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Doppelbelastung Hochschule Merseburg: Benjamin Paul Angestellter und Student

Von Walter Zöller 30.04.2016, 14:00
Benjamin Paul arbeitet als De­ka­nat­sas­sis­tent.
Benjamin Paul arbeitet als De­ka­nat­sas­sis­tent. Peter Wölk

Merseburg - Wenn Benjamin Paul die Räume der Hochschule Merseburg betritt, muss er mehrfach in der Woche die Rolle wechseln.

Von montags bis donnerstags ist der 26-Jährige aus Braunsbedra im Saalekreis vor allem Angestellter der Hochschule. Als Dekanatsassistent hilft er ausländischen Studenten, die richtigen Kurse zu finden. Oder er erledigt Aufträge von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren. Auch am Freitagnachmittag und am Sonnabend ist Paul an der Hochschule. Dann aber als Student der Wirtschaftswissenschaften.

"Ich trete sozusagen meine zweite Schicht an", sagt er lächelnd. Paul verfolgt in dieser Zeit Vorlesungen oder sitzt in Seminaren, die eigens für ihn und 59 weitere Studenten auf das Wochenende verlegt wurden.

Paul und seine Mit-Kommilitonen sind in gewisser Weise etwas Besonderes: Sie gehören zu den immer noch wenigen Frauen und Männern in Sachsen-Anhalt, die studieren, obwohl sie nicht über die allgemeine Hochschul- oder Fachhochschulreife verfügen. Sie sind Seiteneinsteiger, die wissen, wie es im Berufsleben zugeht.

Steigende Zahl

Bundesweit ist die Zahl dieser Studenten gestiegen, wie das Zentrum für Hochschulentwicklung vor kurzem in einer Untersuchung feststellte. Sie hat sich zwischen 2010 und 2014 nahezu verdoppelt, vor gut eineinhalb Jahren waren es fast 50.000.

In Sachsen-Anhalt geht der Trend allerdings in die umgekehrte Richtung. Mit aktuell einem Prozent Studenten ohne Hochschulreife liegt er laut CHE deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Mit 60 von rund 3.000 Studenten steht die Hochschule Merseburg noch recht gut da.
Eigentlich wollte Benjamin Paul sein Abitur machen, in der 10. Klasse endete seine Schullaufbahn aber. "Ich war abgelenkt, vielleicht war ich damals auch nicht ehrgeizig genug." Das hat sich geändert.

Paul holte den erweiterten Realschulabschluss nach und begann eine Lehre als Kaufmann für Bürokommunikation. Er hatte sich erfolgreich auf eine Stellenanzeige der Hochschule beworben

Drei Jahre Berufserfahrung nötig

Die Arbeit im Büro, der Umgang mit Menschen liegen dem Auszubildenden, nach dem Ende seiner Lehre wird er 2010 zunächst befristet und später dauerhaft angestellt. Und in Paul reift der Gedanke, es nicht dabei bewenden zu lassen. Er bewirbt sich für ein Studium, kann die notwendige abgeschlossene Berufsausbildung und drei Jahre Berufserfahrung vorweisen.
Und Paul schaffte die Feststellungsprüfung für das Studium der Wirtschaftswissenschaft, er wählte das Thema Globalisierung. Die inhaltliche Auseinandersetzung machte ihm dabei wenig zu schaffen. "Aber der Einstieg in das wissenschaftliche Arbeiten war schwierig."

Warum gibt es an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt so wenig Seiteneinsteiger wie Benjamin Paul? Sigrun Nickel vom Centrum für Hochschulentwicklung kann nur vermuten. Die ostdeutschen Bundesländer seien noch nicht so strukturstark wie im Westen. Bei Arbeitnehmern sei möglicherweise deshalb die Bereitschaft geringer, neben dem Beruf ein Studium zu beginnen. Zumal der Gang zur Universität auch mit dem Risiko verbunden ist, dort zu scheitern.

An den Hochschulen in Sachsen-Anhalt kann es kaum liegen. Überall ist das Bemühen erkennbar, Berufstätigen ohne Abitur den Weg in den Hörsaal zu ebnen: etwa durch den Lehrbetrieb an Wochenenden oder mit speziellen Vorbereitungskursen.

Große Herausforderung

Tagsüber arbeiten, abends büffeln und am Samstag Seminare besuchen - das ist nicht leicht. "Ich muss mich gut organisieren", sagt Benjamin Paul. Eine 50-Stundenwoche sei die Regel, manchmal kämen auch noch ein paar Überstunden für das Studium hinzu.

Was er nicht sagt: Ohne Ehrgeiz und Disziplin würde das Studium zur Null-Nummer. Und Paul muss mit dem auskommen, was er in seinem 30-Stunden-Job verdient. Paul will es schaffen. Erst den Bachelor. "Und vielleicht mache ich dann noch den Master-Abschluss." (mz)