1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Merseburg
  6. >
  7. Sprachwettstreit: Sprachwettstreit: Das Chinesisch-Ass aus Merseburg

Sprachwettstreit Sprachwettstreit: Das Chinesisch-Ass aus Merseburg

Von antonie städter 28.09.2013, 10:39
Die Kampfkunst Tai-Chi hat Tanja Weyhe - hier auf dem Gelände ihres Gymnasiums, der Landesschule Pforta - bei ihrem China-Jahr auch ausprobiert.
Die Kampfkunst Tai-Chi hat Tanja Weyhe - hier auf dem Gelände ihres Gymnasiums, der Landesschule Pforta - bei ihrem China-Jahr auch ausprobiert. Andreas Stedtler Lizenz

Merseburg/MZ - Manchmal wird man von einem Ereignis mit einer solchen Wucht überrumpelt, dass man erst viel später realisiert, wie es sich ins große Ganze gefügt hat. Als die damals 16-jährige Tanja Weyhe am 11. März 2011 von dem schweren Tsunami im Nordosten Japans erfährt, sitzt sie schon auf gepackten Koffern. Ihr steht eine aufregende Zeit bevor: In drei Tagen soll ihr Austausch-Jahr in der Nähe von Tokio beginnen. Die Merseburgerin, die am Internatsgymnasium in Schulpforte im Burgenlandkreis lernt, ist hingerissen von Japan, seit sie eine Studienfahrt mit der Schule dorthin unternommen hat. Sie mag Mangas und Animes, die japanischen Comics und Zeichentrickfilme. Und sie will neben Englisch, Französisch, Spanisch und Altgriechisch noch eine neue Fremdsprache lernen. Doch dann kommt das Erdbeben, die Flutwelle, Fukoshima. „Ich war schockiert, als ich die Bilder im Fernsehen sah“, erinnert sich die Abiturientin heute. Bald war auch klar: Das mit dem Jahr in Japan wird nichts.

Gastfamilie ist ihr ans Herz gewachsen

Tanja Weyhe weicht auf China aus. Im Spätsommer 2011, nach drei Einführungstagen in Peking, trifft sie in Shanghai ihre Gastfamilie. Liebe Menschen, die ihr ans Herz wachsen werden - auch, wenn sie sich erst daran gewöhnen muss, dass ihr Gastvater „beim Essen immer schmatzt und schlürft“. Bald bekommt sie das kaum noch mit - das ist dort eben so. Sie ist neugierig auf das Land. Und sie hängt sich voll rein ins Sprachenlernen. Etwas anderes bleibt ihr auch kaum übrig: Die Gasteltern sprechen wenig Englisch, der Gastbruder schon; er ist aber wochentags in einem Internat. Sie macht einen Sprachkurs, schreibt Notizbücher voll mit chinesischen Schriftzeichen, die aussehen wie gedruckt. Auf ihrer Schule ist Tanja Weyhe die erste Austauschschülerin überhaupt. Sie erfährt eine große Offenheit, wird gut aufgenommen. „Die Chinesen sind meist hin und weg, wenn sie merken, dass man Chinesisch kann“, erzählt sie von den Menschen, die ihr so sympathisch sind. Nach wenigen Monaten kann sie sich fließend mit ihren Mitschülerwettstn unterhalten.

Heute sagt die junge Frau, die an diesem Sonntag ihren 19. Geburtstag feiert: „Es ist für mich die coolste Sprache der Welt.“ Weil sie kaum Grammatik habe. „Man muss nur die Aussprache und die Wörter drauf haben - und nicht wie im Spanischen oder Französischen erst zig Verben konjugieren lernen, um sich unterhalten zu können.“ Dabei hat Tanja Weyhe weit mehr als ein paar Wörter drauf. Den offiziellen chinesischen Sprachtest hat sie in der fünften von sechs Stufen absolviert. Nachdem sie gerade in den Sommerferien mit ihren Eltern eine Tour durch China gemacht hat, wird sie Mitte Oktober für zwei Wochen erneut ins „Reich der Mitte“ reisen - als eine von bundesweit zwei Gewinnerinnen eines internationalen Wettbewerbes, „Chinese Bridge“ genannt, bei dem Schüler ab 15 Jahren ihre Chinesischkenntnisse unter Beweis stellen können. Ausgetragen wird er vom Konfuzius-Institut, eine Art Goethe-Institut für China, das weltweit die chinesische Kultur und Sprache vermittelt.

