1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Hobby : Hobby : Simson mit 110 Sachen

Hobby  Hobby : Simson mit 110 Sachen

Von Detlef Mayer 30.07.2019, 11:50
Christopher Berndt und seine Simson - nur noch oberflächlich erinnert die von ihm aufwendig getunte Maschine an das Ursprungsmodell.
Christopher Berndt und seine Simson - nur noch oberflächlich erinnert die von ihm aufwendig getunte Maschine an das Ursprungsmodell. Detlef Mayer

Annaburg/Linda - „Bis zu 130 Kilometer pro Stunde sind schon drin“, sagt Christopher Berndt nicht ohne Stolz über die Maximalgeschwindigkeit seiner geliebten Simson. „Für vertretbar halte ich aber, nicht mehr als 110 km/h damit zu fahren.“ Wohlgemerkt, der 30-Jährige aus Linda spricht über eine von ihm nach seinen Vorstellungen aufgebauten Maschine, deren Basis mal ein Mokick S 51 war, wie es zu DDR-Tagen und bis 1991 in Suhl produziert wurde.

„Zu großen Teilen steckt da jetzt Motorradtechnik drin“, umreißt „Chrissi“, wie er im Bekanntenkreis genannt wird, die Veränderungen und betont, dass sie alle technisch abgenommen und in die Papiere eingetragen sind. Viel Geld hat der Simson-Fan für die Tuning-Teile ausgegeben: „Zwischen 7 000 und 8 000 Euro habe ich in meine Simson gesteckt“, rechnet er vor. „Aber bei einer Harley Davidson wäre das alles noch viel teurer.“

Ellenlange Teile-Liste

Die Liste der Umbauten will in seiner Aufzählung gar nicht enden. Sie beginnt bei der umgearbeiteten Sitzbank - mit integriertem Rücklicht, setzt sich fort über die hydraulische Telegabel (wie im Motorrad), die verstärkte Kastenschwinge fürs Hinterrad und den zusätzlichen Rahmen-Unterzug, die vordere Scheibenbremse (hinten ist es bei einer Trommelbremse geblieben), die hochgedämpfte Motorrad-Kupplung, den großen 30er Vergaser (original hat er nur einen 16-Millimeter-Durchlass), Sportluftfilter plus -auspuff und reicht bis zum auf 90 Kubikzentimeter erweiterten Hubraum sowie eine langhubige Kurbelwelle.

Hier bricht der Zweiradmechaniker aus der Annaburger Werkstatt von Rüdiger Golm die Aufzählung ab und wendet sich einem anderen Aspekt zu: Mit Lackieren (Pulverbeschichtung) habe der jüngste Umbau seiner Simson ein Jahr gedauert. „Wenn ich das Zusammensuchen der Teile mitrechne, sind es sogar zwei“, gesteht er und verdeutlicht die Systematik: „Zuerst werden die Teile beschafft, dann wird gebaut.“ Wobei sich beim Basteln immer noch Veränderungen zum Ausgangsplan ergeben.

Über den Hof geschoben

„Mit einer Simson hat für mich alles angefangen“, blickt der Lindaer auf seinen Einstieg ins Hobby Zweiradfahren und -montieren zurück. „Als Kinder haben meine ein Jahr jüngere Schwester Cindy und ich das Moped unseres Vaters Silvio aus der Scheune geholt, die Spinnweben abgemacht und uns gegenseitig über den Hof geschoben.

Das ist meine erste Tour mit einem S51 gewesen.“ Als „Chrissi“ 14 Jahre war, fing er an, selbst am Moped herumzuschrauben. „Noch gemeinsam mit meinem Vater, der hat mir die ersten Tricks gezeigt.“

Folgerichtig absolvierte der damals noch Stolzenhainer sein erstes Schülerpraktikum bei Marcus’ Zweiradshop in Herzberg, seinem späteren Lehrbetrieb. „Zu meiner Schulzeit waren zwei Praktika die Regel, in der neunten und der zehnten Klasse“, berichtet Christopher Berndt. Sein zweites Praktikum machte er übrigens im Trockenbau-Betrieb seiner Eltern, „um mal in was ganz anderes reinzuschnuppern“.

Christopher Berndt war 14 Jahre, da bekam er seine erste Simson, die er natürlich erst mit 15 fahren durfte. Inzwischen hat er zusätzlich ein Motorrad, eine ausgewachsene Honda CBR 1000. „Meine Eltern fuhren früher Mopeds, mein Opa auch“, erinnert sich der 30-Jährige.

„In den ersten Jahren nach der Wende wurden die alten DDR-Mopeds dann zum Teil verschenkt, weil sie - trotz erster Tendenzen zum Kultstatus bei MZ-Motorrädern und Simson-Maschinen - keiner mehr wollte.“ Rüdiger Golm wirft dazu ein: „Die Honda CBR 125 sorgte so um 2004 herum ein bisschen fürs Simson-Sterben. Heute ist es eher umgekehrt.“

Mit der Simson-Schrauberei hat Christopher Berndt als Einzelkämpfer begonnen. Inzwischen gibt es regelrechte Gruppen-Treffen, um miteinander an den Maschinen zu basteln. Beispielsweise sind „Chrissi“ und sein Kumpel Tobias in der Anfangszeit oft gemeinsam am Tüfteln gewesen. „Ich habe ihn auch dazu bewegt, vor sechs Jahren zum Simson-Treffen in Zwickau mitzukommen und dort zu zelten.

