Sowjetische Besatzungstruppen Sowjetische Besatzungstruppen: Meister im Täuschen und Tarnen

Jessen - Fünf Jahrzehnte lang gehörten sowjetische Besatzungstruppen ganz selbstverständlich zum Alltag in der späteren DDR. Zwar befreiten diese Osteuropa und Teile Ostdeutschlands vom Joch des Faschismus, doch die immer wieder gepriesene Freundschaft zwischen Russen und Ostdeutschen bestand oftmals nur auf dem Papier. Zumal sich die fremde Armee zu keinem Zeitpunkt in die Karten gucken ließ, wie der Jüterboger Chronist Henrik Schulze in seinem neuesten Buch feststellt.
Die Zahl derer im Altkreis Jessen, die sich für militärhistorische Geschichte interessieren, ist hoch. Vorträge zu diesen Themen sind stets gut besucht. Den Nerv der Interessierten trifft besonders Henrik Schulze aus Jüterbog. Der ehrenamtliche Chronist widmet sich seit vielen Jahren der Historie seiner Heimatstadt und hat diese in der Reihe „Jammerbock“ niedergeschrieben. Sein nunmehr viertes Buch dieser Serie stellte er vor wenigen Tagen im „Schützenhaus“ in Jessen vor.
Auf etwa 700 Seiten darin beschäftigt sich Schulze ausführlich mit dem Dasein russischer Truppen in und um Jüterbog. Von 1945, dem Ende des Zweiten Weltkrieges, bis zum endgültigen Abzug der Armee 1994 leisteten 1,6 Millionen russische Soldaten am Standort Jüterbog ihren Wehrdienst ab oder dienten hier als Offizier oder Unteroffizier.
„Jüterbog war damit die größte militärische Liegenschaft außerhalb der Sowjetunion“, erläuterte Schulze gegenüber seinen erstaunten Zuhörern. 40000 Soldaten waren permanent vor Ort. Das Territorium, dass die Russen dabei für sich beanspruchten, umfasste etwa 200 Quadratkilometer. Nicht darin eingeschlossen sind Bereiche wie die Glücksburger Heide.
Wichtige Verstecke
Was die wenigsten wussten, russische Soldaten eingeschlossen, war das Wie der Nutzung der Liegenschaften. Zwar ist das Training mit Panzern und Geschützen bekannt, weiß man von den Flugplätzen, die durch die Russen in der Region betrieben wurden.
„Aber vor allem die Übungsflächen dienten den Sowjets als wichtige Verstecke von Materiallagern und operativen Zentren“, konnte Schulze aufgrund seiner Recherchen erfahren. Die Quellen, die er dabei zurate zog, sind vielschichtig.
Besonders an militärische Dokumente sei schwer heranzukommen. Noch immer weigern sich etwa die alliierten Westmächte, ihre Archive zu öffnen und Akten offen zu legen. Um so ergiebiger sprudelt es aus dem russischen Internet. Viele der ehemaligen Soldaten haben sich hier auf verschlüsselten Plattformen zusammengefunden, um die einstigen Erlebnisse ihrer Armeezeit wach zu halten oder aufzuarbeiten.
Über Beziehungen kam Henrik Schulze in einzelne Gruppen und erfuhr dabei viel von der oftmals gepriesenen russischen Gastfreundschaft. „Einige überließen mir sogar ihre privaten Fotoalben zur Sichtung“, zeigte er sich noch immer beeindruckt. Aus den Berichten der Ehemaligen erfuhr Henrik Schulze zudem, dass selbst russische Soldaten nur ein Bruchteil dessen wussten, was in den Kasernen und auf den Übungsplätzen passierte.
Entwirren war Schwerstarbeit
Diese Geheimniskrämerei, die zweifelsfrei dem Kalten Krieg geschuldet war, führte sogar soweit, dass einzelne Regimenter stets und ständig ihre Bezeichnung änderten.
Selbst die Biografien der jeweiligen Truppenteile, ihre Fahnen und Orden oder Einsätze während des Zweiten Weltkrieges wurden immer wieder verändert. Dieses Spiel diente ausschließlich der Irreführung der NATO, sagte Schulze. Es zu entwirren, sei Schwerstarbeit gewesen, fügte der Jüterboger an. Seiner Aussage nach zeigt sich darin aber auch, wie Ernst die Lage im Kalten Krieg war.
Dass Russen aus Jüterboger Kasernen 1968 beim Einmarsch der Roten Armee in der Tschechoslowakei dabei waren, Roman Polanski nach dem Abzug der Truppe Teile seines Films „Der Pianist“ in Jüterbog Altes Lager drehte oder das Land Brandenburg heute mehr alte militärische Liegenschaften (Konversionsflächen) aufzuweisen hat als das Saarland groß ist, waren zusätzliche Fakten eines umfassenden Vortrags.
Zwei Jahre hat Schulze an seinem Buch gearbeitet, das er nun für 40 Euro im Eigenverlag verkauft. „Wir würden uns freuen, wenn es eines Tages einen fünften Band der Reihe ,Jammerbock´ oder ein Buch zu völlig anderen Themen von ihnen gibt“, dankte Detlef Polzenhagen, stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins „Glücksburger Heide“, dem Gast.
Der Verein hatte Henrik Schulze zu dieser Buchvorstellung eingeladen und möchte damit auch demonstrieren, wie sehr ihm selbst an der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte der Region gelegen ist.
Wer das Buch „Jammerbock IV“ von Henrik Schulze erwerben möchte, kann dies über die Homepage des Autors www.henrik-schulze.de jederzeit tun. (mz)