Viele Schönheit-OPs im Lockdown Viele Schönheit-OPs im Lockdown: Was Menschen an sich ändern lassen
Magdeburg - Ein Druck auf die Türklinke und die verzierte Holztür der Altbauwohnung schwingt auf. Dahinter führen einige Meter über hölzerne Dielen in einen hell erleuchteten Raum. Sitzecke, Schreibtisch, Vitrinen. Eine petrolfarbene Couch ist der einzige Farbtupfer in diesem Stillleben aus Holz und weißem Lack. Die Szene wirkt, als wäre sie aus einem Katalog für teure Möbel geschnitten - bloß die Preisschilder fehlen. Das Wartezimmer der Beratungspraxis für Ästhetische und Plastische Chirurgie „Lamare“ in Magdeburg will anders sein als das einer gewöhnlichen Arztpraxis. Denn hier geht es nicht um Heilung, sondern um Schönheit.
Auch Chirurg Mathias Reutemann entspricht nicht dem gängigen Arzt-Klischee: kein Kittel, keine Schlappen. Der 48-Jährige trägt weißes Hemd, Jeanshose, Turnschuhe, die Haare sind zu einem kurzen Zopf gebunden. Er könnte auch als Marketing-Chef eines hippen Jungunternehmens durchgehen. Doch die Passion des Facharztes liegt anderswo. Reutemann vergrößert Brüste, spritzt Botox und strafft Gesichter. „Es geht darum, frischer auszusehen“, sagt der Mediziner. Und sein Handwerk hat in der Corona-Pandemie an Beliebtheit gewonnen.
Junge Mütter kommen
Gut ein Fünftel mehr Anfragen erreichen ihn nach eigenen Angaben seit einigen Monaten. Weil Reisen und viele Hobbys wegfielen, hätten viele Menschen Zeit und Geld übrig, sagt Reutemann. Hinzu komme der Wunsch, sich im zermürbenden Lockdown etwas Gutes zu tun. Und der ständige Blick in das eigene Gesicht - vor allem in Videokonferenzen. Denn die Computerprogramme zeigen dabei neben den Gesprächspartnern auch das eigene Porträt, aufgenommen durch die Computerkamera. „Da kommen Dinge ins Bewusstsein, die man lange nicht gesehen hat“, sagt Reutemann.
Bundesweit zeichnet sich in Schönheitspraxen eine steigende Nachfrage ab. Laut der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) melden viele Ärzte seit Mitte vergangenen Jahres mehr Anfragen zu Schönheitsbehandlungen. Vor allem Eingriffe im Gesicht seien offenbar sehr beliebt, sagt Sprecherin Kerstin van Ark. „Es gibt ein stetig steigendes Wachstum.“
Das spürt auch Facharzt Mathias Reutemann in seiner Magdeburger Beratungspraxis. Sie liegt im Domviertel, einer der nobelsten Gegenden der Landeshauptstadt. Wenige Hundert Meter entfernt liegt Sachsen-Anhalts Staatskanzlei. Dahinter reckt sich der Dom empor, die Elbe ist nur wenige Fußminuten entfernt.
Preise sind immer individuell
Zu seinen Patienten zählten Menschen im Alter zwischen 16 und 72, über drei Viertel davon Frauen, erzählt Reutemann. Der Behandlungsklassiker: das „Mommy-Makeover“, auf deutsch Mama-Verjüngungskur. Bei diesen Behandlungen geht es um das Straffen erschlaffter Haut an Brust und Bauch nach der Geburt. „Ansonsten geht es um die typischen Alterserscheinungen, die uns alle irgendwann ereilen“, sagt der Mediziner. Etwa Krähenfüße an den Augen oder die „Merkel-Falte“. Sie tritt hervor, wenn die Haut an den Wangen über die Jahre erschlafft.
Zur Demonstration klappt Reutemann den mit Holz verzierten Bildschirm seines Laptops auf. Darauf prangt ein Vorher-Nachher-Bild. Es zeigt zwei Fotos einer Frau, vielleicht Mitte 50. Auf dem zweiten Bild ist ihre Gesichtshaut sichtlich gestrafft, der Blick aufgeweckter. Für so ein Face-Lifting setzt der Chirurg zarte Schnitte am Rand des Gesichts und zieht dann die Haut straff. Auch mit dem Nervengiftpräparat Botox glättet Reutemann Falten, ungewollte Fettpolster beseitigt er ebenso. Absaugen, wegfrieren oder mit Silikon nachpolstern - all das gehört zu seinem Behandlungsspektrum.
