Landärztemangel in Jessen Landärztemangel in Jessen: Zurückweisung neuer Patienten nimmt zu

Jessen - „Die Schere zwischen gleichzeitig wachsendem Versorgungsbedarf und schwindender Primärarztversorgung auf dem Lande wird immer dramatischer für den Heimatkreis.“ Dieses Fazit zieht Martin Steinert bezüglich der sich abzeichnenden Situation in der Versorgung mit Hausärzten in der Jessener Region. Der in Klöden niedergelassene praktische Arzt, der zugleich intensiv im Notarztsystem im Jessener Land mitwirkt, weiß wovon er spricht. Er kennt die Problematik aus eigenem Erleben zur Genüge. Er hat in der Vergangenheit Entwicklungen genau so vorhergesehen, wie sie sich nun einstellen und dies auch öffentlich erklärt. Steinert warnte vor der Reform der Bereitschaftsdienstbereiche wie vor der Einschränkung der Einsatzzeiten für den zweiten Jessener Rettungswagen während der Nacht.
Bald deutlich weniger Landärzte
Auf die Patienten im Jessener Land kommen keine rosigen Zeiten zu. Ein kurzer Überblick: Seit 2014 ist die Hausarztstelle in Prettin unbesetzt. Im laufenden Jahr beendeten die Doktoren Detlev Müller in Annaburg und Brunhilde Ziegenhahn in Jessen ihre Arbeit. Letztere, inzwischen verstorben, arbeitete bis ins hohe Alter und war über viele Jahre die älteste praktizierende Ärztin im Lande. Müller hatte zwar vor drei Jahren bereits mit Christian Wagner und Sandra Trabitz Nachfolger für seine Praxis gefunden.
Durch seinen endgültigen Wechsel in den Ruhestand fällt nun aber doch seine Stelle gänzlich weg. Und dies in einer Situation, da insbesondere die Annaburger Arztpraxis durch die Aufnahme eines großen Teils der Patienten aus dem Raum Prettin stark belastet ist. Zwei Jessener Praxen seien derzeit krankheitsbedingt nur eingeschränkt offen. Und dazu gibt es eine Reihe von Ärzten in der Region, die bereits im Rentenalter stehen und mutmaßlich in absehbarer Zeit auch in den Ruhestand wechseln werden.
Internist Michael Weiß, Gebietssprecher der Kassenärzte im Jessener Land, hat denn auch nur eine Antwort parat: „Die geschilderte Wahrnehmung ist absolut richtig.“ Und Weiß macht kaum Hoffnung, dass sich die Situation ändern werde. Weder, dass die vakante Stelle in Prettin mittelfristig neu besetzt würde, noch, dass sich etwas an der Gesamtsituation ändert. „Es gibt keinen Weg, Landarztstellen per Befehl zu besetzen“, sagt Michael Weiß, der die Wahrnehmung ebenso bestätigt, dass die noch praktizierenden Ärzte schon kaum noch neue Patienten aufnehmen.
Lösung gesucht
„Ich bin nicht glücklich darüber. Aber es gibt kein Konzept, das Ärzte aufs Land zieht“, so der Internist. Der aber genauso wenig wisse, „wo ich den Schwarzen Peter hinschieben soll“. Die geschilderte Situation herrsche nicht nur im deutschen Osten, sondern auch in den westlichen Bundesländern.
Die Entwicklung macht Wittenbergs Landrat Jürgen Dannenberg (Linke) große Sorgen. Doch auch er hat keine „Lockmittel“ zur Verfügung, um junge Landärzte zu gewinnen. Er habe mehrfach mit Annaburgs Bürgermeister Klaus-Rüdiger Neubauer (parteilos) die Arztsituation besprochen „und überlegt, was man tun kann“. Er habe auch mit dem Landesgeschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gesprochen. Eine nächste Möglichkeit biete der Runde Tisch der Bürgermeister und Landräte am 17. November.
Zwei Entscheidungen, die eine von der Kreisverwaltung und die andere von der Kassenärztlichen Landesvereinigung, standen schon vor ihrem Wirksamwerden in der Kritik: Seit Jahresbeginn 2014 nämlich waren die Vorhaltezeiten für den zweiten in Jessen stationierten Rettungswagen während der Nacht deutlich eingeschränkt worden.
Seit 1. Juli 2014 sind die zuvor drei ärztlichen Bereitschaftsbereiche zu einem zusammengefasst worden. Was bedeutete, dass nicht mehr drei Ärzte zur Verfügung stehen, sondern jeweils nur noch einer. Das System sollte laut Kassenärztlicher Vereinigung komfortabler insbesondere für junge Ärzte werden. Es stand allerdings schnell in der Kritik, weil längere Wege für den Arzt auch längere Wartezeiten für die Patienten mit sich brächten
Wenn man dort die KV einlüde, hätten die Bürgermeister zumindest ein gutes Podium, solche Probleme erneut deutlich zu machen. Auch in den zuständigen Kreistagsausschüssen werde das Thema regelmäßig behandelt. Denn die Folgen sieht auch der Landrat auf die Einwohner zukommen: „Es wird künftig viel Mobilität verlangt. Damit ergeben sich deutliche Einschränkungen in der medizinischen Versorgung vor allem für die älteren Bürger.“
Für den Haus- und Notarzt Martin Steinert bettet sich die anwachsende Personalnot jedoch ein in die schon erwähnten veränderten Rahmenbedingungen. Namentlich die Verringerung der Bereitschaftsbereiche der Kassenärzte im Jessener Land von drei auf einen bedeute für die Patienten längere Wartezeiten und die Bereitschaftsärzte deutlich längere Wege. Doch gerade die Bereitschaftsärzte - die sich um akute, aber nicht ausgesprochene Notfälle kümmern - wären für Patienten die Ansprechpartner, die von den niedergelassenen Ärzten nicht als Neukunden aufgenommen werden können. Dass die Zahl der Rettungsdiensteinsätze in der zurückliegenden Zeit deutlich ansteigt, ist für Steinert ein schlagkräftiges Argument für seine Ansicht.
Rettungsdienst öfter gefordert
Dass es diesen Anstieg gibt, verhehlt Ute Görtler, für den Rettungsdienst zuständige Fachdienstleiterin im Landratsamt, nicht. Wenngleich sie sagt, dass dies keine originäre Entwicklung nur im Kreis Wittenberg oder speziell der Jessener Region sei, sondern bundesweit verzeichnet werde. Dafür gibt es aber wenigstens eine gute Nachricht: Dem Rettungsdienstbeirat des Kreises liegt ein neuerliches Gutachten zu den Einsatzzeiten vor. Und das empfiehlt, drei zusätzliche Standorte für Rettungswagen einzurichten.
Dem folgten sowohl der Beirat als auch die Krankenkassen als Financiers, so Ute Görtler. Demnach sollten ab 2016 der zweite Jessener Rettungswagen - mit wieder erweiterten Zeiten - in Annaburg und zwei weitere in Elster und Pratau stationiert werden. Am 30. November werde dem Kreistag diese Vorlage zum Beschluss vorliegen, erläutert die Chefin über den Rettungsdienst.
Notarzt Steinert, der selbst Mitglied im Rettungsdienstbeirat ist, verspricht sich davon wieder mehr Zuverlässigkeit und Service für die Patienten. (mz)