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Eltern sind entsetzt Eltern sind entsetzt: Behinderte Kinder in Köthener Kita ausgegrenzt

Von Stefanie Greiner 28.05.2014, 18:34
Mandy Lenk (links) ist mit Tochter Leonie zurzeit bei einer Reha. Sabrina Spengler und ihr Partner Christian Wenzel kümmern sich zu Hause um Tochter Joleen. Mitte Juni wollen die Eltern ihre Kinder eigentlich wieder in die Kita „Waldfrieden“ bringen.
Mandy Lenk (links) ist mit Tochter Leonie zurzeit bei einer Reha. Sabrina Spengler und ihr Partner Christian Wenzel kümmern sich zu Hause um Tochter Joleen. Mitte Juni wollen die Eltern ihre Kinder eigentlich wieder in die Kita „Waldfrieden“ bringen. heiko rebsch Lizenz

köthen/MZ - Sabrina Spengler und Mandy Lenk verstehen die Welt nicht mehr. Dass Passanten ihre behinderten Kinder auf der Straße komisch angucken, daran haben sich die Mütter gewöhnt. Dass die Mädchen aber von einer Kindertagesstätte, die sich integrativ nennt, ausgegrenzt werden, macht die jungen Frauen traurig. Mehr noch: Sie sind enttäuscht. Sie sind wütend.

„Wir haben nie von der Kita-Leiterin vernünftige Erklärungen bekommen“, sagt Sabrina Spengler. „Die haben immer bloß gesagt: Wir können das nicht mehr. Wir dürfen das nicht mehr. Aber irgendwelche Gesetzesgrundlagen haben die uns nicht offengelegt.“ Mit „die“ meint die aufgebrachte Mutter die Lebenshilfe gGmbH, den Träger der integrativen Kita „Waldfrieden“ in Köthen.

Der Reihe nach: Sabrina Spengler und Mandy Lenk haben schwerstbehinderte Kinder.

Pflegebedürftig sind behinderte oder kranke Menschen, die ihren Alltag nicht allein bewältigen können. Je nachdem, wie viel Hilfe die Person braucht, werden drei Pflegestufen unterschieden: Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit), Pflegestufe II (schwere Pflegebedürftigkeit) und Pflegestufe III (schwerste Pflegebedürftigkeit).

Bei häuslicher Pflege steht Pflegebedürftigen ein Pflegegeld zu. Dessen Höhe hängt von der Pflegestufe ab.

Im geschilderten Fall bedeutet das: Joleen Spengler wurde eine schwerste Pflegebedürftigkeit bescheinigt, damit also Pflegestufe III. Ihre Eltern bekommen monatlich 700 Euro für die Pflege ihres Kindes. Leonie Lenk dagegen wurde nur eine schwere Pflegebedürftigkeit attestiert. Ihre Mutter bekommt 525 Euro im Monat. 

"Es gab nie Probleme“

Die drei und fünf Jahre alten Mädchen sind blind, leiden unter Epilepsie und Tetraspastik, ihre Arme und Beine sind also gelähmt. Das Gehirn von Joleen Spengler und Leonie Lenk funktioniert nur noch zu 30 Prozent. Bei der fünfjährigen Leonie kommt auch noch ein seltener Stoffwechseldefekt dazu. In der integrativen Kita „Waldfrieden“ seien die Mädchen bisher immer in guten Händen gewesen, erzählen deren Mütter. „Die Erzieherinnen sind sehr liebevoll mit den Kindern umgegangen und es gab nie Probleme“, sagt Sabrina Spengler. Sie hätten Joleen und Leonie bisher immer gefüttert, gewindelt und ihnen Medikamente gegeben. „Und auch gern. Die Erzieherinnen haben sich das alles von uns erklären lassen“, fährt die 26-jährige Köthenerin fort. Ihre Tochter Joleen ist seit August vergangenen Jahres in der Einrichtung, Leonie Lenk seit Februar 2011.

Gespräch mit Kita-Leiterin

Im Februar dieses Jahres zerbrach plötzlich die heile Kita-Welt. Sabrina Spengler und Mandy Lenk wurden zu einem Gespräch mit der Kita-Leiterin und dem stellvertretenden Geschäftsführer der Lebenshilfe eingeladen. „In dem Gespräch wurde uns nahegelegt, einen Pflegedienst zu beauftragen“, sagt Sabrina Spengler. Der sollte sich fortan darum kümmern, dass die beiden Mädchen in der Kita gefüttert werden.

„Zu diesem Zeitpunkt war keine Rede davon, dass wir die Kosten tragen, sondern es hieß immer, es soll die Krankenkasse übernehmen“, erzählt Sabrina Spengler. Das aber stellte sich schnell als Trugschluss heraus. Die Kinderärztin wies die Mütter darauf hin, dass dann das Pflegegeld wegfallen würde. Für Joleen Spengler sind das 700 Euro im Monat, für Leonie Lenk 525 Euro - Geld, das die Eltern brauchen, um Therapien zu bezahlen und das Benzin für die Fahrten zu verschiedensten Ärzten.

