"Ich habe drei Nächte nicht geschlafen" "Ich habe drei Nächte nicht geschlafen": Müchelner Bäcker macht Zwangspause

Mücheln - Für den Müchelner Bäckermeister Helge Sommerwerk hätte es eigentlich ein gelungener Tag sein müssen. Seine Auszubildende Eileen Seiche absolvierte in dieser Woche nach dreijähriger Lehre erfolgreich die praktische Abschlussprüfung zur Bäckerin, nachdem sie schon in der Theorieprüfung gut abgeschnitten hatte. Doch tatsächlich sah ihr Chef das aber mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Denn die 19-jährige Geusaerin möchte sich nun zwei Jahre lang zur Konditorin weiterqualifizieren. Dafür wechselt sie aber in ein anderes Unternehmen. Ob sie jemals in den Familienbetrieb nach Mücheln zurückkehrt, ist fraglich. Für den Bäckermeister bedeutet das wieder eine Mitarbeiterin weniger. Seine ohnehin schon großen Personalsorgen wachsen.
Zu wenig Personal: Müchelner Bäcker macht Zwangspause
Trauriger Höhepunkt für ihn war, dass er im Juli seine komplette mehr als 20 Mann starke Belegschaft in einen einwöchigen Zwangsurlaub schicken musste, weil er einfach nicht mehr genug Personal in der Backstube zur Verfügung hatte. Seit der Betrieb 1890 gegründet wurde, hat es so etwas noch nie gegeben. Konkret seien es jetzt aber in der Backstube ein Drittel weniger Leute gewesen als zu Jahresbeginn, sagt er. Gründe dafür seien sowohl der Sommerurlaub als auch der Weggang von Mitarbeitern durch einen Umzug.
„Ich habe deshalb drei Nächte nicht geschlafen“, so Helge Sommerwerk. Schließlich könne man als Bäcker nicht einfach den Betrieb einstellen. Da müsse die komplette Produktion heruntergefahren werden. Und man habe es hier ausschließlich mit verderblicher Ware zu tun. Auch könne am Ende nicht so einfach wieder mit der Arbeit begonnen werden. Der Sauerteig für das Brot brauche schließlich drei Tage Vorbereitungszeit, bevor er verarbeitet werden könne.
Bäckerhandwerk harter und unterbezahlter Beruf
Darüber hinaus seien all seine Mitarbeiter in den Filialen an sieben Standorten im Saale- und im Burgenlandkreis betroffen gewesen. Auch für sie mussten Lösungen wie das Abbummeln von Überstunden gefunden werden. „Aber was soll ich machen?“, ist der Chef ratlos. „Ich kann doch die verbliebenen Mitarbeiter nicht auf Verschleiß fahren.“ Zumal auch jetzt die Situation nicht viel besser sei. Seine Sorgen sind also dieselben geblieben. Zwei Stellen als Bäcker könnte er sofort besetzen. Hilfskräfte habe er dieses Jahr zwar gefunden, „aber da hatte ich auch Glück“. Dass kaum noch jemand Bäcker werden wolle, liege an den Arbeitszeiten mit dem Beginn noch mitten in der Nacht, an der immer noch harten körperlichen Arbeit bei großer Hitze am Backofen speziell im Sommer und nicht zuletzt daran, dass es ein Beruf im Niedriglohnsektor sei.
Gleichzeitig seien die Anforderungen vielfältig, zeigte Helge Sommerwerk auf das Prüfungspensum seiner Auszubildenden. Tatsächlich hatte Eileen Seiche acht Stunden Zeit, um in der ihr fremden Backstube der Merseburger Bäckerei von Monika Heise mit ihrem Rezeptbuch Brot und Brötchen, Eclairs, Blätterteigtaschen, eine Pizzazunge als Snack und eine Torte anzufertigen. Dabei wusste sie vorher nicht, welches Sortiment von ihr verlangt wird. Den Arbeitsablauf dafür zu organisieren, war ebenfalls ihre Sache. Dennoch ist Bäckerin für die junge Frau nach wie vor ihr Traumberuf.
Zahl der Bäckereien als auch die Zahl der Innungen sind stark rückläufig
Dass immer weniger Bäckerbetriebe so wie Helge Sommerwerk Personal und/oder Nachwuchs finden und deshalb sogar aufgeben müssen, zeigt die Statistik des Landesinnungsverbandes des Bäckerhandwerks Sachsen-Anhalt. Sowohl die Zahl der Bäckereien als auch die Zahl der Innungen sind stark rückläufig (siehe Grafik). Das treffe auch auf die hiesige Region zu, ergänzt Helge Sommerwerk, der selbst Obermeister der Bäckerinnung Merseburg ist. Diese löse sich nun nach 100 Jahren wegen Mitgliedermangels auf. Die verbliebenen Mitglieder gehören künftig einzeln dem Landesverband an.
Auch Bäckermeisterin Monika Heise weiß, dass ihrem Betrieb die endgültige Schließung droht, wenn sie 2022 in Rente geht. Einen Nachfolger hat sie nicht. Dabei ist ihr Geschäft in Merseburg-West eine Institution. Er wurde von ihrem Opa 1952 gegründet. Mit seinen Rezepten arbeitet seine Enkelin bis heute. Es ist Wissen, das verloren gehen wird. (mz)
