Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Am Backofen hat man keine Zeit zum Trödeln
aken/MZ. - Das Bild des Bäckers ist in der Öffentlichkeit zunächst einmal durch ausgesprochen unfreundliche Arbeitszeiten gekennzeichnet. Wenn alle anderen - oder zumindest die übergroße Mehrheit - gemütlich an der Matratze horcht, muss der Bäcker aufstehen und sich in die Backstube scheren, wo er Brötchen, Brot und anderes produziert, das dem Frühstück die entsprechend aufbauende Wirkung gibt. Bei Andreas Schneider in Aken bekommt dieses Bild noch eine neue Facette hinzu: Das Backen ist nahezu ein Hochleistungssport. Schneider ist immer in Eile, immer beschäftigt. Selbst wenn er Fragen beantwortet, knetet er Teig, schiebt große Behälter durch die Backstube, zieht Brötchen aus dem Ofen, holt Mehl heran. Die Uhr ist sein unerbittlicher Antreiber - Brot und Brötchen brauchen nun mal ihre Zeit zum Gehen und Backen; soll alles pünktlich fertig sein, und dies in ausreichender Menge, darf Schneider nicht trödeln.
Eigentlich wollte Andreas Schneider nie Bäcker werden. Koch hat er gelernt. "Ich wollte vernünftig Geld verdienen, an der Trasse vielleicht, da war auch ein bisschen Abenteuer dabei", sagt der 45-Jährige, der als Jugendlicher aktiver Ruderer war und es sogar bis auf die Kinder- und Jugend-Sportschule Halle gebracht hat. "Die Welt", sagt Andreas Schneider, "sollte es sein, und dann ist es" - Schneider grient fröhlich - "doch wieder Aken geworden."
Er hat die Bäckerei vom Vater übernommen. Der war sein Leben lang Bäcker - vielleicht eine Reaktion auf die Nachkriegsjahre: Der Bäcker hungert nicht. Der Betrieb in der Töpferbergstraße existiert unter Schneiderscher Leitung seit 53 Jahren - allerdings hatte hier schon vorher ein Bäcker sein Geschäft. Das seien, sagt Schneider, lange Traditionen. Er selbst hat dem Althergebrachten Neues hinzugefügt: ein Café in Aken, einen Brötchen-Pavillon in der Dessauer Chaussee. Er liefert Brötchen an das Josephs-Krankenhaus in Dessau, an zwei Geschäfte in Aken und an zwei Einzelhändler in kleinen Nachbarorten. Man muss sich drehen, um im Geschäft zu bleiben, weiß Andreas Schneider. Und er dreht sich.
1993 hat er mit seinen Schwestern das Geschäft von den Eltern als Übergabe erhalten. Die geschwisterliche Kombination hat nicht auf ewig gehalten, heute ist eine seiner Schwestern noch mit an Bord, Sylvia.. Unverzichtbar sei sie, wie Schneider sagt, kümmert sich um Buchhaltung und Verwaltung und anderes mehr. Dem Bäcker Schneider muss der Rücken freigehalten werden, wenn er in der Nacht seinem Handwerk nachgeht.
Der Plan für diese Nacht ist klar. 5000 Brötchen müssen gebacken werden, 120 Mischbrote, 80 Spezialbrote. Den Teig stellt Andreas Schneider selber her. "Ich bin Bäcker. Ich habe das von der Pike auf gelernt. Da mache ich mir meinen Teig selber, anders kann ich mir das nicht vorstellen."
Ohnehin sieht er sich als Vertreter der regionalen Wirtschaft. Das Mehl kommt aus Magdeburg. Saisonales Obst für den Kuchen aus dem Umfeld, zum Beispiel Erdbeeren aus Groß Rosenburg. Dazu kommen noch Spezialmehlsorten - Kürbiskern und Malzkorn und Dinkel. Störtebecker-Brot wird gebacken aus Roggenvollkorn und kleingeraspelten Möhren "als besonderer Kick". "Irgendwo schmeckt es sonst wie im Supermarkt oder an der Tankstelle, alles gleich. Ich denke aber, man muss sich ein Stück weit unterscheiden."
