Vorfristiges Jubiläum Vorfristiges Jubiläum: Bäckerei Schneider in Köthen hat 75-jähriges Bestehen gefeiert

Köthen - Eigentlich dachte Jens Schneider, mit dem Jubiläum noch viel Zeit zu haben: „Ich war der Meinung, wir werden erst im nächsten Jahr 75 Jahre alt“, so der Köthener Bäckermeister. Die Handwerkskammer in Halle sei es gewesen, die die Datenlage zurechtgerückt hat: Am 15. Juni 1945 hat Jens Schneiders Großvater Otto in Köthen eine Bäckerei gegründet. Und zwar nicht in der Neustädter Straße, wo sich die Bäckerei derzeit befindet, sondern in der Lohmannstraße 6 - wo heute ein Dönerladen zu finden ist.
Otto Schneider war aus dem Schlesischen nach Köthen gekommen, ein Vertriebener wie viele andere auch. „Einiges an Dokumenten ist auf der Flucht verlorengegangen“, sagt Jens Schneider, der sich bemüht, die Familien- und Firmengeschichte bestmöglich zu rekonstruieren. Die ihren Ausgangspunkt in der Nähe von Breslau genommen hat.
Deren zentraler Ort seit Oktober 1951 ist die Bäckerei in der Neustädter Straße 12
Dort hatte Otto Schneider von 1927 bis 1930 gelernt und Anfang 1943 seine Meisterprüfung abgelegt. Ob er in Schlesien schon eine eigene Bäckerei betrieben hat, ist nicht sicher aufzuschlüsseln - mit seinen Eltern wohl eher „einen Hof mit Bäckerei“, sagt Jens Schneider, „und was vorher war, weiß man nicht.“ Auch habe man in der Familie nicht darüber geredet, was der derzeitige Chef am Backofen sehr bedauert - und vielleicht auch deswegen selbst der Familiengeschichte mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt.
Deren zentraler Ort seit Oktober 1951 - da steht dann 2021 doch ein Jubiläum ins Haus - die Bäckerei in der Neustädter Straße 12 ist, wo zuvor Bäckermeister Schönian buk, dessen Meisterurkunde, wilhelminisch verschnörkelt und verziert den Kundenraum schmückt, neben den nüchterner gehaltenen, weil jüngeren Qualitätsnachweisen der Schneider-Bäcker.
Deren mittlerer, Klaus Schneider, ursprünglich gar nicht in diese Rolle schlüpfen, sondern Lebensmittel-Technologie studieren wollte. Was nicht klappte, „und so ist er Bäcker geworden“, beschreibt Jens Schneider knapp.
Dass jemand mit 22 Jahren schon seinen Meister machte, verblüfft heutzutage
Immerhin muss Klaus Schneider schon ein früh vollendeter Bäcker gewesen sein: Dass jemand mit 22 Jahren schon seinen Meister machte, verblüfft heutzutage, wo bei manchem die echte berufliche Entwicklung erst in den Dreißigern beginnt, mehr als früher. Schneider Nr. 2 machte nebenher auch noch sein Abi - die Lebensmitteltechnologie ging ihm nicht aus dem Hinterkopf - aber Frau und Nachwuchs ließen ihn auf dem goldenen Boden des Handwerks verbleiben.
