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Köthen Köthen: Gleitschirm nimmt es mit AN 2 und Ju 52 auf

Von SYLKE HERMANN 14.08.2011, 15:46

KÖTHEN/MZ. - Steffen Schröter stehen die Schweißperlen auf der Stirn. "Das Hochziehen am Anfang kostet 'ne Menge Kraft, nachher ist es vor allem Feingefühl." So abgekämpft wie der 26-Jährige an diesem Vormittag aussieht, müht er sich schon eine ganze Weile, den Schirm hoch zu hieven. Mit konstanter Begeisterung übrigens. Denn: Es funktioniert. Einmal. Zweimal. "Ein fantastisches Gefühl, wenn man den Schirm erst mal in der Luft hat." Immer wieder das selbe Prozedere. Und bloß nicht die Übersicht über das Leinenwirrwarr verlieren. Schließlich will er fliegen. Am liebsten sofort.

Thomas Post weiß das. Post ist Fluglehrer - und damit von Berufswegen automatisch Wetterfrosch. "Wir haben viel zu viel Wind." Ein Satz, den der Wahl-Leipziger in den vergangenen Tagen häufiger sagen muss. Wind mögen die Gleitschirmflieger, die ihr Quartier bis Sonntag auf dem Köthener Flugplatz aufgeschlagen hatten, gar nicht. Es sei denn, er käme aus der richtigen Richtung. Tut er aber nicht. Statt dessen pfeift er quer über das Gelände, dabei hätten ihn die Flieger und Flugaspiranten so gern nahezu parallel zu ihrer Startbahn und natürlich entschieden gemäßigter.

Am Samstag beschert ihnen Petrus ausnahmsweise bestes Flugwetter. Neun Mal hebt Post als Tandem vom Boden ab und ist am Abend "ziemlich breit", erzählt er. Aber das spielt keine Rolle. Es sind viele Leute da, die die Flüge mit Applaus begleiten und sich mit denen freuen, die das erste Mal ohne Lehrer, dafür erstklassig verkabelt, um Funkkontakt zum Boden zu haben, ein paar Minuten Köthen von oben genießen können.

Post, der in Leipzig seit 2005 eine Flugschule betreibt, findet: "Das ist ein bisschen wie Achterbahn fahren - vom Gefühl her: denn eigentlich weiß ich gar nicht richtig, wie es geht, mache es aber trotzdem." Bevor er jemanden abheben lässt, "muss ich vor allem das Gefühl haben, dass man mir richtig zuhört". Oberste Bedingung für ein Gleitschirmflug-Erlebnis.

In den Genuss kommen an diesem Wochenende mit den ersten Köthener Flugtagen verhältnismäßig wenige. Donnerstag und Freitag geht gar nichts. Es regnet, und wenn die Sonne kurzzeitig durchblickt, ist es - wie sollte es anders sein - entschieden zu windig. Der Samstag bildet die große Ausnahme. "Hätten wir nicht diesen tollen Tag gehabt, wäre ich wirklich verzweifelt", gesteht Ulf Borutzky, der die Veranstaltung organisiert hat. Borutzky kommt aus Köthen und verfolgt ein großes Ziel: Er will seine Stadt zum Außenstandort des Luftsportvereins Neuseenland Leipzig machen, in dem er Mitglied ist. "Die Bedingungen hier sind top. Die Thermik passt. Die Zusammenarbeit ist super. Und wir können den Flugplatz beleben."

Steffen Schröter, der in Großpaschleben zu Hause ist und in Wernigerode Informatik studiert, fände das klasse. So könnte er seinen Traum vom Fliegen leben. Nicht irgendwo in den Bergen, hier, vor der eigenen Haustür.

Keine schlechte Vorstellung. Die auch seinem Freund Uwe Weber ausgesprochen gut gefiele. Der 40-Jährige ist körperlich beeinträchtigt, saß als Kind vier Jahre im Rollstuhl, war querschnittsgelähmt. Heute steht er auf dem Flugplatz und arbeitet mit stoischer Gelassenheit an seinem Traum: fliegen. "Mal gucken, wie es läuft, wie ich mich fühle und den Schirm unter Kontrolle kriege." Ob ihm das jetzt gelingt oder später - das scheint zweitrangig. Er hat Spaß. Viel Spaß. Und muss auf seine ganz persönliche Flugpremiere nun noch etwas länger warten, wie sich zeigt: "Für Schüler sind die Windverhältnisse einfach nicht stabil genug", schätzt Thomas Post ein.

Für Tandemflüge sind sie es, nachdem sich die Wetterlage stabilisiert. "Es ist ruhiger geworden", informiert Ulf Borutzky. Auf Kosten der Thermik zwar, dafür zugunsten der Startbedingungen.

Und so kommt Horst Bühlig, der die Hoffnung auf einen Flug am Morgen schon beinahe aufgibt, in den Genuss seines ersten Gleitschirmerlebnisses. "Ich habe schon viel gemacht, bin Hubschrauber, Segel- und Ultraleichtflugzeug, mit der AN 2 und der Ju 52 geflogen, nur mit einem Gleitschirm noch nie." Bühlig, 72 Jahre alt, ist aus Magdeburg nach Köthen gekommen. Der Flug ist ein Geschenk seiner Frau, die geduldig ausharrt, bis ihr Mann endlich abheben kann - trotz lädierter Hüfte. Die macht dem früheren Sportlehrer seit geraumer Zeit zu schaffen, der OP-Termin steht schon fest, aber vorher, da wollte er unbedingt seinen Gutschein einlösen. Und ist nach weicher Landung mit Thomas Post als erfahrenem Piloten "einfach begeistert".