Lesung in Grundschule Prettin Lesung in Grundschule Prettin: Jan Flieger oberschrill und berührend

Prettin - Innerhalb der Lesewoche an Prettins Grundschule gibt es einen Tag, auf den sich die Mädchen und Jungen alljährlich besonders freuen: Ein „richtiger Schriftsteller“ kommt zu Besuch. Diesmal ist es Jan Flieger aus Leipzig.
Auftrag für Detektiv
Mucksmäuschenstill sind die Erst- und Zweitklässler der Prettiner Grundschule allerdings nicht, als sie dem Autor lauschen: Jan Flieger liest aus seinem Kinderroman: „Jule und der verschollene Hengst“ vor. Hin und wieder macht er eine kurze Pause, weil die Kinder kichern oder laut lachen. Manchmal tuscheln sie auch über das, was das Mädchen Jule in der Geschichte erlebt. Gerade diese interessierte Unruhe zeugt jedoch davon, dass die Kinder „voll drin“ sind im Geschehen. Gemeinsam mit Jan Flieger haben sie eine literarische Reise über Tausende Kilometer in die Megametropole Tokio angetreten.
Schuld daran sind Jules Eltern. Sie haben das Lieblingspferd ihrer Tochter, den Hengst Blacky, klammheimlich verkauft, weil er zu teuer für die Familienkasse wurde. Das kann und will das Mädchen nicht verzeihen. Sie weiß das schlechte Gewissen von Mum und Dad unerbittlich zu schüren. Als die Eltern eine unerwartete Erbschaft machen, beschließen sie, Blacky zurückzuholen. Jule ist misstrauisch, zumal das Pferd nach Tokio weiterverkauft wurde.
Dorthin fliegt sie mit ihrem Vater und findet sich in einem tausendfachen Labyrinth von Straßen wieder, von denen nur 15 einen Namen haben. Wie also zurechtfinden, denn die Stadt zählt zwölf Millionen Einwohner! Zum Glück gibt es in Tokio wahnsinnig schlaue Detektive, die alles Mögliche und Unmögliche herausfinden. Einer wird engagiert, doch Jule will auf Nummer sicher gehen und macht sich selbst auf die Suche nach Blacky. In einem Szene-Viertel trifft sie Fumino, einen oberschrillen fast gleichaltrigen Jungen, in den sie sich sogar ein bisschen verliebt. Beide sprechen Englisch, und sie vertraut sich ihm an.
Hightech-Toilette
Ob letztendlich eine von Fuminos genialen Ideen oder ein Wahrsager zu Blacky führt, vielleicht aber doch der Detektiv – das lässt Jan Flieger in der Buchlesung offen. Die Prettiner Schüler sind neugierig genug und wollen die Geschichte selbst lesen. Einige Szenen werden sofort diskutiert: Gibt es wirklich diese Hightech-Toilette, die per Computerschaltung mit 36 Knöpfen „bedient“ wird und auf der Vogelgezwitscher erklingt?
Weil Jule die Schriftzeichen nicht lesen kann, macht sie wohl einiges falsch und kommt – nass von oben bis unten bespritzt – aus dem Abenteuer-WC heraus. Jan Flieger schmunzelt und verrät: „Das ist nicht geflunkert. Mir ist das auch passiert.“
Ein halbes Jahr lang hat der Leipziger in Tokio gewohnt und gearbeitet, „in einer winzigen Wohnung, die wir uns hier kaum vorstellen können. Ich habe Freunde dort, sonst hätte ich mir selbst diese Bleibe nicht leisten können“, erzählt er den Kindern.
Neugier auf andere Kultur
Entstanden sind in dieser Zeit ein Krimi: „Man stirbt nicht lautlos in Tokio“, und das vorgestellte Kinderbuch über Jule. Seine Tokio-Erlebnisse lässt Jan Flieger so spannend in die Handlung einfließen, dass sie neugierig macht auf die fremde Kultur. Der Autor taucht dabei geschickt in die Sprachwelt der Schüler ein und formuliert Dialoge in einem Jargon, der cool genug ist, die jungen Leser bis zum Ende zu begeistern. Nicht zuletzt deswegen, weil er zugleich auch die Gefühlsebene der Sechs- bis Zwölfjährigen mit all ihren Facetten berührt.
Zum Schluss haben die Kinder viele Fragen und auch die Geduld, sie nacheinander zu stellen. Das ist nach einer halben Stunde intensiven Zuhörens bemerkenswert. So möchte Pina wissen, welches Buch Jan Flieger zuerst geschrieben hat: „Einen Gedichtband.“ Clemens, Luca und andere Kinder interessiert, wie viele Bücher es von ihm gibt: „35, davon zwölf Kinderbücher“, lautet seine Antwort.
Als der Autor erzählt, dass früher Kurzgeschichten in der Zeitschrift „Magazin“ zu lesen waren, werden vor allem Lehrerinnen hellhörig. Dörthe Hillwig fragt schmunzelnd: „Die Polterabend-Geschichten?“ Das bestätigt Jan Flieger nur zu gern. Gruslig-spannend wird es im Anschluss für die Schüler der dritten und vierten Klasse, die gemeinsam mit dem Schriftsteller „Die Ruine der Raben“ entdecken. (mz)