Hausgemeinschaft in Köthen Hausgemeinschaft in Köthen: 50 Jahre unter einem Dach

Köthen/MZ - In der MZ-Serie „Leser erzählen eine Geschichte“, geht es heute nicht um eine Einzelperson. Im Mittelpunkt steht eine Mietergemeinschaft, die seit 50 Jahren in ein- und demselben Häuserblock im Köthener Katharinenbogen wohnt.
„Das wäre doch auch mal was für die Zeitung“, dachte sich Brigitte Lindner (79) und erzählte der MZ am Telefon von einem Treffen, das anlässlich dieses 50. Jubiläums im Keller des Hauseingangs 27 stattfand. Organisiert hat es Lisa Taubert, die mit ihrem Mann im Katharinenbogen 25 wohnt.
Zu der kleinen Kaffeerunde waren nur Frauen eingeladen. „Die Männer sollen sich ihr eigenes Treffen organisieren, wenn sie das wollen“, begründen die beiden Frauen schmunzelnd, warum sie unter sich bleiben wollten. Es wurde ein lustiger Nachmittag, an dem viel von früher geredet wurde, von den Anfängen im Katharinenbogen, schildern sie.
Brigitte Lindner hat noch einen Zeitungsausschnitt aus der „Freiheit“ vom Oktober 1963 aufbewahrt. Das Foto zeigt sie mit ihrer damals achtjährigen Tochter bei der Schlüsselübergabe für die neue Wohnung. „Wir waren sehr froh über die neue Wohnung“, erzählen die Frauen. Zuvor haben beide in Wohnungen ohne Bad und mit Plumpsklo auf dem Hof gewohnt. Lisa Taubert in Görzig und Brigitte Lindner lange Zeit in einem Altbau in der Leipziger Straße in Köthen.
Als die Familien damals in den Block am Katharinenbogen mit den Hauseingängen 24 bis 27 gezogen sind, war ringsherum noch Schlamm und hinterm Haus stand noch Getreide, erinnern sie sich.
Die Männer leisteten Aufbaustunden am Außengelände
Während der weibliche Teil der Familien sich mühte, die Neubauwohnung nach ihrem Geschmack gemütlich einzurichten, leisteten die Männer Aufbaustunden am Außengelände. Sie alle waren Mitglieder der Arbeiterwohnungsgenossenschaft (AWG), die heute Köthener Wohnstätten eG heißt. Für die Genossenschaftswohnungen musste jedes Mitglied eine bestimmte Anzahl Arbeitsstunden leisten und einen Genossenschaftsanteil erbringen. Anmelden konnte man sich für eine Wohnung über die volkseigenen Betriebe.
„Unsere Männer haben unter anderem Bäume gepflanzt und Flure gemalert “, berichten die Frauen. Auch die Kastanie vorm Balkon von Brigitte Linder wurde damals gepflanzt. Wer hätte gedacht, dass sie einmal so groß werden würde, dass sie dem Wohnzimmer das Licht nimmt, bedauert die Rentnerin heute. Sonst fühlt sie sich in ihrer Wohnung aber pudelwohl.
Der Umzug war für Brigitte Lindner auch beruflich ein Glücksfall. Als Lehrerin konnte sie von der Schlossschule bald in die neuerbaute Thälmannschule im Wohngebiet An der Rüsternbreite wechseln. „Die Schule habe ich damals mit eingerichtet“, erzählt sie. „Meine Hausbesuche konnte ich fortan gleich in der Kaufhalle oder in der Schwimmhalle erledigen“, scherzt die 79-Jährige.
Mit den Jahren ist der Zusammenhalt zwischen den Familien, die beim Einzug alle etwa im gleichen Alter waren und auch alle kleine Kinder hatten, gewachsen. „Unsere Kinder haben immer zusammen gespielt“, erzählen die Frauen. „Da gab es auch mal Streit und Geschubse, aber wir haben uns da kaum eingemischt.“
Gut erinnern könne sich alle noch an die erste Einkaufsmöglichkeit im Wohngebiet. Da wurden kurzerhand zwei Garagen zu einer Behelfsverkaufsstelle umfunktioniert. Das hatte den Vorteil, dass man Mehl und Zucker gleich um die Ecke einkaufen konnte. Später entstand dann die Kaufhalle Süd mit einem kleinen Café, welches von Frau Bäthe betrieben wurde, wie die Frauen erzählen. Da haben sie oft Familienfeste und den Frauentag gefeiert.
„Heute sind wir alle älter geworden, die Kinder sind aus dem Haus, viele wohnen leider weit weg, dort, wo sie Arbeit gefunden haben“, schildert Frau Lindner. Dabei könnte man die Kinder im Alter gut gebrauchen, sind sich die heute weit über Siebzigjährigen Bewohner im Katharinenbogen einig.
Die Nachbarschaftshilfe funktioniert wie früher
Die Nachbarschaftshilfe funktioniert aber noch ebenso wie früher. Da werden Wohnungsschlüssel ausgetauscht, um nach dem Rechten zu sehen, wenn jemand länger verreist oder im Krankenhaus ist. Die Tageszeitung wird untereinander ausgetauscht, Brötchen mitgebracht und vieles mehr. Als die Wohnung von Frau Lindner behindertengerecht umgebaut werden musste und viel Schmutz anfiel, halfen die Nachbarn wie selbstverständlich.
„Bei uns ist der Zusammenhalt noch so wie zu DDR-Zeiten“, sagen die Frauen. Deshalb möchte auch keiner von hier wegziehen. Auch weil sie viel Geld und Arbeit in die eigenen vier Wände gesteckt haben. Da wurden Decken eingezogen, eine Heizung eingebaut und vieles mehr.
„Wir bekommen aber auch viel Unterstützung von unserem Vermieter“, betonen Lindner und Taubert. Wird mal ein Handwerker gebraucht, gehe das meist sehr schnell und unbürokratisch.
Seit sie Rentner geworden sind, sind einige Mieter im Katharinenbogen schon öfter gemeinsam verreist. Nach Kohlberg zur Kur oder mehrmals per Kurzreise nach Alexisbad zum Beispiel.
Ihren Lebensabend im Katharinenbogen möchten die Frauen zusammen mit ihren Ehepartnern noch möglichst lange genießen. So haben sich alle bei der Feier zum 50. Einzugsjubiläum eines fest vorgenommen: „Wir treffen uns spätestens dann wieder, wenn eine von uns ihren 90. Geburtstag begeht. Es war einfach zu schön, mal wieder von den alten Zeiten zu plaudern.“