„Das wird im chinesischen Fernsehen übertragen, so ein bisschen showmäßig wie ein Casting“, erzählt Tanja Weyhe. Bei dem mehrtägigen Wettbewerb in Kunming in der Provinz Yunnan, bei dem Stipendien für einen China-Aufenthalt zu gewinnen sind, muss sie dann eine Rede halten, Fragen zum Land beantworten können und einen Kulturbeitrag leisten, zum Beispiel etwas singen. Jeder der Teilnehmer aus aller Welt solle dabei ein für sein Land typisches Kostüm tragen. Vielleicht wird sie Fußball-Fan-Klamotten anziehen. Dieser Sport ist ja eine große Leidenschaft der Deutschen. Dirndl oder Lederhosen kommen für sie nicht in Frage, denn Deutschland sei ja nicht nur Bayern, so Tanja Weyhe, die jeden Tag mit einem Vokabelprogramm auf dem Computer übt, um ihr Chinesisch frisch zu halten. Kleider seien sowieso nicht so ihr Ding. Seit ihrem China-Jahr ist die Schülerin mit der Kurzhaarfrisur dafür bekannt, dass sie fast immer bequeme Sporthosen trägt. Denn die gehörten dort auch zur Schuluniform.

Zu sehen ist sie oft auch mit großen Kopfhörern, mit denen sie gern schnellen japanischen J-Rock und manchmal auch chinesische Popmusik hört. Letztere sei aber meist sehr seicht, erzählt Tanja Weyhe, die ja die kitschigen Texte versteht: „Chinesische Musik muss man aushalten können, aber irgendwann mag man sie - weil es Assoziationen gibt.“ Ohnehin gehört die Musik zu ihren großen Hobbys. Als Kleinkind lernte sie Blockflöte, später wechselte sie zur Querflöte. Das Spielen der Tin Whistle, eine in der irischen Folkmusik gebräuchliche Flöte, hat sie sich selbst beigebracht. Manchmal spielt sie mit anderen Musikern in irischen Pubs. Auch ihr Vater ist dann mit seiner Gitarre dabei. Dem irischen Tanz geht die Merseburgerin ebenso mit Begeisterung nach. In China hat sie zudem gelernt, wie die chinesische Bambusflöte gespielt wird, die schnarrende Töne erzeugt.

Neuer Blick auf ihr eigenes Land

Sowieso hat ihr dieses Austausch-Jahr eine Menge gebracht. Einen neuen Blick auf ihr eigenes Land zum Beispiel, das dort überaus angesehen sei. Zudem viele chinesische Freunde, mit denen sie noch regelmäßig Kontakt hält. Und eine neue Offenheit: Während sie früher eher schüchtern war und lieber im Hintergrund blieb, sei sie heute „viel selbstbewusster“, erzählt Tanja Weyhe. Das China-Jahr habe sie geprägt. In ihrer Schule leitet sie zusammen mit einer chinesisch-stämmigen Mitschülerin eine Chinesisch-AG. Voriges Jahr hat sie für die Projekttage an der Schule auch ein Chinesisch-Projekt organisiert.

Würde sie sich als China-Freak bezeichnen? Klares Ja. Natürlich sei da die Sache mit den Menschenrechten, die Umweltverschmutzung - aber das Land, die Kultur findet Tanja Weyhe „total faszinierend“. Sie will China nicht mehr missen, sagt sie. Womöglich wird sie auch Sinologie studieren, vielleicht in einem Doppelstudium mit Wirtschaft. So wurde es ihr empfohlen - weil sie die Sprache ja ohnehin schon kann. Aber nach Japan, sagt sie, will sie auch noch einmal für ein Jahr. Und Japanologie, das würde die sprachbegabte Schülerin auch sehr reizen.