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Historisches Museum Köthen Historisches Museum Köthen: Erinnerungen an den 2. November 1989

Von Matthias Bartl 03.11.2014, 14:11
Klein, aber inhaltsstark: Vitrine zum Herbst 1989.
Klein, aber inhaltsstark: Vitrine zum Herbst 1989. heiko rebsch Lizenz

Köthen - Man sollte sich Zeit nehmen für diese kleine Vitrine. Und vor allem für den kleinen Monitor, der daneben steht. Dort nämlich sieht man besonders Spannendes: In einer Dia-Show laufen via USB-Stick Schwarz-Weiß-Fotos von einer Veranstaltung, die in die Köthener Geschichte eingegangen ist.

Am 2. November 1989 hatten sich auf dem damaligen Stadion der DSF gut 10 000 Köthener versammelt, um gegen Partei- und Staatsapparat zu protestieren, um ihrer Unzufriedenheit Luft zu machen, um den Vertretern von SED, Rat des Kreises, Rat der Stadt oder FDGB Fragen zur Lage in Köthen und im Lande zu stellen. Kritische Fragen. Scharfe Fragen. Eine Revolution.

Im Foyer des Historischen Museums Köthen wird seit dem Wochenende an diese Stunden im nächtlich-dunklen Stadion erinnert. Jan William Howard, Museumsmitarbeiter, war damals selbst mit vor Ort und hat nicht nur das „Ausstellungsstück des Monats“ gestaltet, sondern es mit vielen eigenen Fotos zu einer besonderen Quelle von Erinnerung gemacht.

Nicht zuletzt an die Protagonisten dieser Zeit. Rainer Elze und Ryngo Lämmler als Vertreter des Neuen Forums finden sich immer wieder auf den Bildern, genau wie die Abgesandten der zu diesem Zeitpunkt noch real existierenden Macht. Herbert Heber als 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, der Vorsitzende des Rates des Kreises Klaus Franke, Köthens Bürgermeisterin Dagmar Radke und andere mehr stehen mit ernsten, ja bestürzten Gesichtern auf einem kleinen, sichtbar improvisierten Podest vor dem Stadiongebäude. Es gibt zwar eine räumliche Nähe zwischen beiden Seiten, aber keine inhaltliche: Auf den Fotos ist die Distanz in Haltung und Mimik zu erkennen.

Moderation auf der Rasierklinge

Zwei Männer auf der Bühne im Stadion verdienen einen besonderen geschichtlichen Blick. Zum einen Herbert Heller. Heller, Betriebsleiter des Köthener Betonwerkes. Zum anderen Herbert Heber, der erste Mann der Partei im Kreis. Heller, ein kritischer Kopf und gerader Charakter, der richtige Mann am richtigen Fleck, wie später gesagt wird, moderiert die Veranstaltung genauso kritisch und gerade, wie man das erwarten durfte. Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge, etwas, wofür man Mut braucht, denn noch war am 2. November 1989 nicht abzusehen, wie die Partei und ihr „Schild und Schwert“ auf die wachsenden Proteste reagieren würden. Die Geschehnisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens lagen nicht so weit zurück, um nicht im Gedächtnis zu sein. „Es hätte ja auch alles wie am 17. Juni 1953 enden können“, sagt Heller Jahre später gegenüber der MZ.

Für Herbert Heber markiert dieser Abend den tragischen Endpunkt seiner Laufbahn als Funktionär der SED. Jan William Howard hat auf dem knappen Textteil der Ausstellungsvitrine die psychische Ausnahmesituation, in der sich der auf der Versammlung schwer angegriffene und beschuldigte Heber befand, eindringlich geschildert: „Im Zwiespalt zwischen seiner ehrlichen Überzeugung als Kommunist und Mensch, notwendiger Parteidisziplin und ernsten Zweifeln machte Heber letzte Notizen über die Situation im Kreis Köthen - mehr Fragen als Antworten. Heber fühlte sich im Stich gelassen von seiner Partei und seinen Genossen, er fühlte sich aber auch verantwortlich für die Lösung der Probleme in der Bevölkerung.“

Zwei Tage nach der großen Protestdemonstration im Stadion löst der „Erste“ den unauflösbaren Konflikt auf unumkehrbare Weise: In seinem Dienstzimmer in der Kreisleitung in der damaligen Leninstraße erschießt sich der seit 18 Jahren in Köthen lebende Mann, der aus dem mansfeldischen stammt. Am 3. November hatte er von der Bezirksleitung der Partei das „Ja“ zum Rücktritt vom Amte haben wollen - und es nicht bekommen. Parteibeschluss - wenn man so will, ein ganz spezieller Beweis für ein parteiliches Konstrukt, in dessen Zentrum der Mensch allen wohlfeilen Beteuerungen zum Trotz nie stand.

Mensch stand nie im Mittelpunkt

Wer die Vitrine im Museum auf sich wirken lässt, wird sich der historischen Faszination nicht entziehen können - vor allem dann nicht, wenn er selbst noch Erinnerungen an die Zeit oder gar die Veranstaltung hat. Jan William Howard hat die mediale Vielfalt - Text, Fotos, Dia-Show - noch durch eine besondere optische Einbettung des Gezeigten verstärkt. Verdorrtes Herbstlaub und Pflastersteine bilden den Boden der Vitrine, ein Gorbatschow-Button versteckt sich ein wenig in einem gelbbraunen Ahornblatt. In einem Karton finden sich auf schwarzem Schaumstoff einige Orden und Ehrenzeichen der Zeit: vom MfS-Abzeichen über die Verdienstmedaille der DDR bis hin zu fünf Parteiabzeichen, auch „Bonbons“ (oder in Köthen „Bolchen“) genannt. Den auf der Liste aufgezählten Stasi-Schlagstock sucht man allerdings umsonst - er wird vermutlich in den nächsten Tagen der Vitrine noch hinzugefügt.

Und am Rande des Kastens findet sich ein Stein, der symbolhaft für den Erfolg der Friedlichen Revolution von 1989 steht: Es ist ein Stück von der Berliner Mauer, unscheinbar, aber zertifiziert. Genau eine Woche nach der großen Protestveranstaltung auf dem Stadion in Köthen fällt die Mauer, und kein Jahr später ist auch die DDR nurmehr Geschichte. (mz)