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Strickstube in Jessen Strickstube in Jessen: Maschen der Woll-Lustigen

Von Gabi Zahn 02.12.2013, 10:26
Die „Stricklieseln“ in der Jessener Stickstube sind Heike Kring, Heidrun Hinz, Hannelore Thinius, Anke Müller, Sandra Hanke und Regina Müller. Ob die Reihen für den Baby-Handschuh schon reichen?
Die „Stricklieseln“ in der Jessener Stickstube sind Heike Kring, Heidrun Hinz, Hannelore Thinius, Anke Müller, Sandra Hanke und Regina Müller. Ob die Reihen für den Baby-Handschuh schon reichen? Gabi Zahn Lizenz

Jessen/MZ - Wenn die Abende länger werden, steigt die Lust auf ganz besondere Maschen. Zwar sollen auch Männer dieser Leidenschaft frönen, doch meist sind es Frauen, die sich generationsübergreifend daran begeistern. Das jedenfalls lässt ein Besuch in der Jessener Stick- und Gardinenstube in der Langen Straße vermuten: Immer montags, wenn der Verkaufstag zu Ende ist, rücken Inhaberin Regina Müller und ihre Tochter Anke einige Tische zusammen, bereiten Tee vor, holen angefangene Handarbeiten hervor – und warten auf „Besuch“. Der lässt nicht lange auf sich warten: Ab 18.30 Uhr klingt fröhliches Plappern, begleitet von emsigem Nadelklappern durch das Geschäft. Ein herrlicher Duft von Hagebutten-, Sanddorn- oder Pfefferminztee erfüllt den Raum und erinnert an Zeiten, in denen Uroma in der Spinnstube saß, um beim Handarbeiten mit ihresgleichen über Gott und die Welt zu plaudern und Kuchenrezepte austauschte.

Diese „Ur“-Gemütlichkeit ist es, die Hannelore Thinius (62) aus Großkorga seit Ende September jeden Montagabend aus dem Haus lockt und nach Jessen fahren lässt: „Ich stricke auch zu Hause beim Fernsehen. Doch ehrlich gesagt, macht das halb so viel Spaß. Ich habe Lust auf die Gemeinschaft mit anderen Leuten und freue mich, dass es hierfür einmal in der Woche ein Ziel gibt.“ Eine Zeitlang sei sie zum Stricken sogar bis Jüterbog gefahren – bis sie eines Tages in der MZ vom Angebot in Jessen gelesen habe. Verschmitzt lächelnd hält Hannelore Thinius ein flauschiges Maschenwerk nach oben. Es ist das „Alibi“ des wöchentlichen Ausfluges – ein Riesenschal in sämtlichen Rottönen, der an diesem Abend weiter an Länge gewinnt.

In illustrer Gesellschaft stricken und häkeln

Heike Kring (51) aus Jessen hat sich der Häkelei verschrieben: „Als ich zum ersten Mal kam, legte ich meine 30 Jahre alten Topflappen auf den Tisch. Da wusste jeder, warum ich hier bin.“ Inzwischen sind einige neue Exemplare bereits fertig, „sogar im Gräten- oder Rippenmuster, was ich früher nie kapiert habe.“ Doch selbst, wenn diese Stücke bereits für die nächsten 30 Jahre reichen würden – die Lust, feste Maschen, Stäbchen, Doppelstäbe, Muscheln und dergleichen mehr in illustrer Gesellschaft anzuschlagen, geht noch lange nicht zur Neige, ebenso wenig wie das Garn.

Heidrun Hinz (61) aus Klöden hat seit Kursbeginn Ende September nicht einen Abend versäumt. Es scheint, als wäre die Häkelnadel mit ihren Fingern verwachsen. Auf dem Platz häufen sich etliche kleine Quadrate, nur halb so groß wie ein Topflappen und in unterschiedlichen Mustern und Farben. „Am Ende werden alle aneinander gefügt, sodass eine kribbelbunte Patchworkdecke entsteht.“ Ein Weihnachtgeschenk? „Ja, für uns, damit wir im Wohnzimmer gemütlich kuscheln können“, erzählt sie fröhlich. Etwa 50 Einzelteile sind bereits fertig, 220 müssen es im Ganzen werden.

Ein klein wenig später als die anderen kommt Sandra Hanke (38) zur Tür herein – fast im Sturmschritt. Doch schon mit dem ersten Blick in die vertraute Runde scheint die Hektik des Tages von der dreifachen Mutter zu weichen. Augenblicke später sitzt sie inmitten der anderen Frauen, sucht das Ende ihres lindgrünen Wollknäuels und beginnt zu arbeiten. „Eine Boshi-Mütze für meine Tochter soll das werden, solche Modelle sind total in“, lässt sie wissen. Eine Boshi wird immer an der Spitze begonnen – aber wie nur? So richtig will der Maschenanschlag nicht gelingen. „Kein Problem“, bekräftigt Anke Müller und hilft beim „magischen Ring“. „Bei dir sieht das so einfach aus, aber ich brauche vermutlich zehn Finger, und zwar an jeder Hand, um das hinzukriegen“, scherzt Sandra Hanke. Ihr Stress verwandelt sich umso schneller in Humor: „Beim letzten Mal wollte ich meinen Topflappen fertigmachen und mit Mäusezähnchen umhäkeln. Am Ende sah der aus wie ein Scheuerlappen!“ – Die anderen Frauen frotzeln: „Das war eben ein Sondermodell!“ Hannelore Thinius lacht so sehr, dass gleich einige Maschen von der Nadel fallen.

Regina Müller beschwichtigt mit einer Runde Konfekt: „So muss es sein. Am Anfang haben alle noch dagesessen wie Mauerblümchen. Doch mit jedem Meter Wolle, den wir verbrauchten, wurden die Abende lockerer.“

Nachfrage der Kinder und Enkel steigt

Auf diese Weise sind bereits jede Menge Schals, Stulpen, Handschuhe, Topflappen, Stolas und vor allem auch Strümpfe entstanden. Die Nachfrage der Kinder und Enkel steigt: Jene Zopf-, Patent-, Gitter- und Lochmuster, mit denen Uroma die ganze Familie bestrickt und behäkelt hat, liegen wieder absolut im Trend. Sie sind sogar „Kult“, wie Heidrun Hinz von ihren Enkeln Lenka, Lorenz und Liz weiß. Nur kratzige Wolle will niemand mehr: „Dafür gibt es jetzt kuschlige Garn-Qualitäten in unendlich vielen Farben, dass es eigentlich keinen Schal und keinen Pullover zweimal auf der Welt geben dürfte“, versichert Regina Müller.

Manch einer strickt auch für die Katz’: einen Überzieher für den Stubentiger, damit er sich nicht verkühlt, wenn er in allzu frostigen Nächten draußen umher stromert.

Jeden Montag wird in Jessen gestrickt.
Jeden Montag wird in Jessen gestrickt.
Gabi Zahn Lizenz
Da freuen sich die Kinder, Enkel und Ehemänner: Mützen, Schals und Handschuhe sind das Ergebnis der Strickstube.
Da freuen sich die Kinder, Enkel und Ehemänner: Mützen, Schals und Handschuhe sind das Ergebnis der Strickstube.
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