Handwerkertradition Handwerkertradition: Abenteuer auf der Walz
edderitz/MZ. - Wie lange war er weg? "Etwas mehr als drei Jahre", sagt Martin Baer. "1 119 Tage", weiß seine Mutter Susanne Baer. Im August 2009 folgte der heute 24-jährige Zimmermannsmeister einer alten Handwerkertradition und begab sich auf die Walz, um die Welt zu sehen. Nun ist er wieder zurück. Zwischen damals und heute liegen unzählige Kilometer, viele Städte und Dörfer, verschiedene Länder.
Baer ist Mitglied der Vereinigung Gesellschaft der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen. Nach dortigen Regeln durfte er sich in den drei Jahren seinem Heimatort Edderitz nur bis maximal 50 Kilometer nähern. Es war nicht schwer. Der Abstand zwischen den Orten, an denen er war, und Edderitz betrug mindestens einige Hundert Kilometer. Manchmal ein paar Tausend.
"Im ersten Jahr hielt ich mich in den deutschsprachigen Ländern auf - Deutschland und der Schweiz", berichtet der Edderitzer. "Vier Monate lang habe ich zum Beispiel in Kiel gearbeitet." Dann aber ging es richtig los. Australien - Fliegen ist auf der Walz erlaubt - folgte Neuseeland, dann waren wieder Australien, Norwegen, wieder Deutschland, Kanada, USA, erneut Kanada und zum Schluss wieder Deutschland das Ziel.
Als er aufbrach, hatten Verwandte Geld zugesteckt. Als Starthilfe. Danach muss sich ein Wandergeselle selbst durchschlagen. "Du suchst Arbeit, verdienst Geld und ziehst weiter, bis das Geld alle ist", berichtet Martin Baer. "Dann suchst du wieder Arbeit und findest sie manchmal nur für eine Woche. Oder auch für einen Tag." Die Fortbewegung, wenn es nicht gerade ein Trip zwischen zwei Kontinenten war, erfolgte oft per Anhalter. "In Deutschland ist das kein Problem: Die Leute sehen deine Kluft, wissen Bescheid und nehmen dich mit", sagt Baer. "In Australien kennen nur dort ansässige Deutsche den Brauch. Da war es nicht immer leicht."
Der junge Zimmermannmeister erinnert sich an ein kleines australisches Dorf. "Dort standen wir den ganzen Tag an der Straße und keiner nahm uns mit", schildert er, der sich zeitweilig mit anderen Wandergesellen zusammenschloss. "Am nächsten Tag stellten wir uns wieder auf. Bis Mittag war nichts zu holen." Ein Einwohner hat offenbar die bedauernswerten Gesellen beobachtet. "Er kam auf uns zu, lud uns zum Essen ein und brachte uns mit seinem Auto ins nächste Dorf. Von dort aus ging es weiter."
Eine Wanderschaft klingt romantisch und ist es auch. Sie kann aber auch hart sein und erfordert viel Stehvermögen, Einfallsreichtum, Optimismus und Kontaktfähigkeit. Zum Beispiel bei der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Oder um Hunger und Durst zu stillen, während man knapp bei Kasse ist.
"Im Winter war es manchmal besonders hart gewesen. Kalt, keine Arbeit, kein Geld", erwähnt Martin Baer manche kritische Momente. Geschlafen wurde überall, wo es geschützt und einigermaßen warm war. Einmal sogar in einem Kloster. Im Sommer konnte man draußen übernachten. Und die Verpflegung? "Manchmal luden uns Menschen ein, bei denen wir uns dann bedankten, indem wir uns als Handwerker nützlich machten", so Baer. "Oder man geht einfach zu einem Bäcker und bittet um ein Paar Brötchen."
Kann er denn Englisch? "Jetzt ja", schmunzelt Baer. Was hat ihm die Walz gebracht? "Ich habe viel gesehen, viele Länder kennengelernt und viele Menschen", sagt Martin Baer. "Es war eine gute Lebensschule. Und auch fachlich habe ich einiges dazugelernt." Die drei Jahre seien keinesfalls eine verlorene Zeit. " Ich würde es jederzeit wieder machen und jedem empfehlen", so der Edderitzer.
Am meisten hat es ihm in Kanada gefallen, die schöne Landschaft. "Du badest, und drum herum sind die Berge. Ich würde gern wieder hinfahren." Auch in Kiel sei es schön gewesen. In Norwegen dagegen - im Winter war er in Trondheim - habe ihn die lange Dunkelheit gestört.
Die allerletzte Nacht seiner Walz verbrachte Martin Baer mit vier anderen Wandergesellen in einer Kneipe in Gröbzig. Dann ging es für alle fünf zu Fuß nach Edderitz. Am Ortsschild am Seebad erwarteten ihn schon die Familie, Freunde und Bekannte. Nun gönnt er sich noch ein wenig Ruhe, bevor es im Oktober zum Fachschulstudium nach Leipzig geht. Der Zimmermannmeister will Bauingenieur werden, um später vielleicht in der Baufirma seines Vaters Matthias Baer in Edderitz zu arbeiten.