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Stieftöchter sexuell missbraucht Stieftöchter in Aken sexuell missbraucht: Angehörige demonstrieren vor dem Landgericht in Dessau

Von Doreen Hoyer 13.02.2018, 09:11
Angehörige der Schwestern protestieren vor dem Gericht gegen Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch.
Angehörige der Schwestern protestieren vor dem Gericht gegen Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch. Hoyer

Dessau/Aken - Wie stellt sich der Angeklagte sein weiteres Leben vor? Das wollte Richter Thomas Knief am Montag von Andreas X.* wissen. Der antwortete, das hänge vom Ausgang des Verfahrens ab. Nur so viel: „Ich habe schon daran gedacht, wegzugehen.“

Andererseits würde Andreas X. auch gern bleiben, Aken sei schließlich seine Heimat. Zur Zeit lebe er nicht in seinem eigentlichen Zuhause, fuhr der Akener fort. Er habe woanders Unterschlupf gefunden. Die Leute dort „tolerieren“ ihn, sagte er, sie wüssten von den Vorwürfen.

Die Vorwürfe gegen den Mann haben es tatsächlich in sich. Über viele Jahre hinweg soll X. seine beiden Stieftöchter sexuell missbraucht haben. Der erste Vorfall soll sich Mitte der 1990er Jahre ereignet haben. Die Mädchen waren jeweils etwa zwölf Jahre alt, als die in der Anklage aufgeführten Übergriffe begonnen haben sollen.

Berichterstattung hat zu diversen Gewaltandrohungen gegen Andreas X. geführt

Vor dem Amtsgericht Köthen war X. 2017 zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Doch er ging in Berufung. Vor dem Landgericht in Dessau zeigte sich, dass zumindest die beiden Taten, die die ältere Schwester betreffen, bereits verjährt sein könnten. Zusätzlich werden X. noch fünf Übergriffe auf die jüngere Schwester zur Last gelegt.

Der Beginn der Berufungsverhandlung Ende Januar hatte für ein großes mediales Echo gesorgt. Eine Boulevardzeitung hatte ein Foto abgedruckt, auf dem das Gesicht des Angeklagten gut zu sehen war. Zudem gab es Gerüchte, Andreas X., dem unter anderem ein Grundstück neben der Akener Kita „Borstel“ gehört, beobachte aus einem Wohnwagen, der auf dem Grundstück steht, die Kita-Kinder. Die Berichterstattung der Boulevard-Zeitung sei „in höchstem Maße bedenklich“, was die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten angehe, sagte Verteidiger Lutz Lehmann.

Und der Aufruhr verfehlte seine Wirkung nicht. Die Wohnwagen-Geschichte hätte auf Facebook für viel Aufregung gesorgt, ist von einem Polizeibeamten zu hören, der als Zeuge geladen ist. Es habe diverse Gewaltandrohungen gegen Andreas X. gegeben.

Eines der Opfer hat versucht sich selbst zu verletzen, um dem Stiefvater zu entkommen

„Es ist in solchen Situationen nicht eindeutig, ob da eine Gefahr besteht“, so der Polizist. Er habe dann versucht, Kontakt zu X. aufzunehmen, zudem seien „Schutzmaßnahmen“ für dessen Grundstücke eingeleitet worden. Mittlerweile habe sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt, sagte der Beamte.

Zum zweiten Termin der Berufungsverhandlung sagten unter anderem auch die beiden Schwestern, Lena W.* und Ariane B.*, noch einmal aus. Beiden fällt das sichtlich schwer, es fließen viele Tränen.

Die jüngere von beiden, Ariane B., berichtete, während der Kindheit habe ihre große Schwester sich sehr um sie gekümmert, da die Mutter beruflich stark eingespannt gewesen sei. Der Missbrauch habe sie dazu gebracht, sich selbst zu verletzen, berichtet die heute 28-Jährige. Einmal habe sie sogar versucht, sich selbst den Arm zu brechen - in der Hoffnung, dann ins Krankenhaus zu kommen „und ein paar Tage Pause zu haben“.

Hätte Andreas X. sich damals nicht selbst angezeigt, hätten die Schwestern Anzeige erstattet

Seit dem Tag, an dem der Angeklagte sich nach Druck aus der Familie selbst angezeigt habe, habe sie kein Wort mit Andreas X. gewechselt. „Das war ein Befreiungsmoment“, erinnert sich Ariane B. Sie glaubt, dass Andreas X. sich Ende 2014 „ein Stück weit aus taktischen Gründen“ selbst angezeigt habe - in Hoffnung auf eine mildere Strafe.

Hätte er es nicht getan, hätten die Schwestern selbst Anzeige erstattet, so Ariane B. Kurz zuvor hätten sie und Lena erfahren, dass die jeweils andere auch missbraucht worden sei. Das habe sie bestärkt, nicht länger zu schweigen.

Eigentlich habe er auch mit der Mutter der Schwestern sprechen wollen, sagte Richter Thomas Knief. Doch sie war nicht zur Verhandlung erschienen. Was durchaus ins Bild passen könnte, schilderten doch beide Töchter, ihr Verhältnis zur Mutter sei sehr distanziert.

Vor dem Gerichtsgebäude haben am Montag einige Angehörige der Schwestern demonstriert

Die ältere erzählte, sie habe ihrer Mutter in den Jahren des Missbrauchs mehrfach erzählen wollen, was der Stiefvater ihr antue. Aber entweder habe die Mutter das falsch verstanden und gedacht, es gehe „nur“ um Schläge. Oder sie habe ihren Lebensgefährten zur Rede gestellt und die Sache auf sich beruhen lassen, als dieser alles abstritt - bis zu jenem Tag 2014, als der Stiefvater auf Nachfrage der Mutter nicht mehr leugnete.

X. habe sie schon als Mädchen immer als Lügnerin hingestellt, sagte Lena W. Sie ist heute 35 Jahre alt. Zudem soll der Angeklagte die Mädchen zum Beispiel an den Haaren gezogen und die Treppe hinuntergestoßen haben.

Vor dem Gerichtsgebäude haben am Montag einige Angehörige der Schwestern mit einem Spruchband demonstriert, auf dem sie fordern, dass es bei Kindesmissbrauch keine Verjährung geben dürfe. Richter Knief fragte die beiden jungen Frauen, was sie sich vom Prozess erhofften.

Ariane B. erhofft sich Sicherheit für andere Mädchen und eine möglichst lange Haftstrafe für Andreas X.

„Wir können die Vergangenheit leider nicht ungeschehen machen“, betonte Knief. Außerdem seien dem Gericht „in gewisser Weise die Hände gebunden“. Denn ein Grundsatz besagt, dass in Fällen wie diesem das „Verschlechterungsverbot“ gilt - die Strafe darf also nicht härter ausfallen als anfangs.

Ariane B. antwortete, sie habe den Verdacht, dass Andreas X. nicht aufhören könne, Kinder zu belästigen. Sie erhoffe sich Sicherheit für andere Mädchen durch eine möglichst lange Haftstrafe. Lena W. fügte an, ihr Stiefvater habe Fotos von Kindern regelrecht gesammelt und ihr als Kind auch pornografische Aufnahmen gezeigt. Der Prozess wird fortgesetzt. (mz)

* Namen geändert