China, Köln, Hamburg, Fürth...
NAUMBURG. - Was sie aber vereint, so wurde bei den vielen Antworten derer, die bei der Aktion "Aus den Augen, in den Sinn" bisher teilgenommen haben, klar: Sie alle können interessante Geschichten erzählen. Außerdem hört man bei fast allen heraus, dass trotz neuen Wohnumfeldes doch nichts über die Heimat geht. "Mit dem Herzen bin ich immer noch in Naumburg", wurde da das ein oder andere Mal geschrieben. Organisiert wurde die Aktion, die einen Online-Fragebogen unter der Adresse umfrage.naumburg.de beinhaltet, von der Naumburger Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit unserer Zeitung. Verknüpft ist sie zum einen mit der Bestellmöglichkeit des kostenlosen, in etwa vier Mal jährlich geplanten E-Mail-Newsletters der Stadt sowie einem Gewinnspiel. Werden doch unter allen teilnehmenden "Exil-Naumburgern" 20 Holzkirschen für das anstehende Hussiten-Kirschfest verlost. Die Verlosung wird übrigens am Montag vor dem Kirschfest stattfinden. Die Gewinner bekommen einen Gutschein per E-Mail, können sich die Kirschen dann abholen (wo, wird noch verraten) oder sie - falls sie nicht persönlich zum Fest kommen können - verschenken. Neben diesem Gewinnspiel wartet auf alle Fragebogen-Ausfüller aber noch ein weiteres "Schmankerl". Alle, die mit der Veröffentlichung ihrer Antworten (siehe Beiträge unten) einverstanden sind, bekommen für einen Monat ein kostenloses E-Paper unserer Zeitung mit allen Artikeln und Fotos freigeschaltet.
Einige ehemalige Naumburger sollen auf dieser Seite vorgestellt werden. Schaut man sich die Streuung auf der Deutschlandkarte an, wird deutlich, dass der Drang, ganz hoch in den Norden zu ziehen, sozusagen ein "Fischkopp" zu werden, nicht so stark ausgeprägt ist. Einige Städte, vor allem Leipzig, Halle, Dresden oder München kommen dagegen mehrfach vor. Und mit Peter Müller hat Naumburg jetzt sogar "unseren Mann vor Ort in China". Neben spannenden Geschichten gibt es aber noch eine weitere Gemeinsamkeit fast aller Exil-Naumburger: die Vorfreude auf das bevorstehende Kirschfest. Beruhigend zu hören, dass unsere Gewinnspielpreise anscheinend gut überlegt sind. Aber auch nach dem Kirschfest wird die Umfrage unter der Adresse umfrage.naumburg.de weiterlaufen.
Übrigens: Wenn Sie jemanden kennen, der als ehemaliger Domstädter noch nicht an "Aus den Augen, in den Sinn" teilgenommen hat, weisen Sie ruhig darauf hin. Er oder sie hat bestimmt eine spannende Geschichte zu erzählen.
SHENZHEN: Manche der Umfrageteilnehmer-Adressen klingen gewöhnlich (Bahnhofsstraße), andere wiederum wecken Neugier (Paradiesstraße). Aber was sagt uns: Kerry Plaza, Zhong Xin Si Road? Wer nicht gerade zufällig des Chinesischen mächtig ist, kann damit sicher nicht viel anfangen. Für den 38-jährigen Peter Müller, der bis 1995 in Naumburg gelebt hat, ist es in der über zwölf Millionen Einwohner beherbergenden chinesischen Stadt Shenzen das neue Zuhause. Wenn er schreibt, dass es die "Dynamik, und die unglaublich vielen Geschäfts-Möglichkeiten" sind, die ihn in Shenzhen so begeistern, kann man ihm das ruhig glauben. 1979 lebten im dortigen Stadtgebiet gerade mal 30 000 Leute - weniger als Naumburg nach der Eingemeindung Bad Kösens bald haben wird. Doch dann wurde die Stadt in der Nähe Hongkongs zu einem der gefragtesten Pflaster für ausländische Investoren. Heute stehen in der Metropole allein 13 Gebäude, die höher als 200 Meter sind. Man ahnt es schon, dass Peter Müller diesen Ort nicht wieder für Naumburg eintauschen möchte. Er schreibt: "Die Welt ist zu groß und bunt, um sein ganzes Leben an einem Ort zu verbringen. Sorry." Er wollte schon als Jugendlicher die Welt entdecken. Den Kontakt nach Naumburg hält er trotzdem. Dass er jedoch tagein tagaus nicht all zu viele trifft, die Naumburg kennen, mag einleuchten. "Die Deutschen aber, die man so trifft, können sich manchmal an die Uta erinnern." Nicht verraten hat er, ob er auf seinem I-Pod das Kirschfestlied hat. Dass er ein solches Gerät überhaupt besitzt, ist wahrscheinlich. Schließlich wird er in seiner "neuen Heimat" produziert - und zwar täglich von etwa 200 000 Arbeitern.
HETTSTEDT: Erweisen sich die Exil-Naumburger dieser Umfrage fast durch die Bank als echte Lokalpatrioten, scheint dass für die Hettstedter nicht zu gelten: "Was hat Sie denn ausgerechnet nach Hettstedt verschlagen", ist die erste Reaktion, die die 29-jährige Susanne Kahl hört, wenn sie von ihrer Heimat erzählt. Ginge es nach ihr, wäre sie im vorigen Jahr auch gar nicht in die Landesmitte gezogen. Doch die Arbeitsstelle ihres Partners ließ es nicht anders zu. Was ihr an Hettstedt alles gefällt? "Gar nichts", schreibt sie ernüchternd. In Naumburg habe sie dagegen eine schöne Kindheit gehabt, und auch ihr eigenes Kind ist hier geboren. Klar, dass sie da noch regelmäßig an Saale und Unstrut zu Besuch kommt und so Kontakt hält.