„Wir haben uns von einer Pflegeeinrichtung in Köthen die Kostenvoranschläge machen lassen“, sagt Mandy Lenk. Im Fall ihrer Tochter wären es 550 Euro. Das Pflegegeld würde dafür also nicht mal reichen. Sabrina Spengler müsste für ihre Tochter 560 Euro bezahlen. Ihr würden vom Pflegegeld noch 140 Euro bleiben. Das sei zu wenig, sagt die 26-Jährige, um die restlichen Ausgaben abzudecken.

Welche Alternativen die Eltern haben, erfahren Sie auf der nächsten Seite...

Entsetzte Mütter

Den Eltern zufolge sieht das die Kita-Leiterin anders. „Uns wurde an den Kopf geworfen, dass wir aufhören sollen, uns das Pflegegeld in die eigenen Taschen zu schaufeln“, sagt Sabrina Spengler. Die Mütter sind entsetzt.

Eine Alternative zum Pflegedienst wäre, dass die Eltern dreimal täglich in die Kita kommen, um ihre Töchter zu füttern. Unmöglich für Mandy Lenk und ihren Lebensgefährten. Die 26-Jährige arbeitet 20 Stunden in der Woche, ihr Partner sogar Vollzeit. Sabrina Spengler und ihr Lebensgefährte sind zwar Hartz-IV-Empfänger, würden aber gern arbeiten.

Alternativen fehlen

Die Paare haben auch noch eine weitere Möglichkeit: Sie könnten ihre Kinder in eine andere integrative Einrichtung bringen. Die Kita „Spatzennest“ in Köthen scheidet aus Sicht der Eltern schon mal aus. Denn die Treppen bis zum Eingang wären mit den Rollstühlen, in denen die Mädchen sitzen, kaum zu bewältigen. Die nächste Kita wäre in Halle. Das jedoch würde täglich zwei Stunden Fahrt bedeuten. Unzumutbar für die Mädchen, finden die Eltern.

Geht es nach den jungen Frauen, dann ist das alles nicht nötig. Die Betreuung in der Kita „Waldfrieden“ sei bisher schließlich problemlos gelaufen. „Wir haben mal die Erzieherinnen gefragt: Ist es denn wirklich zu pflegeaufwendig? Die sagten: Sie wissen ja, Ihre Kinder sind pflegeaufwendig, aber wir kriegen das alles gestemmt“, gibt Sabrina Spengler die Worte der Erzieherinnen wieder.

Allein essen können die Mädchen nicht. Joleen muss - in ihrem Therapiestuhl sitzend - gefüttert werden. Leonie liegt im Bett und wird über eine Sonde ernährt. Das aber könnte sich bald ändern. Denn die Fünfjährige macht bei einer Reha große Fortschritte und gewöhnt sich langsam daran, Essen über den Mund zu sich zu nehmen.

Was der Geschäftsführer des Kita-Trägers zum Thema sagt, lesen Sie auf der nächsten Seite...

MZ fragt nach

Die MZ wollte mit Kita-Leiterin Ines Kocsis darüber sprechen, warum die Kinder in der Einrichtung nicht mehr gefüttert werden sollen. Die aber verwies an Holger Schiedewitz, den Geschäftsführer der Lebenshilfe. „Es übersteigt unsere Möglichkeiten“, sagt er. Die Kita könne ausschließlich heilpädagogische Maßnahmen übernehmen. Bei den beiden Mädchen seien jedoch pflegerische Leistungen nötig. Dafür sei das Personal nicht geschult.

Warum die Kita die Mädchen bisher trotzdem gefüttert hat, obwohl das nicht hätte sein dürfen - mit dieser Frage hat die MZ den Geschäftsführer der Lebenshilfe konfrontiert. „Es war ein Fehler“, räumt Holger Schiedewitz ein. Die Kita-Mitarbeiterinnen hätten das nicht gedurft. Mit dem Jugendamt des Landkreises hat er sich mittlerweile mehrfach zusammengesetzt, um an einer Lösung zu arbeiten, mit der beide Seiten zufrieden sind. Denn auch er möchte, dass die Mädchen in der Kita bleiben.

Amtsarzt soll entscheiden

Sabrina Spengler und Mandy Lenk sind bisher keinen Schritt weiter. Ihnen wurde bei einem Gespräch sogar die Frage gestellt, ob die Ernährung ihrer Kinder überhaupt ein Grundbedürfnis sei. „Das hat uns auf die Palme gebracht“, sagt Sabrina Spengler. Wie aber geht es jetzt weiter?

„Wir sind alle medizinische Laien“, sagt Holger Schiedewitz. Der Amtsarzt solle nun beurteilen, wer die Kinder künftig in der Einrichtung versorgen soll - ein Pflegedienst oder eben doch die Mitarbeiterinnen.