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Pflegedienstleiterin in Köthen über ihren Alltag „Man sollte da nichts schönreden. Die Pflege ist ein knallharter Job“

Was macht einen erfüllenden, guten Beruf aus? Zum Welttag für menschenwürdige Arbeit erzählt eine Köthener Pflegerin aus ihrem schwierigen Arbeitsalltag.

07.10.2021, 15:52
Yvonne Streblow, Pflegedienstleisterin bei der AWO, in ihrem Büro in Köthen.
Yvonne Streblow, Pflegedienstleisterin bei der AWO, in ihrem Büro in Köthen. Foto: Jakob Milzner

Köthen/MZ - Als es im Frühjahr 2020 für viele Berufsgruppen ins Homeoffice ging, machten sie weiter: Pflegerinnen und Pfleger erhielten deutschlandweit Applaus für ihr Engagement. Dennoch sind die Bedingungen im Pflegebereich weiterhin prekär – darauf weist unter anderem die Hans Böckler Stiftung hin. Im Interview berichtet Yvonne Streblow, Pflegedienstleisterin bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Köthen, wie sie ihren Beruf erlebt, und worin für sie menschenwürdiges Arbeiten besteht. Die Fragen stellte Jakob Milzner.

Im Zuge der Pandemie sind die teils prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Was macht für Sie einen menschenwürdigen Arbeitsplatz aus?

Yvonne Streblow: Menschenwürdige Arbeit ist für mich in erster Linie die Liebe zum Beruf. Ich mache meine Arbeit mit Herz und nicht in erster Linie für das Geld. Das Wichtigste für mich ist es, wenn ich in den Gesichtern der Menschen ein Lächeln sehe und ein „Danke“ höre. Wenn dagegen Menschen an Schreibtischen sitzen und darüber entscheiden, ob ein Pflegegrad abgelehnt oder genehmigt wird, ohne die betreffende Person überhaupt zu kennen, und sich damit durchsetzen – dann ist das für mich falsch.

Worauf achten Sie als Führungskraft besonders?

Der richtige Umgang mit den Mitarbeitern ist enorm wichtig. Man muss wertschätzen können und loben. Natürlich gehört es auch dazu, Fehler anzusprechen und zu kritisieren. Aber man muss eben auch mal sagen können: „Super, toll hast du das gemacht.“

Bei welchen Berufsgruppen sehen Sie Probleme bezüglich der Arbeitsbedingungen?

Bei all den Arbeiten, die die meisten halt nicht machen wollen. Wer will denn Spargel ernten und sich dabei für niedrige Löhne krumm machen? In der Müllabfuhr ist es dasselbe. Meine Hochachtung für die Menschen in diesen Berufen. Das sind vollwertige Arbeiten, aber für oft nur Mindestlohn und wenig Anerkennung.

Hat sich in der Pflege seit Beginn der Coronapandemie etwas geändert?

Nein. Überhaupt nicht. Ich denke, dass viele ausländische Fachkräfte gern in der Pflege arbeiten würden, aber denen werden oft Steine in den Weg gelegt. Da steckt auch viel Bürokratie dahinter. Aber dieser Fachkräftemangel ist ja nicht erst seit Corona da. Und diese neue Wertschätzung gegenüber der Pflege müsste eben auch mit Leben gefüllt werden, indem man die Pflegekräfte einfach besser bezahlt. Vielleicht wäre auch eine einheitliche Bezahlung denkbar, damit es keine Konkurrenz mehr zwischen den verschiedenen Anbietern gibt. Aber man sollte da nichts schönreden. Die Pflege ist ein knallharter Job.

Wie ist es Ihnen und Ihren Mitarbeitern in den vergangenen Monaten ergangen?

Vor einem Jahr ging es los, da gab es auf einmal keine Desinfektionsmittel und keine Gummihandschuhe mehr. Das alles wurde plötzlich enorm teuer und damit sind auf alle Pflegedienste natürlich immense Kosten zugekommen. Das ist unwürdig: Ich soll mich und meine Patienten schützen, aber das Material dafür ist unerschwinglich. Das war eine echte Herausforderung. Irgendwann kam dann vor Weihnachten ein großes Paket mit OP- und FFP2-Masken. Aber manche von denen waren so minderwertig, dass unsere Mitarbeiter von denen teilweise sogar Ausschläge bekommen haben.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit prekäre Arbeitsbedingungen in Deutschland zukünftig der Vergangenheit angehören?

Die betroffenen Berufsgruppen müssten besser entlohnt werden. Manche Berufe sind auch verrufen, die müsste man realistischer betrachten. Wer will denn noch Bestatter werden? Dabei werden immer Menschen sterben, das gehört eben dazu. Die Gesellschaft versucht da manche Bereiche auszusparen. Lkw-Fahrer werden wegen des Klimawandels an den Pranger gestellt, dabei können die da persönlich überhaupt nichts für. Unsere Waren müssen eben irgendwie transportiert werden. Da müsste mehr Aufklärung geleistet werden, auch in den Medien.