Sattelfest im Geschäft Sattelfest im Geschäft: Der ewige Meister

Bad Lauchstädt - So wirklich scheint Fritz Herrmann seinem Vater auch sieben Jahrzehnte später nicht verziehen zu haben, dass dieser verhinderte, dass sein Sohn seinen Traumberuf Feinmechaniker erlernte. „Ich bereue heute noch, dass ich bei meinen Vater lernen musste.“ Der war wie bereits der Großvater selbstständiger Sattlermeister in Oberwünsch. Also trat der heute 88-Jährige wohl oder übel in die Fußstapfen der Ahnen. Vor 65 Jahren machte er seinen Meister und übernahm ein Jahr später die Werkstatt.
Trotz Alter noch als selbstständiger Handwerker aktiv
Die steht heute nicht mehr in Oberwünsch, sondern in Bad Lauchstädt. An der Wand hängt das Werkzeug ordentlich aufgereiht. In der Ecke des Flachbaus stehen Stoff- und Planenrollen. Auf der großen Werkbank unterm Fenster liegen drei Sitze von Gabelstaplern. Herrmann, der trotz seines Alters immer noch als selbstständiger Handwerker aktiv ist, bezieht sie gerade neu und schimpft: Die Leute würden immer warten bis der Schaumgummi aus den Sitzflächen platzt, anstatt schon zu ihm zu kommen, wenn die Löcher noch klein sind.
Dann würde sich das viel leichter reparieren lassen. So muss er erst das Schaumgummi der Sitze neu modellieren und dann das Kunstleder darüberspannen. Gerade ist er mit der Unterseite eines Sitzes beschäftigt. Mit Stecknadeln befestigt er das Material, um es später anzunähen.
Kraftverkehr zum wichtigsten Auftraggeber
Auch wenn seine Berufsbezeichnung es anders suggeriert, mit Satteln hat der Lauchstädter schon seit langem beruflich nichts mehr zu tun. Auch sonst, sagt er, habe sich sein Handwerk verändert. Zu seinen Lehrzeiten hätten sie etwa aus Ledertuch, Stoff und Pappe auch Schulranzen hergestellt. Doch das ist viele Jahrzehnte her.
Nach dem Herrmann 1955 die Familienwerkstatt übernommen, einen Eintritt in die LPG abgelehnt und den Umzug nach Lauchstädt gewagt hatte, herrschte in seinem Laden zunächst Flaute – bis der Milchmann kam. Der 88-Jährige blickt zurück: „Der fragt, ob ich Planen mache. Ich meinte: ’warum nicht’.“ So wurde der Kraftverkehr zum wichtigsten Auftraggeber. Herrmann kümmerte sich etwa um LKW-Planen und Bussitze.
Der ewige Meister: Pavillonreparaturen und Bahnsitze
Heute spielt der Kraftverkehr kaum noch eine Rolle für den Handwerker. Stattdessen habe er zuletzt etwa 200 Sitze für die Burgenlandbahn repariert, berichtet er. Der Auftrag sei auch ein Grund gewesen, warum er seinen Betrieb noch immer offen hat. „Eigentlich wollte ich ja vor zwei Jahren zu machen.“ Doch davon ist aktuell keine Rede mehr, auch wenn Herrmann heute, wie er sagt, nicht mehr von sieben bis sieben arbeitet: „Ich mache nur noch ein paar Stunden, man merkt, dass man alt wird.“
Gelegentlich kümmert sich der Lauchstädter auch noch um Privataufträge. Vor der Werkstatt liegt gerade die orange Abdeckung einer Hollywoodschaukel in der Sonne. Auch Pavillonreparaturen kämen jetzt im Frühjahr häufiger als Aufträge rein, berichtet der Handwerker. Der muss zum Abschluss dann aber noch erklären, warum er den einst ungewollten Beruf Jahrzehnte über sein Renteneintrittsalter hinaus ausübt: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“, antwortet Herrmann. Und wer wisse schon, ob es als Feinmechaniker auch so geklappt hätte, dass er sein Arbeitsleben lang sein eigener Herr ist. (mz)