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11. Merseburger Filmtage 11. Merseburger Filmtage: Ein wilder Hauch von DDR

Von Kai Agthe 04.04.2016, 06:32
Sommer 1977: Ursula Werner und Peter Reusse im Heu.
Sommer 1977: Ursula Werner und Peter Reusse im Heu. DEFA-Stiftung/Zähler

Merseburg - In diesem Jahr wäre die Defa, die einstige staatliche Filmgesellschaft der DDR, 70 Jahre alt geworden. Das Fernsehen des Mitteldeutschen Rundfunks und von Radio Berlin Brandenburg erinnern dezeit mit einer Auswahl von Klassikern an das Jubiläum des Filmunternehmens aus Potsdam-Babelsberg. Seit elf Jahren ist die Würdigung von wichtigen Produktionen aus der ostdeutschen Traumfabrik und ihrer Darsteller auch ein fester Bestandteil im Kulturkalender von Merseburg: in Gestalt der Defa-Filmtage.

Ein Höhepunkt der diesjährigen Auflage war die Wiederaufführung von „Ein irrer Duft von frischem Heu“. Das ist ein Farbfilm, der eine kunterbunt-leichte Geschichte erzählt, die auf dem gleichnamigen Lustspiel von Rudi Strahl (1931-2001) fußt und vor allem unterhalten will. Gewiss, aus dem Abstand von gut vier Jahrzehnten wirkt die Ästhetik des Films leicht angestaubt, die Dramaturgie etwas betulich. Im Zeitalter der schnellen Schnitte ist die 1977 in die Kinos der DDR gekommene Komödie mit Ursula Werner und Peter Reusse jedoch ein Beitrag zur cineastischen Entschleunigung. Und die verfehlte, wie bei der Eröffnung der 11. Merseburger Defa-Filmtage zu erleben war, ihre Wirkung beim Publikum nicht. Die Zuschauer, das zeigte ein Blick in den Saal, waren alt genug, um das Land, in dem der Streifen spielt, noch selbst erlebt zu haben. Ein Staat, in dem der Ausruf „Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger“ allgegenwärtig war.

Spökenkieker Mattes

„Ein irrer Duft von frischem Heu“ nimmt diese Redensart auf, denn Mattes (Peter Reusse) wird nachgesagt, das zweite Gesicht zu haben oder – wie man in Mecklenburg, wo die Handlung spielt, sagt – ein Spökenkieker zu sein. Dr. Angelika Unglaube (Ursula Werner), Mitarbeiterin der SED-Bezirksleitung, wird in dem fiktiven Dorf Trutzlaff vorstellig, um zu ermitteln, was es mit den von Mattes sofort bewirkten „Unglaublichkeiten“ und seinen etwas mehr Zeit beanspruchenden Wundern auf sich habe.

Pastor Himmelknecht (Martin Hellberg) will das ebenso in Erfahrung bringen wie Monsignore Romeo Aventuro (Jan Triska), der als Gesandter des Papstes nach Mecklenburg geeilt ist. Zu all den daraus resultierenden Verwicklungen kommt noch jener, alle Gäste irritierende Heuduft, der, wie Mattes Angelika verrät, die Wirkung von Haschisch habe. Und so taumelt nicht nur Dr. Unglaube beglückt durchs Dorf als sei Trutzlaff eine Hippie-Kommune.

Die Defa-Filmtage starteten, wie Mitorganisatorin Halina Czikowsky sagte, vor elf Jahren als studentisches Projekt an der Hochschule Merseburg. Daraus ging der „Förderverein Kino Völkerfreundschaft“ hervor, der das kleine Festival veranstaltet. Das erfreut sich seit Langem großer Beliebtheit. Jedes Jahr werden bei der dreitägigen Veranstaltung, die im Domstadtkino stattfindet, um die 1 500 Gäste gezählt. Während die Filmtage in den vergangenen Jahren Schauspielgrößen wie etwa Dieter Mann und Rolf Hoppe oder einer Regisseur-Ikone wie Wolfgang Kohlhaase gewidmet waren, standen sie in diesem Jahr unter dem Motto „Ehrgeiz, Liebe, Hoffnung“.

Drei Themen, für die „Ein irrer Duft von frischem Heu“ repräsentativ stehen kann. Eine Filmkomödie mithin, die, ohne zu sehr über die Strenge zu schlagen, nicht nur die Kirchen beiderlei Konfession aufs Korn nimmt, sondern auch die SED. Wäre der Film nicht 1977, sondern zehn Jahre früher entstanden, die humoristisch-naive Darstellung einer Vertreterin der Einheitspartei, die der Publizist Friedrich Dieckmann rückblickend als „Einheizpartei“ bezeichnete, hätte leicht zum Verbot des Streifens führen können.

Dem aufmerksamen Zuschauer bietet der Film auch einige witzige Details: Das Abbild Peter Reusses ist auf dem Titel der Programmzeitschrift „FF Dabei“ zu sehen, das er sich in einer Szene vors Gesicht hält. Das von Ursula Werner auf einem Kalender, der in Mattes Küche hängt. Und beide zusammen erscheinen in einem Film, der an einer Stelle auf dem Bildschirm von Mattes Fernsehgerät flimmert.

Knut Elstermann moderierte im Anschluss ein Gespräch mit den beiden Hauptdarstellern. Noch vor dem Film wurde der auch durch den MDR-Hörfunk bekannte Filmkritiker befragt. So etwa, wo seine Liebe zum Kino herrühre, die ihn Kritiker habe werden lassen. Als Kind, so der Berliner Journalist, habe er gut 50 Mal den Film „Der kleine Muck“ gesehen. Irgendwann habe ihn aus guten Gründen nicht mehr interessiert, was, sondern wie erzählt werde. So habe er sich von klein auf im Fach geschult.

Einstige Leinwand-Jünglinge

„Kino King Knut“, wie ihn seine Freunde nennen, hatte mit Ursula Werner eine Schauspielerin an seiner Seite, die er seit vielen Jahren kennt und sie deshalb, ähnlich wie Reusse, kurz „Uschi“ ruft. Der Kritiker fragte sie, wie sie heute auf das Wirken der Defa blicke. „Sie hat viele gute Filme produziert, die heute oft besser bewertet werden als damals“, meinte Werner. Von Elstermann darauf angesprochen, wie Reusse das Wiedersehen des gut 40 Jahre alten Films empfunden habe, entgegnete dieser: „Den Film wieder zu sehen, das ist wie eine Zeitreise. Wem ist es schon gegeben, sich auf der Leinwand nochmals als Jüngling zu sehen?“ In diesem Sinne bleibt auch der irre Duft von frischem Heu ewig jung.

Wer Defa-Filme zeigt, hat es heute natürlich nicht mehr mit Jünglingen zu tun. Das gilt auch für Herbert Köfer und Otto Mellies, die beide Gäste der Filmtage waren. Köfer, trotz seiner 95 Jahre noch immer ein Ausbund an Energie, war gekommen, um sich mit den Filmfreunden den Film „Jungfer, Sie gefällt mir“ (1968), eine Adaption von Kleists Drama „Der zerbrochene Krug“, anzusehen. Der 85-jährige Mellies, der sowohl Schauspieler als auch Synchronsprecher ist, erinnerte sich wiederum an seine Rolle des Dr. Schlüter, die er 1965 in der gleichnamigen Serie des DDR-Fernsehens spielte. (mz)

Frühling 2016: Ursula Werner und Peter Reusse in Merseburg
Frühling 2016: Ursula Werner und Peter Reusse in Merseburg
Peter Wölk