Ramadan in Merseburg Ramadan in Merseburg: So fastet eine syrische Familie am heißesten Tag des Jahres

Merseburg - Mustafa Haj Fares steht vor einer Tetrisaufgabe. Das Tablett mit den Hähnchenschenkeln auf Reis soll noch Platz auf dem Tisch finden. Doch der ist bereits überladen mit Speisen: Kichererbsensuppe, Brotfladen, Hühnerfleisch in Joghurt, diverse Dips und Süßspeisen. Ein Anblick, der dem hungrigen Betrachter das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Doch vorerst gilt: Anfassen verboten.
Ramadan in Merseburg: So fasten Syrer am heißesten Tag des Jahres
Es ist 21.20 Uhr. Noch eine Viertelstunde bis Sonnenuntergang. Erst dann darf gegessen werden. Denn es ist Ramadan und Mustafa hält sich wie auch sein Vater Mohammed und Omar al-Mourabee, ein Freund der heute Abend zu Gast ist, an den islamischen Fastenmonat. Das heißt von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang sind Essen und Trinken tabu. Kein leichtes Unterfangen am längsten Tag des Jahres und noch dazu an einem der heißesten. „Ich habe eigentlich mehr Durst als Hunger“, berichtet Omar.
Sein Durst ist wohl begründet. In der kleinen Wohnung im fünften Stock eines Plattenbaus an der Unteraltenburg in Merseburg steht die heiße Sommerluft. Vor dem mit einem Tuch verhangenen Fenster ist die Sonne verschwunden. Zur Sicherheit warten die Männer aber noch ein paar Minuten, bevor sie das Fasten brechen. Mustafa reicht süße Datteln in einer Glasschale herum. Hastig werden die ersten Gläser Wasser geleert. Die Essenstafel bleibt noch unberührt, denn zunächst steht das Gebet auf dem Programm.
Ramadan in Merseburg: Fastenzeit ist für die syrischen Männer keineswegs Diätzeit
Vater Mohammed verfällt in einen arabischen Singsang. Aus dem Schrank holt er einen braun-gemusterten Teppich und legt ihn zwischen Tisch und Fenster auf den Boden. Die Spitze zeigt Richtung Wand. Südosten, also gen Mekka, dem heiligen Zentrum des Islam. In diese Richtung nehmen auch die Männer Aufstellung.
Omar betet vor. Er ist zwar nicht der älteste, aber der mit dem größten Koranwissen, wie er später erklärt. Die 6.000 Verse der heiligen Schrift der Muslime kenne er auswendig. „Das nennt man hafiz.“ Das Gebet ist ein arabischer Gesang, mal laut und im Chor, mal leise jeder für sich.
Das heutige Thema sei Geduld und Glaube gewesen, erklärt Omar im Anschluss beim Essen. Die Männer bedienen sich reichlich. Drei Stunden hätten sie gemeinsam für die Vorbereitung in der Küche gestanden, berichtet Mustafa. Angesichts der Speisenfülle und -qualität eine sportliche Leistung. Der Vater erzählt, dass seine letzte Mahlzeit Käse und Oliven zum Frühstück gewesen seien - um 3 Uhr morgens, also vor 19 Stunden. „Wir bleiben jetzt bis zum Frühstück wach und gehen dann schlafen“, ergänzt Omar. Gegenseitige Einladungen und üppig gefüllte Tafeln seien normal für den Ramadan. Fastenzeit ist hier keinesfalls Diätzeit.
Warum der Ramadan in Deutschland schwerer fällt als zu Hause in Syrien
Für ihn und die Haj Fares’ ist es der zweite Ramadan in Deutschland. Unterscheidet der sich sehr von dem in der syrischen Heimat? „Sehr“, antwortet der junge Mann mit dem lockigen schwarzen Haar. „In Syrien fasten fast alle. Hier aber sehe ich Leute auf der Straße Eis essen, darf aber selber nicht. Das ist schwer. Außerdem sind die Tage im Ramadan hier länger.“ Zumindest aktuell, da der Fastenmonat, der sich nach dem Mondkalender richtet, in den Sommer fällt.
Auch das Zuckerfest, das sich an den Ramadan anschließt, wird hier bei weitem nicht so groß gefeiert wie in Syrien, erklärt Omar. Dort sei dann drei Tage lang Feiertag. Wann genau der Ramadan endet, können die Männer noch nicht mit Gewissheit sagen. „Sonntag oder Montag. Je nachdem, wann das erste Mal die Sichel des Neumondes gesehen wird“, erörtert Omar die Unklarheit. Solche spüren viele Syrer in Merseburg auch mit Blick auf ihre Verwandten. Das eine Familie wie die Haj Fares’ gemeinsam fastet sei die Ausnahme, erklärt Omar. Viele seien alleine hier, die Familie aber in Syrien. Das sei nicht einfach.
Flucht aus Aleppo über die Türkei bis nach Merseburg
Und das Gespräch bleibt beim Heimatland. Die Gastgeber stammen aus der Millionenstadt Aleppo, die mittlerweile großteils durch den Bürgerkrieg zerstört wurde. Dort gewesen seien sie zuletzt 2013, berichtet der Vater. Nach einem längeren Aufenthalt in der Türkei seien sie schließlich nach Merseburg gekommen.
Auch Omar ist aus Syrien geflohen. Wie die meisten jungen Männer, sagt er, vor der Armee, in der er sonst kämpfen müsste: „Dabei weiß man nicht, welches die richtige Seite ist.“
Wie die meisten Syrer sind auch Omar und seine heutigen Gastgeber Sunniten. Hier in Merseburg spielt die Konfession allerdings keine Rolle. Es gibt nur eine Moschee. Omar sieht das nicht als Problem: „Muslim ist Muslim.“ Und Vater Mohammed ergänzt: „Gott hat uns alle Muslim genannt. Die Menschen haben uns irgendwann eingeteilt.“
Nachtgebet im früheren Hotel „Dessauer Hof“
Dann ist Aufbruch. Der Weg zur Moschee führt über den Rewe-Parkplatz. Auf halber Strecke schalten die Straßenlaternen ab. 23 Uhr, die Zeit drängt. Das Licht eines Handys illuminiert den Weg bis zur Weißen Mauer. Die Straße ist trotz der späten Stunde belebt. Vor allem junge Männer laufen hier zügigen Schrittes. Sie alle eint das gleiche Ziel. Das bläuliche Gebäude des früheren Hotels „Dessauer Hof“.
Grelles Neonlicht dringt durch die Scheiben auf die Straße. Leise auch der Singsang des Imams. Das Nachtgebet läuft bereits, direkt im Anschluss folgt das Ramadangebet. Das gibt es nur während des Fastenmonats. Die Teilnahme ist freiwillig hatte Omar erklärt. Er und die Haj Fares’ verabschieden sich auf der Schwelle zum Gebetsraum. Dann begeben sie sich in den mit Teppich ausgelegten Raum zu den anderen Männern, die den Blick bereits in Richtung des Bücherregals in der Ecke gerichtet haben. Nach Südosten, gen Mekka. (mz)