CRIMMITSCHAU: Seit 26 Jahren wohnt der 37-jährige René Kretzschmar nicht mehr in Naumburg. Seine Antwort, was ihm an seinem jetzigen Wohnort, Crimmitschau, gefällt, ist eindeutig: "Nichts", schreibt er.
Doch seine Rückkehr hat einen Haken. "Auf jeden Fall würde ich nach Naumburg zurückziehen, doch leider ist dies mit Hartz IV unmöglich." Viele erfolglose Bewerbungen hätte er bereits nach Naumburg und den ganzen Burgenlandkreis geschickt. "Doch fast alle wurden abgelehnt, weil nur Personen eingestellt werden, die aus der Umgebung kommen", sagt er traurig. Dabei könnte er vorläufig bei Verwandten hier unterkommen. Mit elf zogen seine Eltern aus der Domstadt weg. "Hier in der Zwickauer Ecke kennt kaum jemand Naumburg."
BERLIN: Als der Fußballer, Neu-Bayer und Ex-Stuttgarter Thomas Strunz mal sagte: "Das schönste an Stuttgart ist die Autobahn nach München" bekam er im Schwabenländle tüchtig Ärger. Das ist für die 23-jährige Berlinerin Elisabeth Bänsch nicht zu befürchten, obwohl sie als Pluspunkt der Hauptstadt - neben Theater-, Konzert- und Einkaufsmöglichkeiten - auch die Nähe zu Naumburg angibt.
Ein Lehramtsstudium zog sie 2005 zuerst nach Leipzig und dann nach Berlin. Trotzdem ist sie noch regelmäßig in der Heimat und würde - passende Arbeit für sie und ihren Partner vorausgesetzt - auch sehr gerne irgendwann in die Stadt zurückkehren, in der sie ihre Kindergarten- und Schulzeit verbracht hat. Erzählt sie anderen von Naumburg, sind diese stets begeistert und wollen zu Besuch kommen.
WÜRZBURG: Für Stephanie Mattausch gibt es nur einen Wunsch, der erfüllt werden müsste, um nach dem Studium von Würzburg zurück an die Saale zu ziehen: ein Arbeitsplatz an einer Förderschule mit Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. 2006 zog es die 22-Jährige zum Studium nach Bayern. Und was sie festgestellt hat: "In Würzburg ist es fast wie in Naumburg. Nur eben in groß." Schöne Parks und Blumenanlagen gibt es. Und das Kulturangebot könne sich wirklich sehen lassen. Außer mit der Schulzeit verbindet sie ihre Erinnerungen an die Heimat noch mit "wunderschönen Ausflügen in die Naumburg umgebende Natur". Dass diese in ihrem Kopf noch immer präsent ist, liegt daran, dass die Studentin regelmäßig auf Familienbesuch zurückkommt.
GONDERSHAUSEN: "Den schönsten Marktplatz der Welt und natürlich den Dom" nennt Frank Richter auf die Frage, welche Erinnerungen er zuerst mit Naumburg verbindet.
Vor sieben Jahren verließ der heute 34-Jährige die Domstadt. "Aufgrund meiner Partnerin und auch wegen der Arbeitsstelle", wie er schreibt. Gondershausen, im Vorderhunsrück zwischen Rhein und Mosel gelegen, gefällt ihm "sehr gut". Nur zu Familienfeiern zieht es ihn hin und wieder zurück in die Domstadt. Kontakt zu Bekannten und Verwandten hier hält er deswegen auch regelmäßig. Eine dauerhafte Rückkehr nach Naumburg kann er sich allerdings nicht vorstellen. "Nein", schreibt er kurz und knapp. Da hilft wohl auch der schönste Marktplatz der Welt nichts.
KÖLN: In Köln gibt's tollen Karneval und bald auch wieder "Poldi" zu sehen. Aber eines haben sie - wie Stefanie Wawro erfahren musste - nicht: Ahnung von Geografie. "Die Wessis kennen sich mit Städten im Osten leider überhaupt nicht aus", schreibt sie. Erst im Oktober 2008 zog es die 19-Jährige zum Studium an den Rhein. Mit Naumburg verbindet sie immer noch "Gemütlichkeit" und "liebe Menschen". Gute Arbeit für sie und ihren Freund könnte sie auch irgendwann zurückführen. Den Kontakt will sie deshalb auch weiterhin halten. Bis dahin genießt sie die "1 000 Möglichkeiten", abends in Köln etwas zu unternehmen. "Man muss sich nur entscheiden können", sagt Stefanie Wawro.
GELSENKIRCHEN: Dass sie Naumburg in Gelsenkirchen nicht kennen, na gut. Dass aber die Reaktionen, wenn Cindy Peukert erklärt, dass es im Osten liegt, eher un-begeistert ausfallen, muss nicht sein. Seit September des vergangenen Jahres lebt die 19-Jährige nun im Ruhrgebiet. Im Moment strebt sie einen Bachelor-Abschluss im Bereich Journalismus an. Vielleicht kommt auch noch der "Master" oben drauf. Das Studienangebot war auch der Grund für die Orts-Wahl. Gelsenkirchen selbst spielte da weniger eine Rolle. "Obwohl der Park um 'Schloss Berge' sehr schön ist", wie sie schreibt. Findet sie hier einen Job im Journalismus, kommt sie auf jeden Fall in die Nähe des Saale-Radwanderweges, an den sie sich besonders gern erinnert, zurück.