand unter besonderer Kontrolle und Schutz des Landesherrn, der in der „Kurfürstlich-sächsischen Weinbergsordnung von 1588“ die durchzuführenden Arbeiten und deren Reihenfolge vorgab. Nach dem Dreißigjährigen Krieg gehörte es zum guten Ton, dass ein Bürger der Stadt ein Haus (mitunter wird dafür nur die Existenz einer „Torfahrt“ erwähnt), einen Pelz und einen Weinberg besitzen musste. Die Weinberge kündeten vom Reichtum ihrer Besitzer, obwohl die wenigsten damit reich werden konnten.

Vor und hinter den Stadtmauern

Seit Beginn des 16. Jahrhunderts besaßen viele Bürger der Stadt nicht nur ein repräsentatives steinernes Hauses innerhalb der Mauern, sondern auch einen Weinberg vor den Stadttoren. Am Beispiel der Bewohner des „Herrengassenviertels“, also der Herrenstraße sowie einiger Grundstücke an der westlichen Seite des Marktplatzes, lässt sich das verdeutlichen. Über ein Drittel dieser Bewohner galt als wohlhabend. Von 44 steuerpflichtigen Bürgern der Herrenstraße verfügten 14 über ländlichen Besitz jenseits der Stadtmauern in Form von Ackerland sowie Hopfen- und Weinbergen. Die nordwestliche Ecke des Marktplatzes prägen zwei Gebäude: Die „Hohe Lilie“, nach der auf der Giebelseite aufgemalten italienischen Lilie mitunter auch „Blaue Lilie“ genannt, beherbergt das Stadtmuseum sowie das Haus „Zu den zwölf Aposteln“, Markt 19. Dieses besaß früher ein hohes Dach mit zwei, dem Rathaus vergleichbaren Dacherkern. Nach dem großen Brand zu Beginn des 16. Jahrhunderts, dem die meisten städtischen Häuser zum Opfer gefallen waren, gehörte es im Jahre 1525 Valten Kather und war seit 1533/34 bis ins 17. Jahrhundert im Besitz der Kaufmannsfamilie Zewicker. 1737 begründete eine Familie Bretschneider an dieser Stelle eine Strumpfmanufaktur. 1847 erwarben die Gebrüder Thienemann das Gebäude, das noch 1880 der verwitweten Frau Kaufmann Thienemann gehörte. An der Fassade befand sich von 1800 bis etwa 1880 eine lange Kupfertafel mit den Bildern der Apostel, die zur Namensgebung des Gebäudes beitrug. 1896 erwarb Schirmfabrikant Heinrich Schmidt das Haus und noch in den 50er Jahren hieß es, wenn Naumburger den von der HO geführten Laden aufsuchten, dass sie zu „Schirm-Schmidt“ gehen.