Pauschale Preise gibt es für die Behandlungen nicht. Sie seien immer individuell, so Reutemann. Spritzen gibt der Mediziner im Behandlungsraum seiner Praxis, Operationen führt er in einer Klinik durch. Dabei gilt stets: Diskretion. Patienten begegnen sich in den Warteräumen nicht. Schließlich gehören auch TV-Stars zu seinen Kunden.
Das ideale Gesicht
Dünner, straffer, jünger - viele Menschen möchten sich schöner fühlen. Doch lässt sich Schönheit überhaupt messen? „Nein, das liegt immer im Auge des Betrachters.“ Doch unabhängig davon seien die Wünsche seiner Patienten stets echt. Und für die Verjüngung eines Gesichts gibt es dann doch klare Regeln: Eine kantige V-Form, hohe Wangenknochen, ein gerader Mund - all das seien objektive Merkmale eines jungen, weiblichen Gesichts.
Veränderungen am eigenen Körper sind für viele Menschen indes buchstäblich einschneidende Erlebnisse. Auf Reutemanns Schultern lastet daher auch große Verantwortung. Er hat sich jedoch klare Regeln gesetzt: Drei Beratungsgespräche sind Standard vor einem Eingriff - es soll eine gut überlegte Entscheidung sein. „Mir ist das sehr wichtig.“ Extreme Eingriffe, wie übergroße und damit gesundheitsschädliche Brustimplantate, lehne er ab. „Sowas wie 800-Milliliter-Implantate - das mache ich nicht.“ Das handhaben längst nicht alle Mediziner in der Branche so.
Vor etwa drei Jahren starben zwei Patientinnen eines deutschen Arztes nach Gesäßvergrößerungen - dem sogenannten Brasilian-Butt-Lift. Im November 2020 hatte das Landgericht Düsseldorf den Mediziner wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Gesäßvergrößerungen sind umstritten. Dabei saugen Ärzte das Fett von Stellen ab, an denen es stört, und spritzen es in das Gesäß. Rund eine von 3.000 Patientinnen stirbt dabei - meist durch Fehler des Arztes. So können hier etwa Venen verletzt werden. „Wir sehen mit wachsender Popularität und einer Ausweitung der Anbieter immer mehr Komplikationen“, mahnt DGPRÄC-Präsident Lukas Prantl.
Qualität sehr unterschiedlich
Denn die Qualität der Schönheitsmedizin ist durchwachsen: In Deutschland darf jeder zugelassene Arzt Brüste vergrößern und Falten glätten - ohne einen Facharzttitel. Bei Eingriffen, die die Krankenkasse zahle, sei das anders, betont Verbandssprecherin van Ark. Die Folge: Manchem selbst ernannten Schönheitsdoktor mangele es an Kompetenz. „Man muss gucken, wem man sich unters Messer legt“, sagt van Ark.
Auch Mathias Reutemann blickt skeptisch auf die Branche. „Die Szene ist zu unprofessionell.“ Er ist einer der wenigen Fachärzte für Plastische und Ästhetische Chirurgie in Sachsen-Anhalt, die Schönheitsbehandlungen anbieten. Seit 2015 betreibt er seine private Praxis, arbeitet nebenbei jedoch auch in einer Magdeburger Klinik. Hier behandelt er vor allem Brustkrebspatientinnen.
Die ästhetische Chirurgie sei indes nicht zu unterschätzen, sagt Reutemann und lehnt sich in seinem weißen Ledersessel zurück. „Es ist schwieriger, als man denkt.“ Er nimmt zwei Brustimplantate aus einer Glasvitrine. Die durchsichtigen, weichen Kunstbrüste wackeln wie Pudding in seinen Händen. Eines der Implantate beschreibt eine gleichmäßige Halbkugel, das andere hat die Form eines Tropfens. Patientinnen hätten die Wahl, ob sie eine künstlich aussehende Brust haben möchten oder eine, die der echten ähnlich sieht, so Reutemann. Dazu formuliert er seine Berufsmaxime - und die ist ebenso widersprüchlich wie einleuchtend: „Am besten ist meine Arbeit, wenn man sie gar nicht sieht.“ (mz)