60.000 Medien zum Ausleihen Vor 130 Jahren eröffnete die Stadtbibliothek „Walter Bauer“ in Merseburg

Merseburg/MZ - Wer bei einer Bibliothek an Regale voller uralter Wälzer im schummerigen Licht von Öllampen denkt, aus denen beim ersten Aufklappen vergilbte Schatzkarten herausfallen, wird von einem Besuch der Merseburger Stadtbibliothek „Walter Bauer“ vielleicht enttäuscht sein. Denn obwohl die vor mittlerweile 130 Jahren als „Volksbibliothek“ ihre Pforten öffnete, stamme das älteste noch ausleihbare Buch wohl aus den 1990er Jahren, schätzt Bibliothekarin Christin Lison. „Wir sind kein Archiv“, ergänzt sie und lacht.
Digitale Prozesse in der Merseburger Stadtbibliothek
Tatsächlich ist die Bücherei an der König-Heinrich-Straße so sehr am Puls der Zeit, wie man es sich von so mancher Schule einmal wünschen würde. „Wir machen alles mit modernster Technik“, sagt Lison. Ein Relikt aus der Vergangenheit fanden die Mitarbeiter der Bibliothek jedoch erst kürzlich noch im Keller: Ein Gerät zum Zählen von Ausleihen, sortiert nach Mediengruppen, das sich optisch irgendwo zwischen Geigerzähler und Abhörvorrichtung einordnen lässt.

Heute laufe das alles digital ab, erzählt Lison. Und auch die entleihbaren Medien beschränken sich schon lange nicht mehr auf Bücher. Besonders häufig würden etwa Konsolenspiele ausgeliehen. „Gaming kommt auch in Bibliotheken immer mehr“, sagt Lison. Auch DVDs würden weiterhin gut funktionieren. Denn obwohl die silbernen Scheiben mittlerweile ernsthafte Konkurrenz durch Streaming-Dienste bekommen haben, stellen letztere längst nicht alle Filme und Serien gleichzeitig zur Verfügung.
Insgesamt bietet die Merseburg Stadtbibliothek Lison zufolge rund 60.000 Medien zur Ausleihe an. Davon seien etwa 30.000 Erwachsenenbücher, erzählt die Bibliothekarin weiter.
Sachbücher zur Klimarettung und Bastelbücher im Trend
Jedes Jahr sortieren sie und ihre Mitarbeiter Medien aus und kaufen neue wieder ein. „Wir orientieren uns daran, was gerade im Trend ist“, sagt Lison. Bei 90.000 pro Jahr in Deutschland veröffentlichten Büchern falle die Entscheidung nicht immer leicht – trotz einem Etat für neue Medien von 39.000 Euro allein für 2021.
Gerade seien zum Beispiel Sachbücher zum Thema Klimarettung besonders angesagt, des Weiteren auch Bastel- und Nähbücher. Dauerbrenner seien hingegen Krimis und Geschichtsbücher, berichtet die Bibliothekarin. Musik sei dagegen rückläufig, aber Hörbücher würden weiterhin gut funktionieren.
Als Bibliothekarin lernt man, wie wohl in den meisten anderen Berufen auch, manche Menschen von einer sehr speziellen Seite kennen. „Man kennt ja seine Pappenheimer“, lacht Christin Lison. Da seien zum Beispiel jene, die Erotikbücher ausliehen, und das zumeist möglichst versteckt täten. „Dabei ist das ja völlig okay“, lacht sie. Eine andere Frau wolle dagegen nur Bücher lesen, deren Protagonisten deutsche Namen trügen, erzählt die Bibliothekarin. „Das ist dann herausfordernd“, fügt sie hinzu.
Häufiger Ortswechsel der Bibliothek
In den 130 Jahren ihres Bestehens war die Merseburger Stadtbibliothek schon an vielen Standorten untergebracht. Waren ihre Räume anfangs noch im Rathaus am Markt 1, folgten im Laufe der Zeit unter anderem noch das Ständehaus, das die Bibliothek ab 1948 beherberge, und das Alte Rathaus. Seit 1989 befindet sich der Hauptsitz nun an seinem heutigen Platz in der König-Heinrich-Straße. 1994 folgte die Namensänderung in Stadtbibliothek „Walter Bauer“ nach dem Merseburger Schriftsteller.
Insgesamt hat Christin Lison bislang fast nur Positives über die Nutzerinnen und Nutzer zu berichten. 99 Prozent von diesen gäben die entliehenen Medien zuverlässig wieder zurück, erzählt sie. Manchmal fänden sie und andere Mitarbeiter in den zurückgegebenen Medien auch Postkarten, Bahnkarten und ähnliches, die wohl als Lesezeichen genutzt wurden. Es sei auch schon vorgekommen, dass darunter Kinderfotos waren: „Die versuchen wir dann zurückzuschicken“, sagt sie.