Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Keine Firewall gegen Cybermobbing
JESSEN/MZ. - Von Computerviren haben die Mädchen und Jungen der Sekundarschule Nord natürlich schon gehört. Doch zumeist gibt es Firewalls - also Schutzwälle - mit denen der Computer und damit die eigenen Daten auf der Festplatte relativ gut gesichert sind. Von ganz anderen Gefahren beim Surfen im Internet, beim Chatten mit Schulkameraden und anderen vermeintlichen Freunden wissen die meisten Schüler ebenfalls, taten das zumeist leichtfertig mit den Worten ab: "Cybermobbing? - Das kann mir doch nicht passieren." Und dann passiert es doch: Jemand verbreitet über einen Schüler in einem sozialen Netzwerk Unwahrheiten, gibt ihn der Lächerlichkeit preis. Der Betroffene hat davon zunächst keine Ahnung. Als er es erfährt, ist viel Schaden angerichtet.
In der Sekundarschule Jessen-Nord war das ein Grund, ein bildungsbezogenes Angebot des Internationalen Bundes, ein freier Träger der Jugendhilfe im Landkreis Wittenberg, anzunehmen. Unter dem Titel "Was machst du da im Internet(z)?" setzen sich Schüler und Lehrer gemeinsam mit Schulsozialarbeitern Silvia Rick seit Anfang des Jahres mit dem Thema kreativ auseinander. "Der Elternrat selbst hatte nach einigen Vorfällen Bedarf angemeldet. Wir haben darauf reagiert", machte Schulleiter Thomas Felber vor zahlreichen Eltern deutlich, die am Dienstagabend die Einladung in die Schule zu Gesprächskreisen mit Fachleuten angenommen hatten.
Felber zeigte auf, was im Projekt bisher passiert ist: Die fünften Klassen beschäftigten sich unter Anleitung der Medienanstalt Halle mit sozialen Plattformen, deren Nutzung und den Gefahren. Dabei verdeutlichten sie die Problematik auf Anschauungstafeln, Plakaten und CD, die während des Elternforums gezeigt wurden. In der Klassenstufe 6 gab es eine Diskussion mit Präventionsbeauftragen der Polizei zum Thema Cybermobbing. Die siebenten Klassen setzten sich mit rechtlichen Grundlagen der Internetnutzung, auch mit dem Urheberrecht, auseinander. In den achten Klassen betätigten sich Schüler als Filmemacher und drehten Szenen zum Thema. Die neunten Klassen fuhren nach Leipzig in die Computerspiele-Schule.
Betroffenheit durch Video
Am Dienstag lud Thomas Felber die Eltern auch ein, sich ein Video anzuschauen, das Schüler drehten. Das hinterließ Betroffenheit. In sehr persönlichen und mutigen Interviews wird darin offenbar: Wer seine Freizeit lieber in der realen Welt mit Freunden verbringt, anstatt in jeder freien Minute zu chatten, hat oftmals unter Klassenkameraden einen schweren Stand. So lässt eine Schülerin der 8. Klasse wissen, sie verstehe nicht, weshalb sich Gleichaltrige mitten in der Nacht um 3 Uhr ins Netz einloggen, um ja nichts zu verpassen. Nach dem Schulschluss würden die gleichen Leute nach Hause rennen, um wiederum im Netz nichts zu verpassen. Alles nur um "drin" zu sein. Der Film sensibilisierte die Eltern noch mehr, ihre Fragen in geschlossenen Gesprächskreisen an die Fachleute zu stellen.
Zu rechtlichen Grundlagen gab es Auskunft von Rechtsanwältin Sandra Nauck aus Herzberg. Der freischaffende Filmemacher Alexander Helbing, engagiert mit seinem Trickfilmmobil in der Medienpädagogik, stellte die Möglichkeiten sozialer Netzwerke den Gefahren und Risiken gegenüber. Rowena Kase aus Kemberg, Diplom-Kommunikationspsychologin, ging auf die Frage ein, wie viel Internet "gesund" für Schüler sei. Auch wie Eltern mit Aggressionen ihrer Kinder umgehen, die sie auf die Internet-Nutzung zurückführen und wie Grenzen gezogen werden können, um Suchtverhalten und Computerabhängigkeit vorzubeugen - waren Themen ihres Gesprächskreises.
Für Schulsozialarbeiterin Silvia Rick ist die Tatsache, dass so viele Eltern Interesse zeigten, ein großer Erfolg für das Projekt. Für sie gehört das Thema seit langem mit zum Schulalltag. Immer wieder hört sie von Schülern, dass diese ja im Internet mit einem "Nicknamen" anonym unterwegs und sie dadurch vor persönlichen Anfeindungen geschützt wären. "Es ist auch in diesen Fällen sehr einfach, die wirkliche Identität herauszufinden, und manche Nutzer legen es auch darauf an", stellt sie klar.
Kommunikation nur übers Internet?
Aber: Internet zu Freizeitzwecken zu verbieten, sei kein Gegenmittel. "An unsere Schule kommen Mädchen und Jungen aus etwa 30 Stadtteilen. Da verstehe ich schon, dass sich viele nach dem Unterricht nicht wirklich treffen können, weil die Wohnorte zu weit auseinander liegen. Stattdessen loggen sie sich eben in virtuelle Netzwerke ein, um miteinander in Kontakt zu sein." Solange das nicht der hauptsächliche Kommunikationsweg sei und Regeln befolgt würden, wäre das auch nicht schlimm. Erwachsene nutzten das Internet ja ebenso für ihre Zwecke - zum Beispiel für die Jobsuche. Silvia Rick: "Es kommt aber mehr denn je darauf an, den Schülern zu vermitteln, wie wichtig es ist, mit persönlichen Daten äußerst achtsam umzugehen." Innerhalb des Projektes habe es schon einige Aha-Momente gegeben, wo Mädchen und Jungen wirklich erschrocken waren, was alles passieren kann, wenn jemand im Internet gemobbt wird. Übrigens: Auch viele Lehrer nahmen sich am Dienstag Zeit für das Forum, obwohl es für sie im April noch eine gesonderte Weiterbildung gibt. Das wurde von den Eltern sehr positiv vermerkt.