Die Besinnung auf Traditionelles bedeutet nicht, dass Schneider technischen Neuerungen abhold ist. Ein neuer Rototherm-Ofen hat die alte Schamott-Anlage abgelöst. Die Brötchen werden maschinell aufgearbeitet: Der Teig wird in die Maschinen eingelegt, am Ende kommen sauber geformte Brötchen heraus, die im Ofen landen. Auch das Mischbrot, das übrigens in einem Korkbett gebacken wird, wird in einer Maschine geformt.
"Bei größeren Chargen geht das nicht anders. Wenn ich das mit der Hand machen müsste", sagt Andreas Schneider, "reichen die zwölf, 13 Stunden nicht mehr aus, die ich täglich in der Backstube bin. Da bin ich dann den ganzen Tag hier."
Auch außerhalb der Töpferbergstraße kann man dank großer Kühlzelle und Vorratshaltung den Kunden frische Brötchen anbieten, in Pavillon und Café stehen Garschränke,"da werden die Brötchen, die in der Kühlzelle waren, wieder zum Leben erweckt", beschreibt Schneider den biochemischen Vorgang, den jede Semmel durchlaufen muss, wenn sie als knuspriges Kleingebäck auf dem Tisch landen will. Gegen 2.30 Uhr jedenfalls riecht es schon so appetitanregend in der Backstube, dass man schlichtweg Hunger bekommt.
Qualität ist das A und O für den Bäcker, in dessen Geschäft monatlich zwölf Tonnen Mehl verbraucht werden. Qualität und Service. Letzteres heißt oft auch, dass der Herr des Hauses mit seinen privaten Vorstellungen zurückstecken muss. "Wenn um zehn oder um elf Uhr die Info kommt, wie brauchen noch Brot, dann muss eben noch mal nachgeliefert werden." Da hat der Bäcker sein Tun, zumal sein Geselle noch neu ist in der Töpferbergstraße. Martin Neubert hat in Hinsdorf gelernt, ist nach Dessau in eine größere Bäckerei gewechselt und dort nicht glücklich geworden. Jetzt steht er seit rund drei Wochen Andreas Schneider zur Seite, muss sich aber noch einarbeiten. "Jede Bäckerei", weiß Schneider, "ist anders, funktioniert ein wenig anders."
Aber froh ist er schon über den Gehilfen. Denn selbst ein durchtrainierter Bäcker kommt an seine Grenzen. Der Arbeitstag geht von 1.30 Uhr bis 13 Uhr und länger. Dann hat man zwei, drei Stunden Schlaf, ehe man um 17 Uhr wieder in die Backstube marschiert, um die Nachtarbeit vorzubereiten. Das Familienleben findet zwischen 18.30 und 20.30 Uhr statt, "Freizeit gibt’s gar nicht", sagt Schneider lakonisch.
Richtigen Urlaub gab es das letzte Mal vor vier Jahren, da war Schneider in Italien, mit Lebensgefährtin und den zwei Töchtern. Auf die ist Schneider sicht- und hörbar besonders stolz. Clara, die Zwölfjährige, ist an der Freien Schule Anhalt. Und Sophie, die Große, will nach einem 1,0-Abi am Liborius-Gymnasium in Tübingen studieren, "irgendwas erforschen, was noch nicht da ist", sagt der Vater. Derzeit macht sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in Nikaragua. "Da waren wir schon ein bisschen verdattert." Schneider, man ahnt es längst, dreht sich auch für seine Familie. "Die Arbeit ist nicht leicht. Man muss eine innere Einstellung dazu finden. Und wenn man weiß, dass man sich mit viel Mühe etwas aufgebaut hat, eine gesunde Basis gefunden hat, will man das auch erhalten."