Geschichte Geschichte: Elfjährige bewahrt Inschrift

Aken - Am Rande der Lesung mit Pfarrer i. R. Friedrich Dickmann über „Die verschollene Glocke von St. Nikolai“ im Gemeindesaal in Aken erzählte die 85-jährige Akenerin Gerda Ott von einem besonderen Erlebnis in ihrer Kindheit mit der großen Glocke der Nikolaikirche, an das sie sich bis heute haargenau erinnern kann. Es handelt sich freilich nicht um jenes Geläut, das sich laut einem überlieferten Schriftstück 1520 das Neue Stift in Halle ausleihen wollte und in dem Pfarrer Dickmann die Glocke „Susanne“ des Magdeburger Doms vermutet.
Bronze für Rüstungsindustrie
„Es war im Jahr 1941. Ich kam gerade aus der Schule und sah die große Glocke von St. Nikolai auf Eisenbahnschwellen vor der Kirche stehen“, berichtet Gerda Ott. Sie habe erst gerätselt, warum man die Glocke wohl abgenommen hat. Dann aber fielen der damals Elfjährigen die Erzählungen der Erwachsenen ein. Die hatten davon gesprochen, dass die Glocken von St. Marien und von St. Nikolai eingeschmolzen werden sollten. Die Bronze wurde in der Rüstungsindustrie verwendet.
Das Mädchen holte flink Schreibblock und einen Bleistift aus ihrer Schulmappe. „Ich habe die Inschrift der Glocke schnell abgeschrieben, bevor sie abtransportiert wurde“, blickt sie zurück. Wenigstens die Inschrift wollte die Schülerin der Nachwelt bewahren.
Nicht alles konnte die Kleine damals entziffern, die Inschrift jedoch hat sie später fein säuberlich und in kunstvoller Schrift auf Pergament übertragen, das sie bis heute aufbewahrt.
Nach einem Blitzschlag seien 1766 auf Befehl Friedrichs II. der Turm von St. Nikolai neu gebaut und eine neue Glocke gegossen worden, heißt es darin.
Mehr zum Thema lesen Sie auf der folgenden Seite.
Klaus-Dieter Bielstein, der Leiter des Akener Heimatmuseums, bestätigt die Angaben von Gerda Ott. „Beide großen Glocken, die von St. Marien und die von St. Nikolai, sollten tatsächlich eingeschmolzen werden“, informiert er.
Die schmerzliche Erfahrung, dass eine Glocke dem Krieg dienen soll, hätten die Akener da schon zum zweiten Mal gemacht. Laut Bielstein war im ersten Weltkrieg schon die Vorgängerglocke aus dem Südturm der Marienkirche entfernt worden. „Sie wog 60 Zentner und passte nicht durchs Schallloch“, weiß Bielstein. Eine Woche lang haben dann Arbeiter die Glocke mit Vorschlaghämmern in Stücke geschlagen, die sie durch das Schallloch nach unten warfen. Fassungslos und verbittert hätten die Akener diesen mit einem Hollenlärm verbundenen Frevel verfolgt. Ein abgeschlagenes Teil dieser Glocke kann im Heimatmuseum besichtigt werden.
Suche nach der Glocke
Ihre Nachfolgerin hatte mehr Glück. Und auch die große Glocke aus dem Nordturm von St. Nikolai, die Friedrich II. gestiftet hatte, blieb erhalten. Man war wohl mit dem Einschmelzen bis zum Ende des 2. Weltkrieges nicht schnell genug. Doch wie sollte man unter den auf dem „Glockenfriedhof“ in Hamburg-Veddel nach 1945 noch lagernden rund 15 000 Glocken die aus Aken finden?
Laut Bielstein gab die in Militär-Tarnfarbe auf eine Glocke gemalte Inschrift „Sachsen-Anhalt, bei Dessau“ den entscheidenden Hinweis.
So gelangten beide Glocken zurück nach Aken und wurden in den 50er Jahren wieder auf die Türme der Marien- bzw. Nikolaikirche gezogen. Davon gibt es sogar noch einige Fotos, wie Bielstein berichtet. Bei der Wiederinbetriebnahme der Glocke in der Marienkirche hielt Pfarrer Wessel die Predigt. In St. Nikolai lief das in aller Stille ab, wurde diese Kirche damals doch nicht mehr genutzt. (mz)
