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Lediglich 321 Stimmen entscheiden für Dieter Stier (CDU) Dramatische Wende um 23 Uhr

Bundestagswahl: Zunächst hatte Martin Reichardt (AfD) wie der sichere Sieger ausgesehen.

Von Albrecht Günther und Alexander kempf Aktualisiert: 28.09.2021, 08:28
Dieter Stier (CDU) am Wahlabend, der nervenaufreibend und lang wird: In Weißenfels schaut der Kandidat immer wieder auf sein Handy, um die eingehenden Ergebnisse zu verfolgen - am Ende gewinnt er denkbar knapp.
Dieter Stier (CDU) am Wahlabend, der nervenaufreibend und lang wird: In Weißenfels schaut der Kandidat immer wieder auf sein Handy, um die eingehenden Ergebnisse zu verfolgen - am Ende gewinnt er denkbar knapp. (Foto: Alexander Kempf)

Naumburg - Die faustdicke Überraschung kam nach 23 Uhr und damit deutlich nach Tageblatt/MZ-Redaktionsschluss: Mit dem überaus knappen Vorsprung von 321 Stimmen verteidigte der CDU-Kandidat Dieter Stier im Wahlkreis 73 doch noch sein Direktmandat. Er ist damit zum vierten Mal in Folge im Deutschen Bundestag. Das Nachsehen dagegen hat Martin Reichardt.

22.15 Uhr noch AfD-Mann vorn

Der AfD-Kandidat konnte sich lange berechtigte Hoffnungen machen, das Direktmandat zu holen. Von Anfang an und bis Redaktionsschluss hatte er vor Stier gelegen. So schien um 22.15 Uhr der Vorsprung von 3.191 Stimmen uneinholbar. Allerdings waren da erst 269 von 288 Wahlbezirken ausgezählt, fehlten noch einige Briefwahlergebnisse. Zu diesem Zeitpunkt gab sich Reichardt optimistisch, den Burgenlandkreis und Teile des Saalekreises im Bundestag vertreten zu können. „Wir warten zwar noch das Ende der Auszählung ab, aber es wird wohl ein gutes Ergebnis“, sagte er.

So wurde im Wahlkreis 73 gewählt.
So wurde im Wahlkreis 73 gewählt.
(Grafik: Büttner)

In Weißenfels dagegen schaute Dieter Stier immer wieder auf sein Handy, hoffte auf die alte Fußball-Weisheit, dass ein Spiel 90 Minuten dauert und erst beendet ist, wenn der Schlusspfiff ertönt ist. Und tatsächlich wendete sich das Blatt, lag der Weißenfelser am Ende hauchdünn vor dem AfD-Bewerber. So wurde es für ihn eine ebenso lange wie nervenzehrende Nacht. Lediglich eine Stunde habe er geschlafen, bekannte er am gestrigen Montag.

Denn bei 125.859 Wählern im gesamten Wahlkreis waren die 321 Stimmen am Ende ein hauchdünner Vorsprung. Den Unterschied gemacht hatten die 2.466 Briefwähler im Wahlbezirk Naumburg 1. „Das war knapp“, konstatiert der Wahlgewinner am Tag nach dem Votum. Trotz zahlreicher Gratulanten für seinen persönlichen Erfolg will bei Dieter Stier jedoch keine rechte Freude aufkommen. Zu schlecht hat die eigene Partei abgeschnitten. Gerade im Osten. Und im Burgenlandkreis rutschte sie bei den Zweitstimmen gar hinter AfD und die Sozialdemokraten.

Mehr konservative Politik

Für ihn sei es nun an der Zeit, zu hinterfragen, welche Fehler im Wahlkampf gemacht worden sind. Einige Antworten liefert er gleich mit. Die CDU sei seiner Meinung nach viel zu weit nach links gerutscht. „Wir müssen wieder mehr konservative Politik machen“, lautet seine Forderung. Gerade im Hinblick auf die Bereiche innere Sicherheit und Wirtschaft.

Während des Wahlkampfs habe er in Bürgergesprächen in seinem Wahlkreis wahrgenommen, dass sich die Menschen in Weißenfels und Umgebung für sichere Renten und bezahlbaren Strom interessieren. Klimaschutz, der ihm persönlich ein Anliegen sei, habe hingegen kaum eine Rolle in den Gesprächen gespielt. „Der ländliche Raum ist nicht der Prenzlauer Berg. Auf dem Land wird es mit dem Lastenfahrrad schwierig“, gibt Stier ein Beispiel dafür, wie ein derzeit in Berlin diskutiertes Thema an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in seinem Wahlkreis vorbeigeht.

Aber könnte der nur knappe Vorsprung vor Martin Reichardt nicht auch Ergebnis eigener Versäumnisse sein? Im Vergleich zur Wahl 2017 hat Dieter Stier immerhin sieben Prozentpunkte gegenüber den Mitbewerbern eingebüßt, und er kann von einem möglichen Amtsbonus nur bedingt profitieren. Die politische Konkurrenz sagt ihm hinter vorgehaltener Hand schon mal nach, der Prototyp eines U-Boot-Politikers zu sein, der zur Wahl auf- und dann lange wieder abtaucht. Fehlt es ihm also an Präsenz im Burgenland- und im Saalekreis?

„Präsent mehr als andere“

„Präsent war ich mehr als andere. Das lasse ich mir nicht nachsagen“, kontert der Diplom-Ingenieur der Agrarwissenschaften. Im Bundestag war Dieter Stier in der vergangenen Legislaturperiode ordentliches Mitglied im Ausschuss Ernährung und Landwirtschaft sowie stellvertretender Vorsitzender im Sportausschuss. Parteikollegen loben ihn als gut vernetzt in der Hauptstadt. Aus der Kommunalpolitik hatte sich Dieter Stier, der zwischen 2007 und 2017 noch Vorsitzender des Kreistages im Burgenlandkreis gewesen war, zuletzt etwas zurückgezogen. Bis heute ist er aber Kreisvorsitzender seiner Partei, die im Wahlkreis 73 bei den Zweitstimmen mit 21,3 Prozent sowohl hinter der AfD als auch der SPD lag (siehe Grafik). Seiten 8 und 9