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Für Garagenfirma «Käfer» beliehen

Von Raimund Leonhardt 11.04.2006, 15:39

Weißandt-Gölzau/MZ. - Die Arbeiter in ihren blauen Latzhosen grüßen ihn mit einem Kopfnicken. Für Grußworte wäre es zu laut. Da müssten sich beide Seiten schon was ins Ohr sagen. Runkel läuft so schnell und so zielgenau durch den Produktionsbereich, als würde er hier jeden Winkel kennen. Unwillkürlich denkt man: Der würde sich sogar mit einer schwarzen Augenbinde zwischen den Extrusionsblasanlagen und Cast-Anlagen, die Stretchfolie herstellen, zurecht finden.

Zu sagen, Lutz Runkel ist "der Chef vons Janze", wäre beinahe zu wenig. Runkel ist Alleinherrscher. Alleiniger Gesellschafter der Orbita-Film GmbH, wie er gerne betont, gegründet am 1. September 1991. Der mittelständische Betrieb, zur Zeit 500 Beschäftigte, Tendenz steigend, steuert dem 15. Jahrestag entgegen. "Das wird gefeiert", freut sich der Boss.

Der Mann liebt und fordert es, dass seine Mitarbeiter Ideen haben. So etwas fördert er in jeder Hinsicht: Mit Geld, mit Lob und, wenn es sein muss, auch mit seiner Macht. Letzteres zum Beispiel dann, wenn er das Gefühl hat, da wird einer, den er für gut hält, nicht gelassen. Dann macht sich Runkel stark. Er mag es nicht, wenn er gedeckelt wird.

Runkel läuft zwar wie ein alter "68'er" herum, ist aber nie einer gewesen. Er mag sie gar nicht, die "68'er". Die waren viel linker als eine gewisse Staatspartei, scherzt er. Der Orbita-Film-Chef ist politisch eher ein Konservativer. Er nennt es "stille Mitgliedschaft in der CDU". Was aber überhaupt nicht bedeutet, dass er gegen neue politische Ideen ist. Im Gegenteil, er würde da gern schon so manches umkrempeln. Das Rentensystem zum Beispiel.

Aber Runkel ist Mittelständler, mit Begeisterung, mit Spaß an der Arbeit. "Ich habe Freude am Stress", behauptet er. Kontakte zur Politik - erst kürzlich hatte Ministerpräsident Böhmer einen Wahlkampftermin bei Orbita - bleiben nicht aus. "Ostdeutschland fehlt der größere Mittelstand" ist einer der Sätze, die Runkel gern im Artikel wiederfinden möchte.

In der Verwaltung von Orbita-Film gibt es nur wenige Türen. Den "Kern" im ehemaligen Sozialtrakt des VEB Orbitaplast Weißandt-Gölzau bildet ein Großraumbüro. Im Hintergrund gibt es großzügige Nischen. Zum Zurückziehen, für interne Gespräche. "Wer braucht alles eine Kuchengabel?" fragt eine Frauenstimme in die gedämpfte Großraumatmosphäre des Nachmittags.

Der Chef liebt offene Verhältnisse, die kreative Arbeitsatmosphäre. Verschlossene Arbeitszimmer sind ihm ein Gräuel, die hasst er. "Gehen Sie bis zum Glaskasten", beschreibt eine Kollegin im Erdgeschoss. Gleich neben der Informationstheke am Eingang hängt ein überdimensionales Bild, das profane Plastiktüten zeigt. Darum geht es hier.

Der "Glaskasten", in dem der Boss steckt, ist geräumig und unverschlossen. Runkel, 1948 geboren, ist nicht reicher Eltern Sohn. Vater und Mutter haben in Remscheid, seinem Geburtsort, ein kleines Möbelgeschäft betrieben. "Das gibt es schon lange nicht mehr", sagt Runkel. Der 57-Jährige hat sein Geld mit Folie gemacht. Alles fing ganz harmlos, in der berühmten Garage an. Runkel hatte Steuerrecht studiert, vor dem Diplom aber abgebrochen. 1972 gründete er 23-jährig die Firma Poli-Film GmbH. Die gibt es immer noch. Sie ist weltweit tätig, Lutz Runkel ihr allleiniger Gesellschafter. Der Zufall spielte 1972 eine Rolle. Ein Kindergarten-Freund, erzählt Runkel, sollte für eine japanische Handelsfirma beschichtete Folie von Japan nach Deutschland verkaufen.

"Das haben wir dann selber gemacht", lächelt Runkel. Er belieh seinen VW-Käfer, richtete in der Garage die Firma ein. "Meine erste Frau ernährte damals die Familie", erinnert sich der Mann daran, wie schwer es war. "Im ersten Jahr haben wir 32 000 Mark Umsatz gemacht", weiß er noch genau.