Thienemanns und die zwölf Apostel

Umfangreiche Bauarbeiten am Gebäude hatte die Familie Thienemann in der Mitte des 19. Jahrhunderts durchgeführt. Thielemanns wohnten nun in der ersten, die Großmutter in der zweiten Etage. Über dem in der Mitte liegenden Eingang befand sich das Bild mit den Aposteln, in der oberen Fensterreihe, noch heute an dieser Stelle sichtbar, das Familienwappen. Die Geschichte der Familie Thienemann beginnt mit Ferdinand Thienemann, einem Pfarrerssohn aus Gleina, der mit Friederike Hesse, einer Gastwirtstochter verheiratet war, die neben einem Gasthaus „Zum schwarzen Roß“ genannt, auch einen Weinberg mit in die Ehe brachte. Carl Thienemann, einer von sieben Söhnen des Ehepaars, war Ratsherr und ist mit einem Weinberg in der Nähe der „Glocke“ oberhalb des Blütengrundes (noch heute in ihrer Struktur selbst für den Laien deutlich erkennbar) in Verbindung zu bringen. Carl Thienemann ließ in seinem Weinberg ein neues Haus bauen und erwarb das Eckhaus Markt/Herrenstraße. Sein Bruder Louis bewohnte mit seiner Frau die „Hohe Lilie“, die Ernestine Bretschneider gehörte und führte gemeinsam mit seinem Bruder Carl das Geschäft der Bretschneiders. Bruder Berthold Thienemann besaß einen Weinberg in Roßbach, den nach dessen Tode seine Kinder, fünf Töchter und ein Sohn, erbten. Berthold Thienemann (Mai 1819 - Oktober 1880) war mit Rosamunde, geborene Merz (April 1835 – Mai 1865) verheiratet. Gemeinsam mit seiner Frau lebte er bis zu deren Tode als Woll- und Weinhändler in Berlin. Drei ihrer Töchter heirateten drei Brüder aus der Familie Hauptmann. Adele Thienemann wurde die Frau von Georg Hauptmann, ihre Schwester Marie heiratete den Dichter Gerhart Hauptmann, und Schwester Martha schloss die Ehe mit dem Dichter Carl Hauptmann. Gerhart Hauptmann hatte seine spätere Frau 1881 kennengelernt, obwohl in den Familien damit gerechnet worden war, dass Carl sich mit Marie verloben würde. Für den Schriftsteller Gerhart Hauptmann bedeutete seine am 5. Mai 1885 mit Marie Thienemann als Tochter eines Großkaufmanns geschlossene Ehe eine finanzielle Absicherung.

1905 schrieb Gerhart Hauptmann sein Jugendstück, das Schauspiel „Die Jungfern vom Bischofsberg“, dessen Reiz in der Hinwendung auf die liebliche Saale-Unstrut-Landschaft besteht. 1907 erlebte es im Lessing-Theater in Berlin seine Uraufführung und wurde 1927 am Dresdner Theater mit großem Erfolg gespielt, bevor es 1928 anlässlich der 900-Jahr-Feier der Stadt im Naumburger Ratskellersaal die Bürger der Stadt erreichte.

Das „Naumburger Tageblatt“ schrieb aus diesem Anlass am 7. September 1928, dass die Aufführung für Naumburg zu einem literarischen Ereignis geworden sei und dass „die Brüder Hauptmann, als sie um die Schwestern Thienemann freiten, wohl manchen goldenen, frohen Herbsttag auf den Höhen zwischen Henne und Großjena verbrachten.“ Sich selbst korrigierend fügt die Zeitung hinzu, dass als Ort der Handlung wohl nur der Thienemannsche Weinberg in Roßbach in Frage kommen kann und nicht der in der Nähe der „Glocke“ gelegene Weinberg von Bertholds Bruder Carl. Damit bildet dem Dichter Gerhart Hauptmann die Realität der ihm vertrauten Naumburger Umgebung als Rahmen seines Lustspiels. Übrigens wurden im Jahre 2001 die „Jungfern vom Bischofsberg“ im Klingerschen Weinberg vor einem interessierten Publikum wieder aufgeführt.

Im Mai 1835 wurde die „Naumburger Weinbaugesellschaft“ gegründet, deren Vorsitz Ludwig Wilhelm Köhlmann inne hatte. Nach dessen Tode 1854 übernahm Ernst Adolph Thränhardt dessen Amt. Der Vater von Ludwig Wilhelm Köhlmann, Johann Franz Köhlmann (1736 bis 1794), hatte kurz nach dem Siebenjährigen Krieg unmittelbar am Stadtgraben, auf der sogenannten „Dom-Freiheit“, also Ecke Steinweg/Lindenring, gegenüber der ehemaligen Hofkonditorei Kattler, eine Bier-, Wein- und Branntweinschänke errichtet. Sein Sohn Ludwig Wilhelm (1775 bis 1853) erwarb 1793 am Spechsart den später als „Dunkelbergschen Berg“ bezeichneten Weinberg. Akribisch führte Ludwig Wilhelm Köhlmann Nachweise über seine Erfolge und Misserfolge als Winzer. 1803 zerstörten Kälte und Regen die Ernte, 1805 konnten die gelesenen Trauben nur noch zu Essig verarbeitet werden, und im Jahre 1806 ernteten Soldaten und Diebe die Trauben.

