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führungen führungen: Erkundungen hinter Gittern möglich

22.08.2012, 08:23

naumburg. - Ein reiner Zufallsfund, der höchstwahrscheinlich Seltenheitswert hat, wurden bei den Bau- und Sanierungsarbeiten im Naumburger "Ratskeller" entdeckt. Nach dem Öffnen einer zugemauerten Tür zu einem Raum, der Jahrzehnte nicht betreten wurde, stießen die Bauarbeiter auf eine Broschüre, die wie neu aussieht. Sie wurde 1985 gedruckt und hat den vielversprechenden Titel "Gastronom Service empfiehlt HO-Gaststätten im Bezirk Halle".

Broschüre nur für Auserwählte

In diesem, für die damaligen papierknappen Zeiten umfangreichen und aufwendig gestalteten Heft finden sich die gastronomischen Einrichtungen im Bezirk Halle (Südteil von Sachsen-Anhalt), die damals Rang und Namen hatten - also mehr als gefragt waren. Die erstaunliche Auflage von 20 000 Exemplaren war auch ungewöhnlich für die Zeit. Die Werbebroschüre kostete die stolze Summe von zwei Mark der DDR. Höchstwahrscheinlich wurde diese Broschüre, das erkennt man schon an der Auflagenhöhe, nicht breitgestreut, sondern nur Auserwählten verkauft. Denn das war nicht im Interesse des Herausgebers, der Bezirksdirektion des volkseigenen Einzelhandels (HO). Zeitzeugen werden sich noch erinnern können, dass die Gaststätten in der DDR meist auch ohne Werbung überfüllt waren. Und auch die Lebensmittelkontingente wurden knapp bemessen. Das berühmt-berüchtigte Schild "Sie werden platziert" war in den "gehobenen" Restaurants allgegenwärtig.

Die Broschüre, so harmlos bunt sie auch aussieht, ist trotzdem ein wichtiges Zeitdokument. In Naumburg werden neben der Gaststätte Ratskeller die seit 20 Jahren nicht mehr existenten Gaststätten "Stadt Naumburg" und "Lämmerschwänzchen" aufgeführt. Für Bad Kösen steht neben dem "Kurgarten" das Hotel "Vorwärts" - es ist ebenfalls verschwunden - und die Ausflugsgaststätte "Rudelsburg". In Wetzendorf, Leninstraße, wird die Gaststätte "XX. Jahrestag" "mit Jugendtanz und Barbetrieb" beworben. Und in Nebra in der Karl-Marx-Straße war das "Volkshaus" - geeignet für Betriebsversammlungen - das erste Haus am Platz. Freyburg ist vertreten mit der "Sektkellerei" - Verkostungen der VEB Rotkäppchen-Sektkellerei waren die Spezialität des Hauses.

Delikatessen, die es nicht gab

Nahezu provokant für die damaligen Zeiten der permanenten Mangelwirtschaft mutet das Titelblatt der Broschüre an. In einem Korb sind "Delikatessen" reingemalt, die es damals, wenn überhaupt, nur in Interhotels gab: Tomaten, Gurken und echte Zitronen. Auch Schinken war im Allgemeinen nur unter dem Ladentisch und bei guter Verbandelung mit dem Fleischer zu haben. Ganze Blumensträuße standen auch nicht auf den Gaststättentischen, sondern höchstens mit ein bis zwei Nelken bestückte Vasen. "Unsere qualifizierten Gastronomen bemühen sich, in den Restaurants eine angenehme Atmosphäre zu schaffen und die Gäste mit vorzüglichen Speisen und Getränken zu bewirten", ist in der Broschüre zu lesen.