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Keine Chance für Meister Holzwurm

Von Raimund Leonhardt 10.07.2006, 16:46

Köthen/MZ. - Der 79-jährige Albrecht Rühlmann, ein Sohn der Stadt Zörbig, setzt sich auf den besten Platz, den die Empore der St. Agnus Kirche Köthen zu bieten hat. Von hier aus hat er das Geburtstagskind ausgezeichnet im Blick. Die Orgel "Opus 36", die sein Opa 1881 gebaut hat, wird 125 Jahre alt. 1842 gründete Friedrich Wilhelm Rühlmann (1812 bis 1878) die Orgelbau-Anstalt Zörbig. Sein Enkel Willi Rühlmann (1882 bis 1964) betrieb sie bis zum Zweiten Weltkrieg. Albrecht Rühlmann selbst steht für die 4. Generation Rühlmannschen Orgelbaus, der aber nicht mehr in Zörbig stattfand. Schuld hatte auch der Krieg.

In Köthen werden die Register gezogen. Der erste Ton erklingt. "Sie ist eine der schönsten Orgeln, auf denen ich je gespielt habe und die beste Rühlmann Orgel überhaupt", preist Matthias Müller das Instrument. Der Organist aus Friesland ist an diesem Sonntagnachmittag mit Orgelbauer "Rühlmann IV." in die Bachstadt gekommen, um das 1. Rühlmannorgel-Festival an historischer Stätte fortzusetzen. Die mitteldeutsche "Opus 36" verfügt über drei Manuale und 35 Register und ist im Gegensatz zur norddeutschen Orgel ein "romantisches, impressionistisches Instrument" beschreibt Müller.

"Die 'Opus 36' hat einen sehr zärtlichen Klang", unterbreitet der international erfahrene Organist eine Liebeserklärung. "Sie ist aber auch ein sehr harter Brocken, der es nicht merken würde, wenn ein Panzer gegen sie stößt." Das wussten auch schon die Zeitgenossen.

1881, also im Geburtsjahr der Orgel, erhielt sie, auf der Gewerbe- und Industrieausstellung in Halle vom Preisgericht eine Goldmedaille zuerkannt. "Für hervorragende Leistungen" steht auf der Urkunde, die in einer kleinen Ausstellung in der St. Agnus Kirche zu sehen ist. 1893 schafften es die Rühlmanns noch ein Stück weiter nach oben. Der Herzog von Anhalt-Coethen ernannte sie zu Hoflieferanten.

Die Köthener Rühlmann steht auch heute nicht alleine da. Sie hatte sehr viele Schwestern, die über drei Generationen in der Orgelbauanstalt das Licht der Welt erblickten. Wie viele dieser Instrumente noch leben, ist nicht genau bekannt. Aber allein 25 gibt es noch in der Region Halle. Pfarrer Lothar Scholz von St. Agnus ist an diesem Sonntag voller Freude. Vor allem darüber, dass so viele Besucher, es mögen fast 100 sein, zum Festival in die Kirche gefunden haben. "Sie sollen das nicht bereuen", weckt er Neugierde und Spannung. Matthias Müller, der Orgelspieler, lässt es sich nicht nehmen, nach jedem Teil des Konzertes von seinem Platz am Instrument nach unten zu eilen, um den Zuhörern zu erklären, was er spielen wird. Es sind durchweg Komponisten, die kaum einer kennt. Baskische aus Spanien, ein Australier, ein Orgelmusikschreiber aus Neuseeland und ein Franzose sind darunter. Sie alle eint eines: Sie stehen für Romantik. Die Kunstrichtung, zu der die Rühlmänner und ihre Orgeln wie Caspar David Friedrich und seine Bilder passen.

Organist Müller weist behutsam auf die Feinheiten hin, die es von dieser alten Eiche unter den Orgeln zu hören gibt. Die Klangbreite reiche von Pianissimo bis Fortissimo. Keine Spur aber gebe es von furiosen Klängen, wie sie sonst vom Instrument Orgel herunterbrausen. Gerade was Müller von den Franzosen spielt, klingt in der einstigen Wirkungsstätte vom deutschen Meister Bach so ungewöhnlich wie mutig: Mal scheint die Orgel einer Polka Konkurrenz machen zu wollen, wenig später spielt sie gar wie bei der Dorfhochzeit zum Tanze auf.

40 Jahre zu spät

Orgelmusik weckt Erinnerungen. "Die deutsch-deutsche Vereinigung kam für mich 40 Jahre zu spät", sagt Albrecht Rühlmann. "Sonst hätte ich die väterliche Tradition fortgesetzt."

Albrecht Rühlmann, der heute mit Müller von Festivalort zu Festivalort tourt, machte Montag im Heimatort Zörbig Station, um sich mit alten Schulfreunden zu treffen. Rühlmann wurde mit 15 Luftwaffenhelfer, kam als 18-jähriger Soldat in russische Kriegsgefangenschaft. "1950 verließ ich die DDR mit dem, was ich am Leibe trug", erinnert er sich.

Bei der Firma Klais in Bonn lernte er den Beruf seiner Väter, wurde Orgelbauer. Die Arbeit führte ihn u.a. zum Kölner Dom, nach Würzburg und Münster. Später entwarf und konstruierte er Orgeln am Reißbrett.

Wieder ein Meister

In Zörbig hingegen ruhte der Orgelbau in der Radegaster Straße gute 60 Jahre lang. Das soll ein Ende haben. Der Förderverein Mitteldeutsches Orgelzentrum hat damit begonnen, die Orgelanstalt an historischer Stelle wiederzubeleben. Mit Orgelbaumeister Rainer Wolter zog unlängst wieder ein Vertreter der Rühlmannschen Zunft in den Traditionsbetrieb ein.

Albrecht Rühlmann und Matthias Müller ziehen indes weiter durch die Lande. Auf den Rühlmannschen Orgelspuren, zur Wiederbelebung und Pflege der mitteldeutschen Orgelkunst. Noch am Sonntag unternahmen sie einen Abstecher zur "Opus 172", die "Rühlmann II." 1889 in der Gangolfkirche aufbaute. Montag sahen sie sich "Opus 4" in der Braschwitzer St. Nikolai an, die der Firmengründer Friedrich Wilhelm bereits 1852 zum Leben erweckte. Für das 1. Rühlmannorgel-Festival hat Müller über 100 Stücke vorbereitet. Mit Sicherheit wird er es nicht schaffen, sie alle zu spielen. Aber es soll ein 2. Festival geben.