Bogen aus der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft
KÖTHEN/MZ. - Bitterfelder Bogen - das ist eine Art mehrspurig-brückenähnlich anmutendes Bauwerk an der Goitzsche. Es ist aber auch der Name eines Berichts, der vielfache Brückenschläge aufzeigt. Bögen spannt über drei Jahrzehnte, Bögen über zwei gesellschaftliche Epochen, Bögen zwischen Menschen. Aufgeschrieben und vorgestellt am vergangenen Donnerstagabend von Nationalpreisträgerin Monika Maron.
Die Autorin selbst; ein Brückenschlag zwischen verschiedenen Welten. 1941 in Berlin geboren, wuchs sie in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik und lebt heute wieder in Berlin. Ihr Debütroman: "Flugasche" von 1981 - nein, nicht auf jenes aktuelle Vulkanphänomen bezogen, das sie beinahe daran gehindert hätte, von Istanbul rechtzeitig nach Köthen zu kommen. Gemeint ist jene menschgemachte Asche, die vor Jahrzehnten noch tonnenweise auf das Bitterfelder Leben regnete; 180 Tonnen, um genau zu sein. Und zwar Tag für Tag.
Der Bericht fast 30 Jahre nach "Flugasche" beginnt jedoch mit einer Anfahrt. So, wie sie viele aktuell jeden Tag erleben. Wegweiser nach Solar Valley und den umliegenden Ortschaften, 300 Hektar an der "Sonnenallee". Dann spannt sich der Bogen zurück zu jenem "schwarzen, verrußten, rostfarbenen, dreißig Jahre alten Bild" all jener Schauplätze, an denen heute sich der "Chemiepark Bitterfeld-Wolfen" erstreckt, und wo man auch heute noch Spuren von damals findet, wenn auch nicht mehr viele. Wo war der Konsum? Wo die blaue Farbe an Wänden, die den Bitterfeldern den blauen Himmel ersetzte? Rohre sind noch da - heute auffallend bunt, viele türkis. Am stärksten unverändert noch der Kulturpalast. Und dann - die Menschen. Menschen wie Reiner Lemoine, "überzeugter Marxist", der schon zu Ostzeiten mit kreativ-chaotisch-sozialistischem Ingenieurskollektiv gegen die Atomkraft anforschte, während sechs Kilometer Luftlinie weiter - und doch Welten entfernt - Maron gegen marode Kohlekraftwerke anschrieb.
Unterschiedliche Welten - unterschiedliche Visionen, die dennoch, Jahrzehnte später über Firmen wie "Wuseltronik" ("Wind- und Solarelektronik") und Solon AG bis hin zur heutigen Firma Q-Cells in Thalheim den Bogen spannen - vom Gestern ins Jetzt, von Berlin nach Bitterfeld. Mit vielen Lebensgeschichten fernab dessen, was über "Ossi"-Klischees und Medienmache aufzeigt, dass auch viele von denen von hier, "denen man einfach nichts zutraute", mit zu denen gehörten, die der Region zu einer Wiedergeburt verhalfen. In Licht und Schatten von Treuhand, zwischen Bankenungerechtigkeiten, mit genialem, DDR-typischem Improvisationstalent und nicht zuletzt dem Gründermut, der letztlich stärker war als falsche Versprechungen und Angst vor privatem Risiko.
Auch um Menschen aus der Filmfabrik geht es, die im Chemiepark anderes als Chemisches Feld beackern wollten und auch schafften, dies zu tun. Obwohl sie nicht, wie manche "Heuschrecke", manch Gelände oder Gebäude für eine Mark erhielten und ob ihrer Pläne von den Banken oft verspottet wurden. Faszinierende Bögen, die sich da spannten - und außerordentlich viele in die Buchhandlung Thalia lockten. Die Initiatoren - neben Thalia saßen die Kreisvolkshochschule Anhalt-Bitterfeld, Köthens Gleichstellungsbeauftragte und die Neue Fruchtbringende Gesellschaft mit im Boot - waren zufrieden. Und wer neugierig geworden ist; das 176-Seiten-Buch ist für 18,95 Euro im Handel erhältlich.