Köthen Köthen: Erbsensuppe brodelt im Kessel des "Wilddiebs"
köthen/MZ. - Zwölfmal schlägt die Glocke des ehrwürdigen Rathauses. Es ist Mittagszeit. "So, und der nächste", ruft Ralf Müller. Er steht an den Kesseln seiner Gulaschkanone. In Köthen hat sich der "Wilddieb" aus Aken längst einen Namen gemacht. Manchmal scheint die Schlange wartender Hungriger auf dem Marktplatz kein Ende nehmen zu wollen.
Im Moment ist es ruhig. Drei Frauen und ein Mann stehen an der Gulaschkanone. "Erbsen zum Mitnehmen", wünscht eine der Frauen. Obwohl Ralf Müller heute auch noch weiße Bohnen, Nudeln und Kesselgulasch im Angebot hat, ist seine Erbsensuppe gefragt. "Erbsen mit Knacker zum Mitnehmen", ordert der Mann. "Ich hätte gern einmal Erbsensuppe", merkt die Frau hinter ihm an. Für den Inhaber der Gulaschkanone und des Imbissstandes - auch bekannt als "Fritten-Ralf" - ist das nicht wunderlich. Den Geschmack der Köthener kennt Ralf Müller mittlerweile sehr gut.
Seit 1993 ist er auf dem Marktplatz der Bachstadt präsent. Anfangs nur mit seinem Imbisswagen. Vor sechs Jahren kam die Gulaschkanone hinzu. Sein Angebot ist zum Teil saisonabhängig. Im Winter gibt es Grünkohl. Im Sommer hat der Akener Hefeklöße in den Kesseln. "Ich kenne keine Gulaschkanone, die Hefeklöße bietet", merkt Ralf Müller an.
Über Bekannte kam der gelernte Elektronikfacharbeiter zur mobilen Gastronomie. Seine Gulaschkanone gegen eine feste Lokalität zu tauschen, kommt für den Akener derzeit nicht in Frage. Er schätzt das rustikale Flair der Kessel und die Unabhängigkeit von jedweder Stromversorgung. Dass Ralf Müller über brennendem Holz kocht, hatte sich nicht zuletzt im März 2010 bewährt gemacht, als in der Innenstadt der Strom ausgefallen war.
Zehn Minuten sind mittlerweile vergangen. "Erst die Bockwurst klein schneiden", weist Ralf Müller seinen Helfer an. Den gelernten Koch Andreas Bungenstab arbeitet der "Wilddieb" derzeit ein. Im Vergleich zur Lage vor einer Dreiviertelstunde ist der Marktplatz jetzt beinahe leergefegt. Um 11.35 Uhr hatten etliche Schüler die Gulaschkanone und den Imbissstand "in Beschlag" genommen. Sobald Hofpause am Ludwigsgymnasium ist, strömen die Schüler regelrecht auf den Markt.
Es ist 12.20 Uhr. Am Imbissstand steht Maritta Bunge. Die Maasdorferin lässt sich eine Bulette mit Brötchen schmecken. Besonders beliebt unter den Köthenern sind Currywurst mit Pommes, Hamburger und Bockwurst. Diese Erfahrung haben die Imbissverkäufer Sylvia Krystek und Jan Rüdiger gemacht. Der Stand von "Fritten-Ralf" punktet nicht zuletzt wegen der günstigen Preise. Bockwurst mit Brötchen für einen Euro sei vor allem bei den Schülern beliebt, wissen Jan Rüdiger und Sylvia Krystek. Die Imbissverkäufer kennen ihre jungen Stammkunden eben ganz genau.
Nach Arztbesuch
Damit sind sie nicht allein. Sieht er einen Kunden auf seinen Verkaufswagen zukommen, weiß Dieter Fischer oft schon, was er gleich in die Tüte packen muss. "Einer holt sich immer eine Haxe, ein anderer kauft seit Jahren an jedem Montag ein halbes Hähnchen. Viele kommen nach dem Arztbesuch zu mir und holen sich das Mittagessen für zu Hause, weil es da schon zu spät zum Kochen wäre", erzählt der "Hähnchenmann".