Trotz dieser Missgeschicke erwarb er 1809 noch den Weinberg des Rates Lepsius. Gemeinsam mit seinem Bruder gilt er als Gründer einer der bekanntesten Naumburger Weingroßhandlungen. Seine Tüchtigkeit als Kaufmann ermöglichte es ihm, das Gebäude Markt 12 zu erwerben. Da in dieser Zeit Bischofs- und Ratsstadt noch immer juristisch selbstständige Stadtgebiete waren, konnte er, da in der Dom-Freiheit“ geboren, erst 1819, also nach dem Wiener Kongress, den Bürgereid leisten. Sein Sohn Karl Wilhelm gilt als Gründer der Köhlmannschen Weinstuben am Markt, die eng mit der Weinhandlung verbunden waren. Karl Wilhelm verstarb sehr früh, seine Witwe war noch 1888 Eigentümerin von Markt 12.

Feinkost und Sportwaren

1884 wurden die Weinstuben von Emil Schotte übernommen und ab 1908 dann von Max Eckardt. Sie existierten noch bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Danach werden sie von Moritz Eckardt bis 1945 am Topfmarkt als „Eckardts Weinstuben“ weiter geführt. Im Adressbuch des Jahres 1919 befindet sich im Gebäude „Topfmarkt 11“ sowohl der Weingroßhändler mit einer Weinstube als auch die Wein- und Feinkosthandlung Moritz Eckardt. In diesem Gebäude, gegenüber dem heutigen Haupteingang in St. Wenzel, war seit den 1950er Jahren die HO mit Sportwaren „SpoWa“ vertreten.

Noch immer grüßt „Merkur“ vom Medaillon des Gebäudes Markt 16 heraus die auf dem Markt stehenden aufmerksamen Betrachter. Die Geschichte dieses Hauses beginnt im Jahre 1520 mit dem Ratsherrn Ambrosius Thain. Knapp 100 Jahre später, anlässlich des Fürstentages 1614 zu Naumburg, schlug Markgraf Christian von Kulmbach in diesen Räumen sein Quartier auf. Ursprünglich existierte an dem erst 1735 angebrachten Kopf des Merkur eine lateinische Inschrift, die ins Deutsche übertragen, den folgenden Inhalt hatte: „Sieh hier den Merkur, wie er Aufträge durch die Lüfte befördert; in des Gottes Hände sei glücklich das Haus geweiht. MDCCXXXV.“

Schriftstellerin zieht ein

Bei einem Umbau wurde zwar der Kopf des Merkurs wieder angebracht, jedoch verschwand der Spruch. Die Familie Holderrieder erwarb gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Haus. In den Jahren von 1752 bis 1785 war Dr. Johann Laurentius Holderrieder Bürgermeister der Stadt. Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete er 1797 Christiane Benedikte Eugenie Hebenstreit erneut, die nach dem Tode Holderrieders den Leipziger Kaufmann Georg Naubert heiratete. Als Verfasserin zahlreicher, zu Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit meist unter Pseudonym veröffentlichter Erzählungen und Romane erlangte Christiane Benedikte Naubert einen hohen Bekanntheitsgrad und gilt als eine der Begründerinnen des historischen Romans in Deutschland.

1815 verkaufte sie ihr Haus an den Kaufmann Karl Friedrich Gerischer, der im Ziegelgraben einen Weinberg besaß und in seinem Werk „Mein Weinbergsleben“ die Reize dieses Berges und des heimischen Weinbaus beschreibt. Er gilt bis heute als „Poet der Naumburger Weinbaugesellschaft“.

Weiterführende Hinweise über die Geschichte der Naumburger Weinberge findet der geneigte Leser bei Eberhard Kaufmann im Buch „Die Naumburger Weinberge von Roßbach bis Almrich“.