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Kein Kind allein lassen Kein Kind allein lassen: Wie Familienhelfer in der Pandemie unterstützen können

Von Undine Freyberg 28.04.2020, 07:00
Die gewohnte Nähe ist tabu. Familienhelfer entwickeln deshalb Ideen, um trotz Corona an der Seite von Kindern zu sein, die Hilfe brauchen.
Die gewohnte Nähe ist tabu. Familienhelfer entwickeln deshalb Ideen, um trotz Corona an der Seite von Kindern zu sein, die Hilfe brauchen. K. Sieler

Merseburg - „Eine alleinerziehende Mutter mit fünf schulpflichtigen Kinder - da kann man schon mal an seine Grenzen geraten“, sagt Claudia Franke. Die Familienhelferin von der Caritas ist wie ihre anderen fünf Kollegen und weitere Familienhelfer von Trägern wie der Pem (Personalentwicklungs und -management GmbH), der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen, Outlaw oder dem Trägerwerk soziale Dienste (TWSD) auch in Corona-Zeiten unterstützend in Familien tätig. Denn die aktuellen Bedingungen sind hart.

Jugendarbeit hat sich durch die Pandemie verändert

Besonders für Kinder in Familien, in denen das Leben schon in normalen Zeiten nicht wie geschmiert läuft. „Und deshalb will ich den sehen, der es uns und unseren Trägern der Jugendhilfe untersagen will, Kontakt zu Familien zu halten“, gibt sich Antje Springer, die Leiterin des Jugendamtes Saalekreis, kampfbereit. Denn natürlich würden die geltenden Kontakt- und Hygienevorschriften eingehalten.

„Unsere Arbeit hat sich verändert, weil wir jetzt häufiger mit einzelnen Kindern spazieren gehen, oder manchmal auch nur telefonieren“, erzählt Claudia Franke, die Koordinatorin für sozialpädagogische Jugend- und Familienhilfe im Saalekreis ist. „Aber unser oberstes Ziel ist es eben, zu schauen, ob es den Kindern gut geht und wobei die Eltern Unterstützung brauchen.“ Für eine gewisse Zeit leiste man hier Hilfe zu Selbsthilfe.

Sechs Familienhelfer der Caritas sind in 47 Familien unterwegs

Wenn das nicht funktioniert, müsse man den Allgemeinen sozialen Dienst einschalten. „Im Zweifel müssen wir dann sogar Kinder aus der Familie nehmen“, fügt Springer hinzu. Wenn man tatsächlich in die Familien gehe, trage man Mundschutz und Handschuhe, sagt Claudia Franke. „Manche Familien sind sehr gut vorbereitet und kommen zum Beispiel auch einfach mit den Unterlagen, die sie vielleicht erklärt haben möchten, an die Tür.“

Die sechs Familienhelfer der Caritas sind in 47 Familien unterwegs, die zwischen einem und sieben Kinder haben. Insgesamt gibt es im Saalekreis 211 Fälle sozialpädagogischer Familienhilfe, die meisten in Merseburg und Querfurt. Je nach Bedarf werden die Familien ein bis zwei Mal wöchentlich für anderthalb bis zwei Stunden aufgesucht.

Notbremsung obwohl nicht systemrelevant

Und da fällt dann auch auf, dass die aktuellen Beschränkungen - wie in vielen anderen Familien auch - Spuren hinterlassen - und zwar so, dass man eingreifen muss. „Um aus manchen Familien den Druck rauszunehmen, werden auf Empfehlung des Jugendamtes aktuell gut ein Dutzend Kinder in Kitas notbetreut, obwohl ihre Eltern nicht in systemrelevanten Berufen tätig sind“, erklärt die Amtsleiterin. Diese Möglichkeit gebe es.

„Ich wusste, dass ich mich auf die Träger der Jugendhilfe und Mitarbeiter des Jugendamtes verlassen kann, und es ist beeindruckend, mit welchem Engagement und Ideen sie auch in Zeiten von Corona zum Wohle der Kinder arbeiten“, sagt Springer. „Allerdings sehe ich die Probleme weniger in den Familien, die bereits Kontakt mit dem Jugendamt haben, als bei denen, die keine Unterstützung bekommen, die das aber bräuchten.“

Unglück in Merseburg Beispiel um in Kontakt mit Familien bleiben

Ein mögliches Beispiel ist die Familie des sechsjährigen Jungen aus Merseburg, der in der vergangenen Woche durch einen tragischen Sturz vom Balkon schwerste Kopfverletzungen erlitten hatte. Hier besteht nach MZ-Informationen mittlerweile Kontakt zwischen Familie und Jugendamt. Offiziell bestätigen wollte man das aus datenschutzrechtlichen Gründen jedoch nicht.

Im Rahmen der Aktion „Jetzt kein Kind alleine lassen!“ werden alle Menschen gebeten, nicht nur auf sich, sondern auch auf die Menschen in ihrer Nachbarschaft zu schauen. „Manche sind möglicherweise überfordert und könnten Hilfe gebrauchen. Bieten Sie Hilfe an“, bittet Birgit Wutzo, Koordinatorin beider Caritas.

Eine gute Idee wäre es aus ihrer Sicht beispielsweise auch, einen der Flyer der Aktion in die Hauseingänge von Mehrfamilienhäusern zu hängen, so dass jeder, der bemerkt, dass ein Kind in Gefahr oder eine Familie in einer Notsituation ist, weiß, wohin er sich wenden kann.
Die unterschiedlichsten Flyer in verschiedenen Sprachen gibt es unter https://www.deine-playlist-2020.de/erwachsene#downloads 

„Wer weiß, was dahinter gesteckt hat, dass der Junge allein zuhause war“, sagt Birgit Wutzow von der Caritas. Sie ist die Koordinatorin des Lokalen Netzwerks für Frühe Hilfen und Kinderschutz im Saalekreis und verweist auf die Aktion „Jetzt kein Kind alleine lassen!“ (siehe „Nachbarn sollten hinschauen“). Normalerweise kommen rund 75 Prozent der Hinweise darauf, dass ein Kind in problematischen Verhältnissen lebt, von Lehrern, Kita-Erziehern oder aus Sportvereinen.

Weniger Besucher: Höhere Kosten der Betreuung in den Kinderheimen im Saalekreis

„Das fällt gerade weg“, so Wutzow. Familien, denen die Ideen ausgehen, wie sie die aktuelle Situation meistern sollen, empfiehlt sie einen Blick ins Netz. „Dort findet man Beratungsangebote, Spieletipps und Ideen, wie man die Familienzeit durch Struktur und Kreativität abwechslungsreich gestalten kann.“

Dadurch, dass aktuell alle Kitas geschlossen sind und nur sehr wenige Schüler, ihre Schulen besuchen können, erhöhen sich auch die Kosten der Betreuung in den Kinderheimen im Saalekreis, da diese sich nun praktisch 24 Stunden um ihre Schützlinge kümmern müssen. „Wir rechnen für die 146 Kinder in den 23 stationären Einrichtungen des Kreises im Monat April mit einer Kostensteigerung um rund 45.000 Euro“, erklärt Antje Springen. „Das ist eine Herausforderung für unseren Haushalt. Deshalb hoffen wir hier auf die Unterstützung von Bund und Land.“

››Familien, die Unterstützung möchten, können sich unter Tel. 03461/ 40 15 90 melden. Tipps für Familien unter: https://www.saalekreis.de/de/familienhilfen-in-pandemiezeiten.html (mz)