Das ist die größte Simson-Schaffe ganz Deutschlands, immer vier Tage Ende Juli.“ Danach wurden auch andere derartige Veranstaltungen besucht - am Harzring, in Suhl, Bernau, Torgau und selbstverständlich im Nachbarort Mügeln.

„Mich hat schon immer besonders das Tuning interessiert“, steht der Zweiradmechaniker zu seiner Leidenschaft. „Zuerst waren wir vier Leute, die zu solchen Zusammenkünften gereist sind.“ Im vorigen Jahr ging es mit 20 Interessierten nach Zwickau. „Da treffen dann sehr viele unterschiedliche Charaktere aufeinander“, meint Christopher Berndt. „Zehn, zwölf Leute sind ideal, mehr wird anstrengend.“

Café-Racer kreiert

Noch genau vor Augen hat der Simson-Fan, wie er und sein Kumpel Andreas dessen Moped zu einem Café-Racer (auf wesentliche Elemente reduziertes Custombike mit flachem Lenker und abfallender Sitzbank) umgebaut haben. „Die Simson wurde tiefer gelegt, bekam große Reifen und eine kurze Sitzbank“, beschreibt Christopher Berndt deren neue Optik.

Christopher Berndt, von seinen Freunden kurz „Chrissi“ genannt, stammt ursprünglich aus Stolzenhain (Elbe-Elster-Kreis). Seit gut drei Jahren lebt er aber mit seiner Lebenspartnerin und der 2017 geborenen Tochter Leonie in einem Haus in Linda.

Seit fast einem Jahrzehnt gehört der heute 30-Jährige zum Team der Annaburger Motorrad-Werkstatt von Rüdiger Golm. Seine dreieinhalbjährige Lehre allerdings hat er, nach neun Monaten Bundeswehr, in Marcus’ Zweiradshop in Herzberg absolviert. Seine exakte Berufsbezeichnung lautet Zweiradmechaniker, Fachrichtung Motorradtechnik.

Im Handwerksbetrieb von Rüdiger Golm erledigt Christopher Berndt alle anfallenden Arbeiten, hauptsächlich repariert und wartet er jedoch Motorräder. „In letzter Zeit haben aber die Simsons extrem zugenommen“, stellt er fest. „Ich vermute mal wegen des Moped-Führerscheins mit 15 Jahren.“

„Alle Veränderungen sind Tüv-eingetragen, auch der 85-Kubikzentimeter-Motor, weshalb ein Motorrad-Kennzeichen nötig wurde.“ Im Winter von 2017 zu 2018 begannen die beiden mit ihrer Arbeit und entwickelten die Maschine schrittweise weiter. „Man wird nie fertig. Etwas gibt es immer zu verbessern“, weiß der 30-Jährige.

„Manche sagen, da kannst du dir doch gleich ein Motorrad kaufen. Das ist aber nicht dasselbe!“ Café-Racer-Kumpel Andreas hatte übrigens vor dem Totalumbau nichts am Hut mit Simson-Mopeds. „Jetzt brennt er für sie, genau wie zum Beispiel für Harley Davidson“, erzählt der gestandene Zweiradmechaniker, der Andreas mit dem Hobby angesteckt hat.

Kumpels beim Schrauben zur Hand zu gehen, ist für Christopher Berndt inzwischen selbstverständlich. Praktikanten in Rüdiger Golms Motorrad-Werkstatt kommen ebenfalls in den Vorteil seiner Hilfe. „Sie lernen wie ich früher beim Tun und aus den unvermeidbaren Fehlern.“

Moped für Tochter Leonie

Auch der 30-Jährige hat über viele Jahre an seiner Simson herumgebaut, bis er sie vor drei Jahren noch einmal komplett veränderte. Noch vor deren Fertigstellung jedoch ließ er eine Herzensangelegenheit wahr werden: Für seine 2017 geborene Tochter Leonie schraubte er schon mal eine eigene Simson zusammen.

Sie ist gelb und mit dem Namenszug „Leonie“ verziert. Natürlich ging der Simson-Aufbau nicht ohne Tuning ab: 85-Kubik-Motor (Motorrad-Kennzeichen), Scheibenbremsen und breite Felgen lassen die Maschine etwas bulliger erscheinen als das Original.

Vor drei Jahren gab sich die Simson-Gruppe um Christopher Berndt einen Namen, der auch auf den einheitlichen T-Shirts, Pullovern und Aufklebern an den Maschinen der Schrauber zu lesen ist - „Waffenschmiede Ostschleifer“ lautet das martialisch klingende Wortgebilde.

„Die Szene ist inzwischen sehr groß geworden und viele Truppen geben sich solche Fantasienamen“, begründet der Lindaer diesen Schritt und schiebt nach: „Unser Name steht für vernünftig gemachte Mopeds. Inzwischen kennt man uns auch - übers Internet und bei Simson-Treffen.“

Nächste Vorhaben sind ebenfalls abgesteckt: Christopher Berndt will sich noch intensiver mit der Zylinderbearbeitung befassen und die Gruppe möchte eine Simson für Beschleunigungsrennen aufbauen - vielleicht 45 oder 50 Kilo leicht, mit 130 Kubikzentimetern und 31 PS, wie jüngst bei einem Treffen gesehen. „Es ist erstaunlich, was die aus den Maschinen rausholen.“ (mz)