Historisches Historisches: Sammlung über Karl Lamprecht wird veröffentlicht

Jessen - Von einigen Jessenern wird Karl Lamprecht gern als der größte Sohn der Kleinstadt an der Schwarze Elster bezeichnet. Sein, wie sich inzwischen erwiesen hat, nachhaltiges Wirken als Historiker und seine umfängliche wissenschaftlich-literarische Hinterlassenschaft rechtfertigen diesen inoffiziellen Titel ohne Frage.
Aber auch geschichtlich weniger Interessierten, dafür aber lokalpatriotischen Jessenern hat der Pfarrerssohn bis heute etwas zu sagen. Seine „Kindheitserinnerungen“ - nach Lamprechts Tod, im März 1918 von seinen Töchtern Marianne und Else als Broschüre herausgegeben - in denen er Jessen auf einmalige Weise ein Denkmal setzt, sind immer wieder ein beliebter Lesestoff. Und im Elstertal zudem sicher mehr Leuten ein Begriff als Lamprechts „Deutsche Geschichte“ in zwölf Bänden.
Auch für Nichthistoriker
Immer wieder wird von Fachleuten betont, dass man Karl Lamprecht nicht auf seine Aktivitäten als Historiker oder den Methodenstreit der Geschichtswissenschaft beschränken dürfe, um ihm gerecht zu werden und sein Engagement in seiner Zeit verstehen zu können. In dieser Hinsicht einen sehr wertvollen und zudem auch für Nichthistoriker durchaus lesbaren Beitrag liefert der Band „Karl Lamprecht (1856 - 1915) - Durchbruch in der Geschichtswissenschaft“. Herausgegeben wurde das 357 Seiten starke Buch (ISBN 978-3-86583-938-1, Preis: 19 Euro) vom Leipziger Universitätsverlag in Verantwortung von Jonas Flöter und Gerald Diesener (Geschäftsführer des Verlags). Den Anlass dafür bot der hundertste Todestag Lamprechts im zurückliegenden Mai.
Das Werk vereint Aufsätze von insgesamt 17 Autoren, die Karl Lamprechts Rolle und Bedeutung aus ganz unterschiedlichen Ansätzen heraus betrachten und analysieren. So heißt es dazu im Klappentext: „Wenn in diesem Buch dem Wirken des Leipziger Historikers Karl Lamprecht nachgespürt wird, richtet sich die Aufmerksamkeit weit über diesen Gesichtspunkt (gemeint ist der Methodenstreit um eine zeitgemäße wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte - die Redaktion) hinaus auf eine Würdigung des vor hundert Jahren Verstorbenen, und dies aus ganz verschiedenen Blickwinkeln. Denn er war zweifellos ein immens fleißiger Historiker, aber ebenso auch ein umtriebiger Hochschullehrer, nicht selten auch direkt ein homo politicus, der sich stets voller Leidenschaft in die Kontroversen seiner Zeit stürzte, und insgesamt ein Intellektueller im besten Sinne des Wortes. Die hier versammelten Ergebnisse jüngerer biografischer Spurensuche zeichnen das facettenreiche Porträt eines Mannes, der in der Zeit vom ausklingenden 19. Jahrhundert bis an die Schwelle zum Ersten Weltkrieg zu jenen Geistern zählte, die Deutschlands Ruf in dieser Zeit ausmachten und von dem sich eine weltweite Schar von Jüngern faszinieren ließ.“
Im Vorwort der Herausgeber wird dem Interessierten ein weicher Zugang zum Studium des Buches angeboten und ein Weiterlesen schmackhaft gemacht: „Gänzlich anders als einhundertste Geburtstage ist die einhundertste Wiederkehr des Todestages eines Wissenschaftlers vor allem ein untrüglicher Indikator über die von ihm ausgehenden Nachwirkungen.“ Denn man werde sich eines schon so lange Verstorbenen nur erinnern, „wenn er aus der Masse seiner inzwischen längst vergessenen Zeitgenossen herausragt. Das ist im Fall Karl Lamprecht nicht anders.“
Mit der Einordnung des Schaffens von Karl Lamprecht befasst sich in dem Buch Bernhard vom Brocke. Sein Aufsatz, der in dieser Hinsicht einen Überblick offeriert, heißt „Leben und Werk im Kontext der Wissenschaftsentwicklung“.
Bleibendes und Zeitbedingtes
Daraus stammen diese Sätze: Karl Lamprecht „zählte zu den Außenseitern unter den deutschen Historikern. Zu Lebzeiten wurde er von den meisten Fachkollegen wegen seines missionarischen Auftretens als Künder eines ,neuen Evangeliums historischer Wissenschaft’ (Arley Barthlow Show) abgelehnt, wegen seiner angeblich dem ,historischen Materialismus’ verhafteten Geschichtsauffassung von Fachkollegen denunziert sowie wegen der Propagierung ,westlicher’ demokratisch-liberaler Tendenzen als ,Irrlehrer’ (so Friedrich Meinecke, 1862 - 1954) und vom ,westlichen’ Positivismus beherrschter ,Fremdkörper’ bekämpft. Außerhalb der deutschen Historikerzunft und vor allem bei den Historikern im Ausland erstrahlte sein Ruhm umso heller. Erst seit den 1970er Jahren wurden Lamprechts frühe bahnbrechende Leistungen auch in Deutschland wieder vorurteilsloser gewürdigt, als Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Landeshistoriker, als genialer Wissenschaftsorganisator und ideenreicher Kulturpolitiker. Erst seitdem wird zwischen dem Bleibenden und dem Zeitbedingten unterschieden.“
Zu dieser Unterscheidung heißt es einen Absatz später bei Bernhard vom Brocke: „Auf den Gebieten der Landesgeschichte und Sozialgeschichte auf landesgeschichtlicher Grundlage liegen Lamprechts bleibende wissenschaftliche Leistungen. Zeitbedingt aber waren im Zeitalter des Siegeszuges der Naturwissenschaften sein wissenschaftsgläubiger Fortschrittsoptimismus, seine Forderung einer Erhebung der Geschichtswissenschaft in den Rang einer (Natur-) Wissenschaft und sein Glaube an die Lösbarkeit aller historischen Probleme durch empirische Forschung und Ergründung historischer Gesetze.“
Die insgesamt 17 Aufsätze des Bandes „Karl Lamprecht (1856 - 1915) - Durchbruch in der Geschichtswissenschaft“ gliedern sich neben dem Einstieg in folgende fünf Kapitel: „Wege zur Wissenschaft“, „Geschichtstheorie“, „Methodenstreit“, „Universitätsreform“ und „Lamprecht heute“, letzteres mit Beiträgen von Gerald Diesener und Roger Chickering (von der Georgetown University, Washington D.C.). (mz)