Die erste Kundin in dieser Mittagsstunde will aber gar nichts kaufen. "Ich wünsche Ihnen Gesundheit und viel Erfolg für das neue Jahr", sagt die ältere Frau und geht wieder.
"Heute wieder zwei Halbe?", fragt er einen Mann. Und Dieter Fischer liegt richtig mit seiner Vermutung. "Er kommt doch schon seit vielen Jahren", meint der Verkäufer. Diesmal verlangt der Kunde aber noch eine Bratwurst, die er gleich isst, und bekommt ein warmes, knuspriges Brötchen dazu. Die meisten würden Hähnchen, Haxe, Bockwurst, Bratwurst oder verschiedene Salate jedoch mit nach Hause nehmen, erzählt Dieter Fischer. Wie die folgende Kundin, die zwei halbe Hähnchen und zwei Becher Kartoffelsalat einpackt und dann meint: "Wenn er mal Urlaub hat, das ist für uns ganz furchtbar." Sie habe es sich eingeprägt, dass der "Hähnchenmann" montags auf dem Holzmarkt, dienstags und donnerstags auf dem Wochenmarkt steht.
Derweil drehen sich die Hähnchen - jeweils sieben an einem Grillstab - gemächlich in dem mit Gas betriebenen Grill. Wann sie gar sind, das hat Dieter Fischer im Blut. Schließlich arbeitet der Mann aus Salzfurtkapelle seit mehr als 20 Jahren im Grillwagen, und zwar ununterbrochen beim Unternehmen Thurland. "Eine Stunde brauchen sie. An den Keulen sieht man, wenn sie fertig sind", verrät er.
An den Markttagen fährt er 7.30 Uhr vom Betriebsgelände. Zuvor hat er seinen Wagen mit Hähnchen, Haxen, Würsten beladen und Gas für den Grill getankt. 9.30 Uhr müssen die ersten Hähnchen (Broiler sagt heute nur noch selten jemand) goldbraun sein; denn da kommen schon die ersten Kunden. Eine Stunde später kommt das Geschäft so richtig in Gang, wobei er den größten Ansturm gegen zwölf Uhr bewältigen muss. Jetzt im Winter - so etwa bis Mai - hätten die Leute den größten Appetit, ist Dieter Fischers Erfahrung.
Gutes Verhältnis
Er ist gern auf dem Köthener Markt. "Es herrscht hier ein gutes Verhältnis unter den Händlern. Wir trinken manchmal sogar Kaffee zusammen und plaudern", erzählt er. Sein Appetit auf gegrillte Hähnchen habe allerdings in den vielen Jahren etwas nachgelassen, gesteht er. Eine Bockwurst oder eine Bratwurst gönne er sich ab und zu, ein Hähnchen esse er aber höchstens einmal im Monat.
Seit mittlerweile 20 Jahren ist auch Gabriele Hennicke auf dem Köthener Marktplatz präsent. Geschätzt wird die Fischverkäuferin aus Zörbig wegen ihrer freundlichen Art. Es sind vor allem ältere Menschen, die zu ihren Stammkunden zählen. "Man ist mit den Kunden verwachsen", merkt die Händlerin an. Ein kurzer Plausch gehört dazu.
Das Angebot von Gabriele Hennicke ist groß. Es gibt allein acht verschiedene Filetsorten. "Wenn ein Kunde etwas Besonderes möchte, dann bestelle ich das", macht die Händlerin deutlich. Das Außergewöhnlichste, was schon einmal gewünscht worden war, sei ein ganzer Tintenfisch gewesen. Ihre Ware bekommt Gabriele Hennicke aus Bremerhaven.
Mittlerweile ist es 13 Uhr. Der Marktplatz hat sich deutlich geleert. Einige Tauben picken Brötchenkrümel vom Boden.