Hintergrund Hintergrund: Ziel: Nach Gewalt und Vernachlässigung zur stabilen Persönlichkeit

possenhain/Langendorf - Sven (Name frei erfunden) war mit Medikamenten voll gepumpt, als er vor etwas über zwei Jahren auf dem „Kinderbauernhof Burgenland“ in Langendorf unterkam. Der damals Elfjährige hatte bis dahin eine Erziehungshilfeschule besucht, musste aller Vierteljahre in die Psychiatrie eingewiesen werden. Heute macht er sein Abitur. Ein Werdegang, den sich die Mitarbeiter des Bauernhofes für all jene, die sie betreuen, nur wünschen können. Der Bauernhof ist ein - so die korrekte Beschreibung - intensivpädagogisches Wohnprojekt, das sich entwicklungstraumatisierten Kindern und Jugendlichen annimmt. Betrieben wird er durch das Institut für Wirkungsvolle Sozialarbeit mit Sitz in Langendorf. Geschäftsführer Steffen Neumann drückt es verständlicher und erschreckend nüchtern aus: „Wir kümmern uns um jene, die keiner mehr haben will.“
Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren sind es, die der Bauernhof aufnimmt, solche die schwerwiegende Traumatisierungen in Familie und Umfeld durchgemacht haben und mit dem Leben überfordert, ängstlich, verstört oder aggressiv sind und in einer normalen Umwelt nicht klar kämen. Sechs Kinder leben in Langendorf, betreut von nicht weniger als acht Pädagogen, wovon stets drei im Dienst sind. Ein gewaltiger Aufwand, ohne den es aber nicht ginge, wie Neumann betont: „Unser Ziel ist es, die Kinder so zu betreuen, dass sie mit dem 18. Lebensjahr ein eigenständiges Leben führen können. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe, die nur mit einem entsprechenden Personalschlüssel und bestens ausgebildeten Mitarbeitern gemeistert werden kann.“
Der Anspruch, die Kinder in die Welt der Erwachsenen entlassen zu können, bedurfte einer Nachfolgeeinrichtung. Diese hat das Institut seit Anfang letzten Jahres mit einer Wohngruppe in Possenhain umgesetzt. Gemietet wurde ein Einfamilienhaus, in dem nunmehr vier Kinder und Jugendliche ab zehn Jahre leben (Tageblatt/MZ berichtete). Grundlage ist, dass ihre Persönlichkeit bereits deutlich stabilisiert ist und sie sich in gewissem Maße gut in eine Gemeinschaft integrieren können - eben durch die Vorabhilfe im Langendorfer Bauernhof. Leiter des Hauses ist Marcel Schneider.
Und er zeigt sich mit der Entwicklung der vier Heranwachsenden sehr zufrieden, auch deshalb, weil mit dem Objekt in Possenhain aus seiner Sicht genau das richtige gefunden wurde. „Abgesehen davon, dass man uns mit offenen Armen empfangen hat und wir ein gutes Verhältnis mit den Nachbarn haben, ist das dörfliche Umfeld genau richtig, weil die sozialen Strukturen hier so sind, dass sie der Entwicklung der Kinder dienlich sind. Man kennt und hilft sich, man ist füreinander da“, so Schneider.
Drei „seiner“ Kinder besuchen die Regelschule, eines, eben Sven, lernt am Gymnasium. Da ihr gesamter Tag klar strukturiert ist, wird auch nach dem Unterricht nichts dem Zufall überlassen. „Verschnaufpause, gemeinsames Hausaufgabenmachen, aktive Freizeit, Abendessen und Zubettgehen - alles hat seine festen Zeiten“, zählt Schneider auf. Sogenannte neue Medien gibt es zwar, sie werden aber nur genutzt, wenn sie zweckdienlich sind. Vielmehr steht die Gemeinschaft im Vordergrund, wird abverlangt, dass diese selbst kreativ gestaltet wird. „Ohne Begehrlichkeiten zu wecken, die später im wahren Leben mit Sicherheit enttäuscht werden“, macht Steffen Neumann deutlich. Die vier Neu-Possenhainer kümmern sich beispielsweise um Hühner, die hinter dem Haus in einem Stall untergebracht sind, packen hier und da in der Nachbarschaft an und pflegen Vogelnester im Ort. Sogar das Geländer auf dem Fußballplatz haben sie gestrichen. Im Haus wird auch mal zusammen gekocht oder werden Fotos geschossen und bearbeitet. Letzteres gewinnt jetzt gerade in den Ferien an Bedeutung. Marcel Schneider: „Wir wollen vermitteln, wie die Technik funktioniert und welche Freude man an schönen Motiven hat.“ Ansonsten stehen Sport und Wanderungen auf der Tagesordnung, der Hausputz sowieso. Damit alles gelingt, werden die Kinder- und Jugendlichen rund um die Uhr betreut - insgesamt vier Pädagogen teilen sich den Job in Possenhain.
Der Kinderbauernhof Burgenland mit seinem Wohnprojekt in Possenhain (ein weiteres gibt es noch am Hauptsitz Langendorf) könnte theoretisch wachsen. Praktisch aber nicht. Geschäftsführer Neumann: „Arbeit gäbe es genug, denn leider nimmt die Zahl vernachlässigter und traumatisierter Kinder in unserer Gesellschaft drastisch zu. Andererseits soll das Projekt für uns gerade so groß sein, dass wir eine professionelle Sozialpädagogik leisten können. Ganz abgesehen davon, dass wir nicht ausreichend qualifiziertes Personal einstellen könnten. Denn an diesem mangelt es.“
Wie sehr die Arbeit des Instituts für die Jugendlichen später im wahren Leben fruchtet, wird sich zeigen müssen. Noch hat das junge Unternehmen keinen Jugendlichen in dieses entlassen. Neumann: „Wenn sie keinen guten sozialen Umgang haben, möglicherweise wieder im alten Familienumfeld landen - dann kippt das Ganze.“
Er wie auch Marcel Schneider hoffen deshalb, dass sich die Kontakte in Possenhain verfestigen, die Jugendlichen hier sogar ansässig werden. Schneider: „Das wäre das Beste, das passieren könnte.“