Schließungen in Köthen und Aken Schließungen in Köthen und Aken: Zwei Apotheken, zwei Inhaberinnen, zwei Geschichten

Köthen/Aken - Heike Köhler greift sich einen dicken Stapel Papier. Historisches über die Adler-Apotheke in Aken, die es seit 1611 gibt. Nun schließt die frühere Ratsapotheke in der Köthener Straße. Aus wirtschaftlichen Gründen, erklärt die Inhaberin.
Auch für Susanne Heidenreich ist 2019 kein sonderlich gutes Jahr. Auch sie gibt auf. Auch sie nennt wirtschaftliche Gründe. Silvester ist die Albert-Schweitzer-Apotheke in der Bernburger Straße in Köthen zum letzten Mal für ein paar Stunden geöffnet.
Zwei Frauen, zwei Geschichten, die sich ähneln. Beide berichten, dass vor allem die vergangenen Wochen sehr emotional gewesen seien. „Mich gibt’s hier seit fast 25 Jahren“, erzählt Susanne Heidenreich. „Wir haben uns einen guten Ruf erarbeitet. Wir waren immer ein sehr harmonisches Team. Und unsere Stammkunden bedauern natürlich, dass wir aufgeben.“ Sie habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Doch Bank und Steuerbüro hätten irgendwann gesagt: So geht’s nicht weiter.
Straßensperrung, fehlende Laufkundschaft und geschlossene Arztpraxis
Susanne Heidenreich, die in Köthen zur Schule geht, studiert Pharmazie in Halle und übernimmt am 15. September 1995 die Apotheke in der Bernburger Straße schlüsselfertig. Als sie anfängt, gibt es im näheren Umkreis noch drei Allgemeinmediziner, eine Kinderarztpraxis und das Ärztehaus, in dem sie ihre Apotheke eröffnet.
Doch die gute Ausgangslage sollte sich spürbar verschlechtern. Die 56-Jährige berichtet von andauernden Straßensperrungen, die sich wegen der Baustellen nicht vermeiden lassen. Die Laufkundschaft sei ausgeblieben. Und als dann im März dieses Jahres noch die Praxis für Allgemeinmedizin im Ärztehaus schließt und bisher auch kein Nachfolger gefunden ist, ist das der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Es sind viele Gründe, die sie zum Aufgeben ihrer Köthener Apotheke zwingen. Der Internethandel zähle, wie auch im Fall von Heike Köhler in Aken, dazu. Dass ausländische Versandapotheken Boni auf Rezepte geben dürfen und die hier Ansässigen nicht, verleite immer mehr Kunden, sich dort mit den benötigten Arzneimitteln zu versorgen. Susanne Heidenreich könne verstehen, wenn man sparen will. Aber zu welchem Preis?
Als Heike Köhler damals in Aken ihre Apotheke eröffnet, ist sie zunächst Einzelkämpferin
Sie legt seit jeher viel Wert auf Beratung. „Vor mir“, erläutert sie, „steht nicht nur der Patient mit Bauchschmerzen, der etwas gegen seine Beschwerden braucht; wir fragen uns: Was könnten die Ursachen für seine Bauchschmerzen sein?“ Ihre Kunden, ist Susanne Heidenreich überzeugt, hätten sich bei ihr und ihrem Team immer gut aufgehoben gefühlt.
Als Heike Köhler damals in Aken ihre Apotheke eröffnet, ist sie zunächst Einzelkämpferin und versorgt die gesamte Stadt. Aber das ändert sich schnell. Bald schon gibt es drei. Die 57-Jährige arbeitet vor der Wende bereits in der Adler-Apotheke, die sich zunächst auf der anderen Straßenseite befindet, und leitet diese. Sie hätte das gesamte Haus gern von der Treuhand erworben, erzählt sie. Doch die Idee scheitert an den Alteigentümern. So kauft sie lediglich die Apotheke und den Namen - und baut gegenüber. 1997 eröffnet die neue Adler-Apotheke.
Heike Köhler: „Die Schere geht einfach immer weiter auf“
Sie versucht, sich mit ihrem Sortiment von den anderen abzuheben, spezialisiert sich auf den Bereich Heilkunde und arbeitet hier auch mit weiteren Apotheken, unter anderem mit der von Susanne Heidenreich in Köthen, zusammen. Irgendwann merkt sie: Es reicht nicht. All ihre Bemühungen fruchten nicht. Außerdem steigen die Kosten, wie überall, betont sie.
Und: Die Anforderungen an Apotheken, die immer mehr Zusatzleistungen erbringen und dafür auch investieren müssen, zum Beispiel um Medikamente auf ihre Fälschungssicherheit hin zu überprüfen, die steigen. Susanne Heidenreich ergänzt: „Ich könnte eine Person beschäftigen, die den ganzen Tag mit Arzneimittelherstellern telefoniert, um zu erfahren, wann ein Medikament wieder lieferbar ist.“ Doch das müsse nebenbei erfolgen. Im Gegenzug aber wird die Honorarordnung für Apotheken, die seit 2008 Bestand haben, nicht angepasst. Heike Köhler: „Die Schere geht einfach immer weiter auf.“
Es gibt eindeutige Bestimmungen, um den gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag zu erfüllen
Am 20. Dezember hatte sie ihre Adler-Apotheke zum letzten Mal geöffnet und ist nun dabei, alles zu beräumen und abzuwickeln. Sie erinnert sich, dass sie vor zwei, drei Jahren schon überlegt hat, ob sich der Aufwand noch lohne. Sie liebt ihren Beruf. „Natürlich will man helfen“ - doch die Rahmenbedingungen müssten passen. „In einer Landapotheke will heutzutage niemand mehr arbeiten. Die jungen Leute zieht es in die Großstädte.“
Aber ganz gleich, wo: Es gibt eindeutige Bestimmungen, um den gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag zu erfüllen. Danach muss zum Beispiel immer ein Apotheker im Haus sein. Und das ist oft sie selbst; „wenn ich dann an meine Stunden denke, an die Wochenenden, Notdienste, Weiterbildungen“. Rund 60 Wochenstunden kämen auf jeden Fall zusammen, schätzt Heike Köhler.
Bei Susanne Heidenreich geht es in Dessau weiter
Wie 2020 für sie weitergeht, weiß die Akenerin im Moment noch nicht. Aber: Sie habe einige Angebote, sagt sie und weiß: „Apotheker werden gesucht“. Bei Susanne Heidenreich geht es in Dessau weiter. Sie hat 2017 eine Apotheke in der Antoinettenstraße übernommen. Die wird sie nun führen - als alleiniges Standbein. Das Ende ihrer Albert-Schweitzer-Apotheke in Köthen, wo es elf weitere Apotheken gibt, es sei vorhersehbar gewesen.
Beide Frauen bedauern zutiefst, dass sie aufgeben müssen und wissen, dass sie nicht die letzten sein werden. „Jeder fragt, warum wir aufhören“, sagt Heike Köhler und gesteht traurig: „Das geht an die Substanz.“ (mz)