Der zu DDR-Zeiten aber auch holprig war. Nicht zuletzt der technischen Ausstattung wegen. Es sei kolossal schwierig gewesen, an moderne Technik heranzukommen. „Meist hat man Maschinen aus Bäckereien gekauft, die dicht gemacht haben.“ Es habe in der DDR nur einen Ofenbauer gegeben. „Der saß in Bernburg und die Wartezeiten waren so lang wie bei einem Auto“, listet Jens Schneider einen wesentlichen Punkt der Rahmenbedingungen für Bäckereien im DDR-Sozialismus auf. Schneiders standen auf der Warteliste, „aber bis zur Wende haben wir nichts bekommen.“
Im Unterschied zu seinem Vater wollte Jens Schneider immer Bäcker werden. Und hat sich daher mit Händen und Füßen gesträubt, als die POS ihn auf die EOS schicken wollte. Mit Heiterkeit erinnert er sich noch an die Gespräche mit seinem Direktor Twieg: „Der hatte immer neue Argumente und ich habe immer nur gesagt: Ich will Bäcker werden.“
Seit 2012 ist Jens Schneider auch offiziell der Chef des Unternehmens
Seit 2012 ist Jens Schneider auch offiziell der Chef des Unternehmens, das Klaus Schneider 38 Jahre lang geführt hat. Für Jens Schneider ist es „nach wie vor ein schöner Beruf“, wenngleich er auch weiß, dass ein Bäcker „immer ein Gehetzter“ ist. „Ein Schuster kann die Schuhe einfach beiseite legen, wenn ihm danach ist. Der Maurer legt die Kelle aus der Hand. Der Bäcker muss immer fertig machen, was er angefangen hat, da gibt es keinen Weg dran vorbei.“
Auch wenn die Arbeitszeiten danach sind, dass man schon einen anderen Arbeits- und Lebensrhythmus pflegen muss als das Gros der Bevölkerung. „Um 0.10 Uhr klingelt der Wecker“, beschreibt Schneider einen normalen Arbeitstag. Den er bis gegen 9 Uhr in der Backstube verbringt.
Dann gibt es zwei Stunden Ruhe, denen Zeit für alles Mögliche folgt: Termin, Arztbesuche, das Kind abholen oder irgendwo hinbringen. 19 Uhr ist Nachtruhe. Schlaf ist etwas, von dem ein Bäcker immer zu wenig bekommt. Und bei Jens Schneider kommt noch hinzu, dass er von seiner zerhackten, knappen Freizeit etliches der Kommunalpolitik opfert: Der Bäcker sitzt seit vielen Jahren für die CDU im Köthener Stadtrat.
Es habe auch ein Jahr gegeben, in dem das Unternehmen auf der Kippe stand
Auch als Vertreter der Handwerker und Gewerbetreibenden: Schneider weiß nur zu gut, wie sehr es auf funktionierende Strukturen in einer Stadt wie Köthen ankommt. Ende der 1990er Jahre hatte auch die Bäckerei Schneider ein Tief „wie viele Handwerksbetriebe“.
Es habe auch ein Jahr gegeben, in dem das Unternehmen auf der Kippe stand - aber mit Durchhaltevermögen und der Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, hat Schneider die Talsohle hinter sich gebracht. „Wir haben das Angebot verbreitert, eine Konditorin angestellt, uns breiter aufgestellt, einen größeren Kundenkreis dazugewonnen.“ Die Verteilung des Geschäfts auf mehrere Standbeine hat dem Unternehmen auch relativ über die Corona-Klippe hinweggeholfen.
Erfolgreich war auch vor Jahren die Eröffnung eines Geschäfts auf dem Boulevard. „In der Neustädter Straße bedienen wir die Frühkundschaft, auf dem Boulevard ist der Nachmittag wichtiger.“
100 Jahre Bäckerei Schneider werden es aber eher nicht werden, sagt Jens Schneider
Nach wie vor setzt man auf natürliche Rohstoffe, auf altbewährte Bäckerkunst - bietet aber einmal im Monat auch ungewöhnliche Mischungen an: Kürbisbrot, mediterrane Zungenschnalzer mit Olivenöl und Knoblauch, Küstenkruste. „Da haben wir eine Nische gefunden“, sagt Schneider. Der auch auf Entschleunigung setzt: Der Teig muss sich entfalten - „Geschmack durch Zeit“, nennt das Jens Schneider.
Der auch auf den familiären Charakter des Geschäfts verweist. Das bezieht natürlich Mutter, Frau und Kind mit ein; Frau Birgit hat zum Beispiel nach 20 Jahren als Friseurmeisterin die Branche gewechselt und den organisatorischen Teil übernommen. Aber er meint auch die insgesamt sechs weiteren Angestellten.
75 Jahre sind um. 100 Jahre Bäckerei Schneider werden es aber eher nicht werden, sagt Jens Schneider und lacht. Seine Tochter backe zwar gern Kuchen für die Familie, aber die Bäckerei übernehmen will die Gymnasiastin eher nicht. „Irgendwann wird halt das Licht ausgehen. Aber noch nicht so bald.“ (mz)