"Das gibt es nicht, diesen Lottogewinn", baut er bei anderen Illusionen ab. Es sei mühsam, langsam, Schritt für Schritt und mit Rückschlägen vorwärts gegangen. Aber vorwärts eben.

Nach Weißandt-Gölzau und damit in den Osten ist Runkel im Juni 1991 zum ersten Mal gekommen. Über die Folie. Er wollte eine Anlage von Orbitaplast kaufen, sie nach Westdeutschland rüber holen. "Lassen Sie die Anlage hier, nehmen Sie dafür den ganzen Betrieb", riet ihm Dr. Klaus Hoffmann, der damalige Werkleiter, den einst das Kombinat Buna mit der Leitung des Gölzauer Tochterbetriebes betraut hatte.

Hoffmann habe niemals das Kombinat als ganzes erhalten wollen, denkt Runkel an die Zeit vor 15 Jahren zurück. "Dieser Mann wusste, dass sich nur über den Weg des Heraustrennens der besten Stücke etwas machen ließ."

Später hat Runkel Hoffmann, mit dem ihn Jahre der Zusammenarbeit verbinden, für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. "Vielleicht hat es nur nicht geklappt, weil er in der SED war", überlegt Runkel, "da gab es Vorurteile."

Trotz aller Erfolge: Von jedermann wird Runkel in Gölzau nicht angenommen. Vielleicht will er das auch nicht. "Was wollen Sie hier schon machen?" fragt er und zeigt aus dem Fenster nach draußen. Mancher Weißandt-Gölzauer betrachtet den Mann mit dem Zopf argwöhnisch. Brauchen Hiesige und der Unternehmer noch Zeit?

Runkel ist nicht der Mann, der abends in Gölzau in der Kneipe auftaucht und ein Bier mit den Kollegen zischt. Er fährt auch nicht nach Leipzig oder Dresden, wenn er da ist. "Mal jede Woche, mal vier Wochen gar nicht", beschreibt er seinen Anwesenheits-Rhythmus, der keiner ist. Über der Chefetage gibt es eine Wohnung für den Chef, auch Gästezimmer für Besucher und ein "Casino" für Essen, Trinken und Geselligkeit. So bleiben die "Folie-Macher" aber auch unter sich.

Runkel hat sich auch schon über Weißandt-Gölzau geärgert. Da ist die Sache mit dem neuen Stadion. Orbita-Film hat es gebaut, sogar mit Tartan-Bahn. Das Gelände des alten Stadions hat Runkel zur Firmenerweiterung gebraucht. Das neue dann zum größten Teil bezahlt, abzüglich der in solchen Fällen üblichen Förderung. Aber: kein Dank, keine netten Worte, kein Orbita-Schild über dem Stadion-Eingang. Das wurmt den Nordrheinwestfalen.

Runkel ist in Wermelskirchen zu Hause, einer Stadt in der Nähe von Remscheid. Außerdem zieht es die Familie oft nach Rudolstadt in Thüringen. Seine jetzige Frau ist dort geboren. Auch Töchterchen Nina (5) fühlt sich bei Oma und Opa sehr wohl.

Rundgang durch die Produktion: "Ich bin jeden Tag in den Hallen", erklärt der Chef. Er ist stolz darauf, dass er vom Herstellen der Folie eine Menge versteht. An so einem hauchdünnen Folienschlauch, so wie er da gerade aus der Maschine nach oben geblasen wird, darf nicht der kleinste Kratzer sein. Dann sieht er solch einen Kratzer. Eilig winkt er den Mann von der Maschine heran, zeigt mit dem Arm nach oben, dorthin, wo dieser Kratzer sein könnte. Der Arbeiter schüttelt erst ungläubig mit dem Kopf. Dann geht er rüber zu einem Schaltpult, um etwas in die Wege zu leiten.

Runkel hat den Eindruck, dass der Unternehmer von vielen im Osten nach wie vor als jemand angesehen wird, der andere übers Ohr hauen will. Runkel fordert kritischen Geist ein, Zweifel der Mitarbeiter, auch an seinen Ideen. Da komme noch zu wenig. Im Gegenteil: "Viele habe Angst davor, etwas zu sagen."

Ein weiteres Beispiel für die "Zurückhaltung" im Osten - "da hätten Sie mir drüben schon die Meinung gegeigt" - hält er parat: Ein Arbeiter, der von den neuen Investitionen und den dazu einhergehenden Fördermitteln vom Land hörte, reagierte gegenüber einem Kollegen mit: "Na und? Was habe ich davon?" So etwas, sagt Runkel, "kann ich nicht verstehen, ist aber das, was ich meine."

Runkel will noch lange mit seiner Firma in Weißandt-Gölzau bleiben, sie immer weiter wachsen und gedeihen lassen. Ein bodenständiger Familienbetrieb, schwebt ihm vor, den er begründet hat, und den die Söhne Bastian (28) und Christian (30), beides studierte Betriebswirte, eines Tages übernehmen sollen.