Sekundarschule Nord Sekundarschule Nord: Smartphone als Jessen-Stadtführer

JESSEN/MZ - Eine satellitengestützte Erkundungstour durch Jessen per Smartphone oder Tablet kann jetzt jederzeit stattfinden. Man braucht nur die App „Action Bound“ und den Link „Jessen“ herunter zu laden. Schüler der beteiligten drei siebten Klassen der Sekundarschule Nord und die vier Teamer, Medienpädagogen, die für den Offenen Kanal Merseburg-Quedlinburg, eine Bürgerfernseh-Einrichtung, tätig sind, zeigten sich bei der Ergebnis-Präsentation stolz auf ihr gelungenes Werk.
Die als Geocaching bezeichnete elektronische Stadtführung, eine moderne „Schnitzeljagd“, gehört zum Lokalen Aktionsplan für den Landkreis Wittenberg (LAP) und wird darüber sowie von Land und Bund gefördert. Grundanliegen ist die Stärkung des Demokratiebewusstseins, die Förderung von Toleranz und die Wissensvermittlung an eine möglichst breite Bevölkerungsschicht.
Markante Punkte und Ereignisse
Stationen des Jessener Geocachings sind mit Filmen, Ton und Musik unterlegte Sequenzen über markante Punkte und historische Ereignisse in der Stadt an der Schwarzen Elster. Beleuchtet werden: Das Schloss, wo die Tour startet und endet, der historische Marktplatz, die Kirche Sankt Nikolai, die Elsterbrücken, das Löwendenkmal auf dem Schulfestplatz, die Gaststätte „Schützenhaus“ als eines der größten Beat-Zentren zu DDR-Zeiten (damals „Erlenhof“), das Ehrenmal für die beim Todesmarsch am 16. April 1945 im Raum Jessen ermordeten KZ-Häftlinge, die Fuhrmannsche Villa in der Bahnhofstraße, die Ereignisse in Jessen beim Volksaufstand am 17. Juni 1953, das Wirken des Historikers Karl Lamprecht sowie die Geschichte des Jessener Heimatliedes von Ludwig Hosch.
Man muss die einzelnen Beiträge, zwischen drei und fünf Minuten lang, aufmerksam auf dem Display verfolgen. Denn am Schluss wird eine Frage gestellt, drei Antworten stehen zur Auswahl. Für die richtige gibt es mit klingendem Kassengeräusch Bonuspunkte und das nächste Ziel wird vom Smartphone oder dem Tablet „verraten“. Per Satellit und über GPS wird man dorthin geleitet.
Bei der Präsentation waren Vertreter aus allen siebten Klassen anwesend. Ebenso die stellvertretende Sekundarschulleiterin Steffi Rost und Ursula Nachtigall, die als Fachlehrerin für Geschichte das Projekt betreute. Die Teamer Marco Geßner (Leiter), Janine Zakrozinsky, Jörg Kratzsch und Lorenz Schill lobten das Engagement und die Begeisterung der Jungen und Mädchen bei den Recherche-, Dreh-, Vertonungs- und Schnittarbeiten. Ebenfalls dabei waren Peter Raschig aus Jessen und Wolfram Wieland, Leiter des Archivs der Stadtverwaltung. Sie hatten die Schüler umfangreich mit Informationsmaterial versorgt. Ebenso Birgit Wittek von der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin. Reinhard Pester ist Bildungsreferent beim Landkreis und verschaffte sich einen Überblick, wie der LAP mit Leben erfüllt und ob das Geld auch sinnvoll angelegt wurde.
Die Schüler kamen mit den verschiedensten Medien-Spezifika und -Techniken in Kontakt. Aber, so die einhellige Meinung: „Es hat großen Spaß gemacht!“
Personen kommen an einzelnen Stationen zu Wort, so Pfarrer Tobias Bernhardt. Er erzählt über die Geschichte des Jessener Gotteshauses und warum der Kirchturm der Stadt gehört. Er wurde anfangs nämlich auch als Brand-Beobachtungspunkt genutzt.
Über den Volksaufstand
Peter Raschig war kompetenter Zeitzeuge für die Ereignisse am 17. Juni 1953 in Jessen. Vor allem Bauern aus der Elbaue versammelten sich auf dem Markt. Sie forderten von den kommunistischen Machthabern die Freilassung inhaftierter so genannter Großbauern. Es gelang, die Demonstranten charterten einen Lkw (mit Holzvergaser!) und holten die Gefangenen persönlich und sehr schnell aus Gefängnissen in Herzberg und Mühlberg ab.
Mit Jubel empfing man sie auf dem Markt. Allerdings wurden „im Gegenzug“ sofort die „Rädelsführer“ verhaftet und für längere Zeit in Zuchthäuser verbracht. Peter Raschig stellte auch einige historische Fotos zu diesem Geschehen zur Verfügung. Der Jessener Drogist Paul Bernharend hatte sie heimlich geschossen, die Filme selbst entwickelt und die Abzüge unterm Teppich versteckt.
Rechtsanwalt Bernd Woick kommt in einem längeren Interview zu Wort. Er erzählt, wie sich der „Erlenhof“ zu einem Beat-Zentrum der DDR entwickelte. Rastlos tourte er mit seinem „Trabant 500“ durchs Land und knüpfte Kontakte zu Bands, die damals Rang und Namen hatten. Joco Dev, Modern Soul, Klaus Lenz, die Berliner Stadtmusikanten, Crescendo, Blau-Rot Dessau und die Klaus-Renft-Combo spielten zum Teil mehrfach im „Erlenhof“. Es war eine Gratwanderung, von den Genossen gerade so geduldet. Sie witterten stets „westliche Dekadenz“ und eine „Verrohung und negative Beeinflussung“ der DDR-Jugend. Wehe, es hätte einen Vorfall gegeben! „Wir hatten aber eine starke Ordnungsgruppe“, versicherte Bernd Woick.
Auch Lehrerin erfährt Neues
Selbst die Geschichtslehrerin Ursula Nachtigall konnte noch dazu lernen. Peter Raschig hatte Dokumente vorgelegt. Darin wurde über den so genannten Flaggenstreit am Ende der Kaiserzeit und dem Übergang zur Weimarer Republik Anfang der 1920er Jahre berichtet. Kundgebungsteilnehmer marschierten erst los, nachdem die neue Nationalflagge in den Farben Schwarz-Rot-Gold beschafft worden war. Auch eine wüste Schlägerei gab es einst auf Jessens Markt. Verfeindete Zigeunerfamilien beschossen sich sogar, Ordnungskräfte schritten resolut ein.
Den Schülern der Nord-Schule und dem gesamten Team ist mit diesem ehrgeizigen Projekt ein „großer Wurf“ gelungen. Jetzt kommt es darauf an, die Stadtführung per Smartphone oder Tablet publik zu machen. Die Nutzung der App ist übrigens kostenfrei und rund um die Uhr möglich.