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Praxis schlägt Theorie Praxis schlägt Theorie: Ein Besuch in der Kita "Unterm Regenbogen"

Von Undine Freyberg 12.09.2018, 12:00
Sigrid Findeklee ist die Leiterin der integrativen Kita „Unterm Regenbogen“. Auf dem Papier gäbe es hier noch freie Plätze, in der Praxis nicht.
Sigrid Findeklee ist die Leiterin der integrativen Kita „Unterm Regenbogen“. Auf dem Papier gäbe es hier noch freie Plätze, in der Praxis nicht. Marco Junghans

Merseburg - Die Kinder unterhalten sich flüsternd, spielen und malen ganz leise. Denn im Nachbarraum liegen noch ein paar kleine „Schlafmützen“, die ihren Mittagsschlaf wirklich brauchen. Und das wissen die Kinder. „So ist das eben bei uns“ lächelt Sigrid Findeklee, seit 2003 die Leiterin der integrativen Kita „Unterm Regenbogen“ in Merseburg.

109 Kinder besuchen die Kita, die sich in Trägerschaft der Volkssolidarität befindet. 78 davon sind im Kindergarten, 31 in der Krippe. „Wir hätten allerdings eine Betriebserlaubnis für 110 Kita-Kinder und 40 Krippen-Kinder“, sagt Findeklee. Und sie erklärt, warum die Wahrheit auf dem Papier eine andere ist als in der Praxis, und warum es kaum möglich ist, dass Erzieherinnen keine Überstunden machen.

Kita „Unterm Regenbogen“ Zeitz: „Wir haben 21 Erzieherinnen bzw. Heilpädagogen, mich eingeschlossen“

„Wir haben 21 Erzieherinnen bzw. Heilpädagogen, mich eingeschlossen“, erzählt die 60-Jährige. Sieben Kinder sind entwicklungsverzögert oder haben eine leichte Behinderung, bekommen also eine besondere Förderung. 21 Kinder haben einen Migrationshintergrund. Der Betreuungsschlüssel liege bei zwölf Kita-Kindern pro Erzieherin, in der Krippe kommen fünf Kinder auf eine Erzieherin. Alle Erzieherinnen in der Kita arbeiten 30 Stunden pro Woche. „Aber das reicht selten aus.“ Die Kita hat von 6 bis 18 Uhr geöffnet.

Kommt eine Erzieherin um 6 Uhr, hat sie eigentlich um 12 Uhr Feierabend. Wer um 7 Uhr kommt, geht um 13 Uhr und so weiter. Allerdings seien durchschnittlich zwei Kolleginnen pro Tag im Urlaub. „Da fehlen also schon Stunden, die ich auf die aufteilen kann, die 40 Stunden gehen möchten.“ Manchmal müsse sie dann sogar ältere Kolleginnen, die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr 40 Stunden arbeiten möchten, bitten, mehr Stunden zu gehen. „Ich habe aktuell zehn Kolleginnen, die zwischen 58 und 60 Jahre alt sind. Der Rest ist ganz jung. Und der Mittelbau fehlt komplett.“ Diese Kolleginnen seien einfach kurz nach der Wende entlassen worden.

Kita „Unterm Regenbogen“ Zeitz: m September fehlten „nur“ 25 Stunden

„Es kann sein, dass mir pro Monat 100 Stunden an Betreuungszeiten fehlen, und da rede ich nur von den Kindern, die anwesend sind - nicht von denen, die wir betreuen könnten, um die Betriebserlaubnis zu erfüllen. Also müssen bei uns alle mehr arbeiten.“ Jetzt im September fehlten nur 25 Stunden. Aber im November gehe das Spiel von vorn los, weil eine Kollegin für mehrere Monate ausfallen werde.

„Wir freuen uns immer, wenn junge Kolleginnen zu uns kommen, allerdings werden die natürlich auch mal schwanger und fallen dann sofort aus, weil sie dann nicht mehr in einer Kita arbeiten dürfen“, so die Chefin. Grund für das Beschäftigungsverbot ist eine mögliche Ansteckungsgefahr mit Kinderkrankheiten wie Röteln oder Masern. Die Schwangeren sollten sich auch nicht so häufig bücken oder schwer heben, was in einer Kita natürlich nicht ausbleibt. „Wenn so wie letztens zwei Erzieherinnen gleichzeitig schwanger sind, müssen wir stundenmäßig natürlich heftig aufstocken“, erzählt Findeklee.

Kita „Unterm Regenbogen“ Zeitz: Bis zu 150 Kinder

Die Kita „Unterm Regenbogen“ dürfte bis zu 150 Kinder aufnehmen. „Theoretisch wäre also noch Platz für 41 Kinder, aber nur theoretisch.“ Sigrid Findeklee hebt den Zeigefinger. „Die kann ich nicht alle nehmen. Denn alle Kinder aus der Krippe, die in den nächsten Monaten drei Jahre alt werden, brauchen natürlich auch einen Platz in der Kita. Ich kann sie ja nicht rauswerfen. Das heißt also, ich muss sie doppelt zählen.“ Das seien in der Regel immer zwischen 15 und 20 Kinder, die drei werden. Was passiert, wenn sie die Plätze nicht freihalten würde? „Dann würde ich natürlich meine Betriebserlaubnis überschreiten und bekäme eine Strafe.“

Ein bisschen Platz wäre zwar tatsächlich noch in der Einrichtung. „Aber aufgrund der bevorstehenden Sanierung haben wir ein bisschen runtergefahren und machen einen Trakt zu, wo normalerweise 60 Kinder untergebracht sind. 30 Kinder gehen, wenn’s losgeht, in die benachbarte Kita der Johannesschule, die uns da sehr unterstützt. Vielen Dank dafür.“ Die anderen 30 Kinder müssten dann anderweitig im Haus untergebracht werden. „Im Augenblick kann ich also keine neuen Kinder annehmen“, bedauert Sigrid Findeklee.

Kita „Unterm Regenbogen“ Zeitz: 60-Jährige arbeitet seit 1987 als Kindergärtnerin

Die 60-Jährige arbeitet seit 1987 als Kindergärtnerin, ist aber von Hause aus Krankenschwester. „Nachdem mein Sohn geboren wurde, wurde es mit dem Schichtbetrieb schwierig.“ Zu dieser Zeit habe in der DDR massiver Erziehermangel geherrscht. Also fing sie in der Kita am Nulandtplatz an. „Ich kam am ersten Tag hin und die dortige Chefin sagte zu mir: Sie haben heute 21 Kinder, ich laufe noch einen Tag mit und ab morgen müssen Sie das alleine machen’. Und so war es auch.“ Ein Sprung ins kalte Wasser. Das sei die beste Schule gewesen. 21 Kinder, die alle drei Jahre alt waren.

„Es hat mich nicht abgeschreckt. Ich hab einfach weitergemacht.“ Der damalige Betreuungsschlüssel in Kitas habe bei 18 bis 21 Kindern pro Erzieherin gelegen. „Trotzdem ist es heute irgendwie schwerer.“ Die Kinder waren damals alle spätestens um halb acht da, weil alle Eltern arbeiteten. Es gab kein Elternteil, was zu Hause war, es sei denn wenn eine Mutti ein Kind bekommen hatte. Da kam kein Kind entspannt um 9 Uhr in die Kita. „Es gab einen straffen Tagesplan, aber wir hatten glücklicherweise eine Leiterin, die uns viele Freiheiten ließ. Früher hatte man allerdings mehr Miteinander, heute ist man mehr Dienstleister“, sagt Sigrid Findeklee ein wenig bedauernd. (mz)