Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Weihnachtliches von ganz hoch droben
aken/MZ. - Für Dieter Schlegel, Ralf Heckel, Ulf Knopf und Thomas Kannenberg war der 24. Dezember mit einer außergewöhnlichen körperlichen Anstrengung verbunden: Sie mussten allesamt mehr Treppen steigen als man dies normalerweise an einem solch eher besinnlichen Tage tut. Das Quartett allerdings hatte guten Grund dazu, den Weg nach oben zu suchen - Turmbläser können nun einmal nicht zu ebener Erde spielen.
Dass es in Aken heute überhaupt noch Turmbläser gibt, ist - wenigstens zu einem guten Teil - dem einstigen Akener Pfarrer Friedrich Dickmann zu danken. Ob er es in alten Unterlagen gelesen oder ob ihm eines seiner Pfarrkinder davon erzählt hatte, ist nicht mehr zu ermitteln.
Jedenfalls hatte Dickmann irgendwann vor gut 15 Jahren ein Gespräch mit Dieter Schlegel. Schlegel ist eigentlich Uhrmachermeister in der Elbestadt, darüber hinaus aber auch ein großer Musikliebhaber - der auch selber spielt. Und Schlegel hatte schon Erfahrungen als Turmbläser und war daher der richtige Ansprechpartner für Pfarrer Dickmann. "Es gab", erinnert sich Schlegel, "ja schon früher in Aken ein Turmblasen zu Heiligabend. Organisiert hatte das damals Holger Stefaniak und ich war da auch dabei." Aber irgendwann sei plötzlich Schluss gewesen, "vielleicht", meint Schlegel am Dienstag, "war das Interesse weg."
Es kann höchstens verschüttet gewesen sein, denn als Dickmann anfragte, ob man nicht wieder ein Turmblasen veranstalten könnte, ging es doch relativ rasch, wieder die notwendige Mannschaft zusammenzubekommen. Freilich nur "Splittergruppen", wie Schlegel augenzwinkernd feststellt. Immerhin ist es auch nicht ganz selbstverständlich, vier Freiwillige für einen Auftritt zu finden, der genau dann stattfindet, wenn anderswo sich die Familie nach dem Kaffeetrinken unterm Weihnachtsbaum versammelt. "Aber wir haben Spaß daran", sagt der Uhrmachermeister. "und wir machen das kostenlos."
Drei Posaunen und eine Trompete gehören zum Kleinstorchester, das weihnachtliche Musik aller Art spielt - von "Oh, Tannenbaum" bis "Süßer die Glocken nie klingen". Ganz korrekt ist die Bezeichnung als Turmbläser übrigens nicht: Den ersten Auftritt in der Kirche am Heiligen Abend haben Schlegel, Knopf, Kannenberg und Heckel auf der Empore. Dort spielen sie vor dem Gottesdienst, stimmen die Besucher auf das Folgende ein. "Dann setzen wir uns hin, und erst wenn im Gottesdienst das letzte Lied gesungen wird, steigen wir auf die Türme von Sankt Nikolai", erläutert Dieter Schlegel den Ablauf.
Von der Brücke zwischen den Türmen aus begleiten sie den Heimweg der Gottesdienstbesucher mit festlicher Musik, gute 15 bis 20 Minuten lang. Ob man aus dieser Höhe akustisch gesehen nicht ins Leere spielt? "Die Leute hören uns - es sei denn der Wind ist zu stark oder er steht komplett ungünstig", kann Dieter Schlegel beruhigen. Und manchmal hören die Turmbläser auch den Beifall von unten. "Und wenn wir ihn nicht hören, dann wird uns später gesagt, ob es den Zuhörern gefallen hat". Immerhin habe man auch Verwandte im Auditorium auf dem Platz an der Nikolaikirche.
Auch wenn die Turmbläser bis auf Ulf Knopf allesamt Hobbymusiker sind, so sind sie doch oft in Sachen Musik unterwegs. Knopf tritt mit "Ulfs kleiner Blasmusik" auf, Kannenberg und Schlegel gehören dem Köthener Stadtblasorchester an, Heckel spielt, wie auch Knopf, im Akener Musikverein.
Wenn hier von Turmbläsern die rede ist, muss dazu gesagt werden, dass es eigentlich die Akener Blechbläser sind, um die es geht. Die allerdings gibt es faktisch doppelt, hervorgegangen aus der Formation "Trombonicon Anima", also "Posaunen mit Seele", in der auch viele Akener spielten. Die Akener Blechbläser, die am Heiligabend spielen, könnte man - nur zu Unterscheidungszwecken - als "die Harten" bezeichnen. Denn nicht nur, dass sie rund 200 teils sehr steile Stufen hinaufkraxeln müssen, um an ihren Auftrittsort zu kommen, sie haben es auch mit oft widrigen Witterungsbedingungen zu tun. "Wir haben schon bei Regen und Schnee gespielt, auch bei Schneesturm", erinnert sich Dieter Schlegel. Der es aber auch schon erlebt hat, dass die Blechbläser ihre Instrumente wieder eingepackt haben. "Da hatten wir minus zehn Grad auf dem Turm. Und da war der Aufstieg umsonst."