Geliebtes Buch Die Leiterin der Köthener Bibliothek ist seit fast 20 Jahren im Dienst
Jetzt wünscht sie sich, dass nach der Pandemie endlich wieder mehr Leben im Haus ist.

Köthen/MZ - „Im Moment“, sagt Kerstin Köhler, „kann ich nicht lesen. Ich bin zu abgelenkt.“ Die Corona-Pandemie und seit wenigen Tagen der Krieg in der Ukraine rauben ihr die Ruhe, sich mit einem Buch aufs Sofa zu setzen und fallen zu lassen. Dabei liebt die Leiterin der Köthener Stadtbibliothek Bücher. Bücher sind ihr Beruf, ihre Leidenschaft. Früher hat sie utopische Romane regelrecht verschlungen, „heute lese ich alles“. Bis auf wenige Ausnahmen.
Vor ziemlich genau 20 Jahren hat Kerstin Köhler die Bibliothek übernommen. Seit dem 1. April 2002 ist sie hier; „ich weiß das, weil es kein Aprilscherz war“. Eine lange Zeit, in der sie permanent versucht, „dieses Schiff über Wasser zu halten“. Bibliotheken haben es schwer, betont sie. Nicht erst seit Corona. Leichter wäre es sicher, wenn die Häuser zu den kommunalen Pflichtaufgaben gehören würden. Tun sie aber nicht; es sind freiwillige Leistungen. Die Aktualisierung des Bestandes funktioniere von daher fast ausschließlich über Fördermittel.
Am liebsten hätte die gebürtige Jenenserin allerdings Architektur in Weimar studiert
Für Kerstin Köhler gehört das Lesen schon als Kind zu ihren liebsten Freizeitbeschäftigungen. Sie sei zwar nicht so verrückt wie ihr Bruder gewesen, der fast immer ein Buch in den Händen hielt, aber es habe ihr Spaß gemacht, sich auf die Geschichten einzulassen.
Am liebsten hätte die gebürtige Jenenserin, die mit zwei Jahren nach Köthen gekommen ist, allerdings Architektur in Weimar studiert. Daraus wurde nichts, sie fiel durch die Aufnahmeprüfung und hoffte, mit der Baustoffverfahrenstechnik warm zu werden. Später, so die Idee, würde sie dann zu den Architekten wechseln. Nach einem Jahr warf sie das Handtuch. Und nun?
Sie dachte darüber nach, Lehrerin zu werden, wie ihre Mutter, entschloss sich letztlich aber, als Bibliothekshelferin in der Gewerkschaftsbibliothek bei Förderanlagen, wo ihr Vater gearbeitet hatte, in das Metier hineinzuschnuppern. Das machte ihr so viel Spaß, dass sie dabeiblieb und Bibliothekswesen in Leipzig studierte. In der Ernst-Abbe-Bücherei in Jena sammelte sie praktische Erfahrungen und kümmerte sich vor allem um die Artothek. „Das war genau mein Ding.“ Schon als Kind sammelte sie in einem Hefter Kunstdrucke, nun war sie dafür zuständig, diese zu verleihen.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich in den Bibliotheken viel verändert
Als junge Mutter suchte sie auch ihren beruflichen Mittelpunkt in Köthen, leitete hier die Wissenschaftliche Bibliothek der Pädagogischen Hochschule. Weil sie nicht pendeln wollte, lehnte sie es später ab, mit an die Universität nach Halle zu gehen, wo die Köthener Hochschule angegliedert war. Sie wechselte in den Buchhandel und lernte hier noch einmal völlig neue Facetten kennen. Ende 2001 war die Stelle bei der Stadt Köthen ausgeschrieben. Sie bewarb sich und hatte Glück, wie sie sagt, dass man sie eingestellt hat.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich in den Bibliotheken viel verändert. Aber auch seit Corona. Kerstin Köhler wünscht sich, dass man wieder zu der Idee zurückkehrt, die Bibliotheken als Veranstaltungsorte zu sehen, hier Zeit zu verbringen. „Es nützt nichts, wenn die Medien in den Regalen stehen und niemand sie ausleiht.“ Ob das ein Buch ist, eine Zeitschrift oder die neuen hybriden Formate, wie Hörfiguren oder Bücher, die man einen speziellen Stift bedient. Kerstin Köhler, die gern draußen unterwegs ist, etwas mit ihrer Enkeltochter unternimmt oder beim Yoga entspannt, kann es jedenfalls kaum erwarten, dass endlich wieder richtig Leben im Haus ist.