1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Merseburg
  6. >
  7. Günther Adolphi und der Massenmord in Auschwitz: Massenmord in Auschwitz - Experte über Günther Adolphi: "Er war kein kleines Rädchen"

Günther Adolphi und der Massenmord in Auschwitz Massenmord in Auschwitz - Experte über Günther Adolphi: "Er war kein kleines Rädchen"

Von Michael Bertram 24.01.2019, 12:30
In seinem Vortrag an der Hochschule Merseburg stellte der NS-Experte Stefan Hördler Details aus seinem Gutachten zu Günther Adolphi vor.
In seinem Vortrag an der Hochschule Merseburg stellte der NS-Experte Stefan Hördler Details aus seinem Gutachten zu Günther Adolphi vor. Peter Wölk

Merseburg - Nur knapp vier Jahre nach der Widmung der Günther-Adolphi-Straße an der Hochschule Merseburg ist endgültig klar: Der Name wird schon bald wieder verschwinden. Zumindest wird dem Stadtrat Merseburg kaum noch eine andere Wahl bleiben, nachdem ein renommierter Experte für den Nationalsozialismus in einem Gutachten die Verstrickungen des Merseburger Wissenschaftlers beim Aufbau und Betrieb einer Produktionsanlage in Auschwitz-Monowitz von 1941 bis 1945 nachgewiesen hat.

Im Rahmen einer fast dreistündigen Veranstaltung an der Hochschule stellte Stefan Hördler, der auch die Gedenkstätte Mittelbau-Dora leitet, seine Erkenntnisse am Mittwoch detailliert vor.

Experte: „Relativ klar, dass Günther Adolphi kein kleines Rädchen war“

„In der Summe der Akten, die ich sichten konnte, wird relativ klar, dass Günther Adolphi kein kleines Rädchen war“, erklärte Hördler dem Publikum, das den Ausführungen aufmerksam lauschte. Zuvor hatten in dem seit drei Jahren tobenden Streit bereits andere Historiker und MZ-Recherchen versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Hördler hatte sich auch schon im Jahr 2015 weltweit einen Namen gemacht, als er im Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning, der schließlich wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war, als Sachverständiger auftrat.

Laut dem Experten verfügte Adolphi als Ingenieur über eine ausgeprägte Leitungsfunktion, Sondervollmachten und den direkten Zugriff auf Zwangsarbeiter. „Er erfüllte seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten“, erklärte Hördler, der zudem Protokolle vorlegte. Eines, in dem vom Einsatz von Kindern als Zwangsarbeiter die Rede ist, wurde von Adolphi unterzeichnet. „Dass der KZ-Komplex Auschwitz ein Ort des Massenmords war, dieses Wissen hatte er hundertprozentig“, ist sich der Gutachter absolut sicher.

Adolphi in Auschwitz: „Ihm war vollkommen klar, was mit denen passiert, die nicht mehr als arbeitsfähig galten“

Hördler argumentiert, dass zum Zeitpunkt des Wechsels von Adolphi nach Auschwitz die SS die Selektion von Arbeitern an die Betriebe übergeben habe, weil diese ihre Bedürfnisse am besten kannten. „Ihm war vollkommen klar, was mit denen passiert, die nicht mehr als arbeitsfähig galten“, meinte Hördler. „Zumal es auch klare Dienstanweisungen zum harten Durchgreifen bei Disziplinlosigkeiten an die Ingenieure gab.“

Doch hätte sich Adolphi der Versetzung nach Auschwitz und der dort alltäglichen Ausbeutung von Gefangenen überhaupt widersetzen können, wie einige im Publikum anzweifelten? „Adolphi handelte aus eigenem Willen und Antrieb, er war ein Zivilist in einem Privatunternehmen“, kommentierte Hördler die Einwände. „Selbst jeder SS-Wachmann hätte sich verweigern können, aber das hätte eben die Konsequenz gehabt, an die Front versetzt zu werden.“ Er habe sich bewusst für diesen Weg entschieden, genauso wie er bewusst Mitglied in Organisationen wie der NSDAP geworden sei.

Dem pflichtete in der anschließenden Podiumsdiskussion auch der Rektor der Hochschule, Jörg Kirbs, bei: „Es wird oft behauptet, man musste das so machen“, sagte er. „Nein, musste man nicht, aber das hätte einen Karriereknick bedeutet.“ Er verwies auf seinen Großvater, der als Rektor einer Schule zwar Mitglied in der Partei der Nazis war, aber angeblich gegen diese arbeitete.

„Er versteckte Juden in seiner Schule“, erzählte Kirbs. Er forderte zudem ein Ende der aus seiner Sicht unsäglichen Debatte und eine schnelle Umbenennung der Straße. Am besten wäre ein neutraler Name wie „Hochschulstraße“, um neuen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, wie er anmerkte. (mz)

Seit fast vier Jahren gibt es Streit um diese Straßenwidmung.
Seit fast vier Jahren gibt es Streit um diese Straßenwidmung.
Peter Wölk